Die aktuelle Situation in den Krankenhäusern im Öffentlichen Dienst erinnert an die Zeit nach den großen Aufwertungsstreiks 2015 im Bereich des Sozial- und Erziehungsdienstes. Damals hatten die Kolleginnen in bundesweiten Streikdelegiertenkonferenzen innergewerkschaftlich so viel Druck aufbauen können, dass ein unzureichendes Schlichtungsergebnis abgelehnt wurde und die Arbeitgeber zu deutlich mehr Zugeständnissen gezwungen werden konnten. Übrig blieb nach dem Tarifabschluss die Perspektive, dass fünf Jahre später, also 2020, der Sondertarifvertrag erneut kündbar sein würde und dann der Kampf fortgeführt werden könnte. Und die Frage, wie man über eine so lange Zeit das Bewusstsein für die eigene Stärke, die neu aufgebauten Strukturen und die frisch gewonnenen Kampferfahrungen bewahrt oder ausbaut. In vielen Betrieben ist genau dies über die lange Zeit nicht gelungen.
Mit einem Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst, der sich für den Großteil der Beschäftigten im Bereich des Inflationsausgleichs bewegt und nur für Pflegekräfte eine zum Teil deutlich darüber hinausgehende Lohnsteigerung erzielt hat, sowie der langen Laufzeit von 28 Monaten stehen die Krankenhausbeschäftigten vor der gleichen Herausforderung.
Die Antwort auf die Frage „Wie weiter“ ist genauso auf der Hand liegend wie gesellschaftlich notwendig. Am Tag nach der Tarifeinigung im Öffentlichen Dienst gab Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di, die Richtung in der „Süddeutschen Zeitung“ vor: „Das Thema Personalmangel in der Pflege werden wir in den kommenden Monaten mit großem Nachdruck verfolgen.“ Auch wenn es in diesem Zitat auf die Pflege reduziert wird, unterstreicht er die Notwendigkeit, die Kämpfe in den Krankenhäusern für Entlastung und mehr Personal fortzuführen.
In bundesweit 17 Kliniken haben kämpferische Belegschaften mit ver.di in den letzten Jahren Tarifverträge für Entlastung und mehr Personal durchgesetzt, überwiegend in Universitätskliniken. Die Personalnot ist aufgrund des DRG-Systems in den kommunalen Kliniken genauso groß wie in allen Häusern bundesweit. Da die Bundesregierung weiter eher auf Imagekampagnen wie das unverschämte Filmprojekt „Ehrenpflegas“ setzt als auf eine gesetzliche Personalbemessung in den Krankenhäusern, wird es weiterer Arbeitskämpfe für Tarifverträge Entlastung bedürfen. Ziel muss es sein, das von ver.di und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geforderte Personalbemessungsinstrument, die sogenannte PPR 2.0, gesetzlich zu verankern und um verbindliche Sanktionen bei Nichteinhaltung der Personalvorgaben zu erweitern. Mit einer solchen Ausrichtung der Entlastungsstreiks findet der Kampf um die Abschaffung der Fallpauschalen und die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungsprinzips in Krankenhäusern eine starke betriebliche Plattform.
Mit dieser Perspektive und den erneut gewachsenen Streikerfahrungen in den Klinikbelegschaften ist die Ausgangslage für eine Ausweitung der Kämpfe ideal: Während es in den kommunalen Kliniken mit Ausnahme der Charité noch keine Tarifverträge Entlastung gibt, stehen diverse streikerfahrene Unikliniken vor der Entscheidung, die jeweiligen Tarifverträge zu kündigen und 2021 um Verbesserungen zu kämpfen. Dabei bieten die jüngst abgeschlossenen Tarifverträge in Jena und Mainz wertvolle Vorlagen, um die Klinikvorstände auch wirtschaftlich unter Druck zu setzen, für Entlastung in den Krankenhausbelegschaften zu sorgen.
Parallel zum Kampffeld Entlastung entwickelt sich in vielen Kliniken Widerstand bei den Beschäftigten der Tochtergesellschaften, die in den letzten Jahrzehnten mit dem Ziel der Tarifflucht ausgegliedert wurden. Genauso wie erwartbare Auseinandersetzungen zu sicheren Arbeitsbedingungen unter Corona-Bedingungen sind das alles Konflikte, in denen von betrieblichen Aktionen unter der Warnstreikschwelle bis hin zu ökonomisch wirksamem Streikdruck die Kämpfe weitergeführt werden können und müssen.
So sehr die bürgerliche Presse versucht, die Corona-Pandemie zu nutzen, um Streiks in Krankenhäusern politisch anzugreifen, so sehr ist in diesem Jahr das Bewusstsein in der Bevölkerung gestiegen, dass es grundsätzlicher Veränderungen in den Kliniken bedarf: Vor allem mehr Personal und ein Ende der Profitlogik im Gesundheitswesen.
Vor all diesen Hintergründen gilt es jetzt, innerbetrieblich und innergewerkschaftlich das Jahr 2021 gut vorzubereiten. Dafür brauchen wir eine konstante Fortführung der Idee der Tarifbotschafterinnen und -botschafter, die zur konsequenten Ausübung ihrer Rolle in den Betrieben zukünftig gewählt werden sollten, so dass sie mit konkretem Auftrag aus ihrer Belegschaft in den Beratungen versehen wären und aus dieser Position heraus auch in die gewerkschaftlichen Entscheidungsgremien hineinwirken können. Zudem ist es notwendig, neben einer betrieblichen Auswertung der Erfahrungen der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes dort auch eine inhaltliche Grundlage für die 2021 anstehenden Auseinandersetzungen zu schaffen. In den Entlastungsstreiks hat sich gezeigt, wie wichtig das Verständnis der Aktiven in den Krankenhäusern über die grundlegenden Missstände wie das DRG-System und die Umstellung des Krankenhaussystems seit den 2000ern auf ein Profitsystem ist. Diese Erfahrungen gilt es jetzt umzusetzen, um eine stabile betriebliche Basis zu haben für die notwendige bundesweite Vernetzung von Krankenhausaktiven, die gemeinsam für ihren Tarifvertrag Entlastung kämpfen. Und auch für etwaige Auseinandersetzungen in der Gewerkschaft, sollte dieser Weg nicht so konsequent gegangen werden, wie es notwendig ist.
In Kombination mit dem Interesse der breiten Bevölkerung an einer guten Gesundheitsversorgung, den überall entstehenden Gesundheitsbündnissen und einer ins Jahr 2021 verschobenen Tarifrunde für den Sozial- und Erziehungsdienst gibt es im Jahr der Bundestagswahl die Möglichkeit, die Frage nach den grundsätzlichen Problemen im Kapitalismus noch mal anders und in Kombination mit gesellschaftlich relevanten Streiks zu stellen. Nutzen wir sie!
Siehe Teil I: Nach dem Streik ist vor dem Streik (UZ vom 13. November 2020)
Siehe Teil II: Reicher an Kampfkraft (UZ vom 20. November 2020)