Lenin blickte auf die Uhr. „Die mir zur Verfügung stehende Zeit ist schon zur Hälfte abgelaufen“, sagte er. „Ich habe mich verplaudert. Sie sollen Richtlinien für die kommunistische Arbeit unter den Frauen ausarbeiten. Ich kenne Ihre prinzipielle Einstellung und aktuelle Erfahrung. Unsere Aussprache über die Arbeit kann daher kurz sein. Also schießen Sie los. Wie denken Sie sich die Richtlinien?“ Ich gab einen gedrängten Überblick darüber. Lenin nickte wiederholt zustimmend, ohne mich zu unterbrechen. Als ich geendet hatte, schaute ich fragend zu ihm hin. „Einverstanden!“ meinte er …
Gegen Frauenrechtelei
„Die Richtlinien müssen scharf zum Ausdruck bringen, dass wahre Frauenbefreiung nur möglich ist durch den Kommunismus. Der unlösbare Zusammenhang zwischen der sozialen und menschlichen Stellung der Frau und dem Privateigentum an den Produktionsmitteln ist stark herauszuarbeiten. Damit wird die feste, unverwischbare Trennungslinie gegen die Frauenrechtelei gezogen. Damit ist aber auch die Grundlage gegeben, die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage, der Arbeiterfrage aufzufassen und als solche fest mit dem proletarischen Klassenkampf und der Revolution zu verbinden. Die kommunistische Frauenbewegung selbst muss Massenbewegung sein, ein Teil der allgemeinen Massenbewegung, nicht nur der Proletarier, sondern der ausgebeuteten und Unterdrückten jeder Art, aller Opfer des Kapitalismus oder eines Herrschaftsverhältnisses. Darin liegt auch ihre Bedeutung für die Klassenkämpfe des Proletariats und für seine geschichtliche Schöpfung: die kommunistische Gesellschaft. Wir können mit Recht stolz darauf sein, dass wir eine Elite revolutionärer Frauen in der Partei, in der Kommunistischen Internationale haben. Aber das ist nicht entscheidend. Wir müssen die Millionen werktätiger Frauen in der Stadt und im Dorfe für uns gewinnen. Für unsere Kämpfe und ganz besonders für die kommunistische Umwälzung der Gesellschaft. Ohne die Frauen gibt es keine wirkliche Massenbewegung. Aus unserer ideologischen Auffassung ergibt sich das Organisatorische: keine Sondervereinigung von Kommunisten. Wer Kommunistin ist, gehört als Mitglied in die Partei der Kommunisten. Mit gleichen Pflichten und Rechten. Darüber kann es keine Meinungsverschiedenheit geben. Jedoch dürfen wir uns einer Erkenntnis nicht verschließen. Die Partei muss Organe haben, Arbeitsgruppen, Kommissionen, Ausschüsse, Abteilungen oder wie sonst man sagen mag, deren besondere Aufgabe es ist, die breitesten Frauenmassen zu wecken, mit der Partei zu verbinden und dauernd unter ihrem Einfluss zu halten. Dazu gehört natürlich, dass wir ganz systematisch unter diesen Frauenmassen tätig sind. Wir müssen die Erweckten schulen und für die proletarischen Klassenkämpfe unter Führung der Kommunistischen Partei gewinnen und ausrüsten. … Das ist nicht Feminismus, das ist praktische, revolutionäre Zweckmäßigkeit.“
Ich sagte Lenin, dass seine Darlegungen mir eine wertvolle Ermutigung seien. Viele Genossen, sehr gute Genossen, bekämpfen es auf das Entschiedenste, dass die Partei Sonderorgane für die planmäßige Arbeit unter den Frauenmassen schaffe. Sie verfemten das als Frauenrechtelei und Rückfall in sozialdemokratische Traditionen. Sie machten geltend, dass die kommunistischen Parteien, weil sie die Frauen grundsätzlich gleichberechtigten, in der Folge auch ohne Differenz unter den werktätigen Massen überhaupt in ihrer Gesamtheit tätig zu sein hätten. Die Frauen müssten zusammen mit den Männern und unter den gleichen Bedingungen wie sie erfasst werden. Jede agitatorische und organisatorische Berücksichtigung der von Lenin hervorgehobenen Umstände werde von den Verfechtern der gegenteiligen Ansicht als Opportunismus, als Preisgabe und Verrat des Prinzips gekennzeichnet.
Frauenarbeit der Partei
„Das ist nichts Neues und kein Beweis“, meine Lenin. Ihr dürft euch dadurch nicht beirren lassen. Warum haben wir nirgends – nicht einmal bei uns in Sowjetrussland – ebenso viel Frauen als Männer in der Partei? Warum ist die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterinnen so klein? Die Tatsachen geben zu denken.
All das Gerede bricht vor der unerbittlichen Notwendigkeit zusammen. Ohne Millionen Frauen mit uns können wir nicht die proletarische Diktatur ausüben, können wir nicht kommunistisch aufbauen. Wir müssen den Weg zu ihnen suchen, müssen studieren, probieren, um ihn zu finden. Es ist daher auch richtig, dass wir Forderungen zugunsten der Frauen erheben.“