In Berlin droht sich die Spaltung der Friedensbewegung zu verfestigen. Die Berliner Linkspartei, die VVN-BdA der Hauptstadt und Teile von attac hatten sich bereits vom Berliner Ostermarsch distanziert. Sie hatten der Friedenskoordination Berlin (Friko), die den Ostermarsch seit Jahrzehnten mit all denen vorbereitet, die ein Interesse daran haben, zuvor „Rechtsoffenheit“ vorgeworfen. Nach Ostern gründete sich in Berlin ohne jede Diskussion mit der Friko eine „Antikriegskoordination“, unter anderem organisiert von den Naturfreunden Berlin. Neben der traditionellen Kundgebung der Friko zum Antikriegstag am 1. September rief diese „neue Friedensbewegung“ (Neues Deutschland) zu einer Demonstration am 2. September auf. Sie fand Unterstützung durch die Informationsstelle Militarisierung aus Tübingen und die bundesweiten Initiative „Rheinmetall entwaffnen“. Angeführt wurde die Demonstration mit 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeitweise von Janine Wissler, Vorsitzende der Partei „Die Linke“.
UZ dokumentiert zwei Reden, die am 1. September auf der Kundgebung der Friko an der neuen Wache vor mehr als 800 Teilnehmern gehalten wurden – auch um noch einmal deutlich zu machen: „Rechtsoffen“ ist da gar nichts. Weitere Reden unter frikoberlin.de
„Wir wollen die Menschen nicht der AfD überlassen“
Redebeitrag von Wiebke Diehl, Publizistin und Autorin
Ich freue mich, dass ihr hierhergekommen seid, um für Frieden einzutreten. An diesem historischen Tag, dem 84. Jahrestag des Überfalls Nazi-Deutschlands auf Polen und damit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, diesem beispiellosen und barbarischen Vernichtungsfeldzug. Und ich möchte vor allem der Friko danken, die unermüdlich gegen ALLE Kriege und für Verständigung streitet – egal wie rau die Zeiten sind und wie viele Steine in den Weg gelegt werden. Danke dafür! Wirklich, ihr leistet Großartiges!
Und immer rauer werden die Zeiten allemal.
„Und die, die hier mit Friedenstauben rumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztlich einem Kriegstreiber das Wort reden“ – so Bundeskanzler Olaf Scholz am 19.08. auf einer Wahlkampfrede in München.
Nein, Herr Bundeskanzler! Nicht wir reden einem Kriegstreiber das Wort. Sie selbst haben sich, nachdem Sie zu Beginn dieser Phase – und ich sage ganz bewusst „dieser Phase“ – des schon viel länger andauernden Kriegs noch einen besonneneren Eindruck als andere machten (trotz „Zeitenwende“ und Sondervermögen), Sie selbst haben sich zum Protagonisten der Eskalation machen lassen. Sie lassen sich treiben von einer kriegslüsternen Koalition, allen voran die einst als pazifistische Partei gegründeten Grünen und die Strack-Zimmermanns von der FDP.
Ja, dieser Krieg ist furchtbar. Er kostet Leben und beraubt unzählige Menschen ihrer Heimat und ihrer Existenz. Sie werden gnadenlos geopfert auf dem Altar eines Stellvertreterkriegs, den die Ukraine nicht gewinnen kann. Dafür verantwortlich sind auch all diejenigen, die einem Siegfrieden weiter das Wort reden. Kommen Sie endlich zur Vernunft! Setzen Sie alles daran, das sinnlose Gemetzel auf diplomatischem Wege zu beenden!
Aber, das möchte ich auch ganz deutlich sagen: Die unsägliche Diffamierung des Bundeskanzlers all derjenigen, die der eindeutigen Verpflichtung unseres Grundgesetzes Folge leisten, nämlich: „dem Frieden der Welt zu dienen“. Sie tut lange nicht so weh wie die Angriffe, die von Teilen der Friedensbewegung und der Partei DIE LINKE auf uns gefahren werden.
Wir sind daran gewöhnt, dass sich die Verfechter von Aufrüstung und Militarisierung in der Bundesregierung von uns gestört fühlen. Denn wir sind der Stachel im Fleisch ihrer verantwortungslosen Politik. Wir wenden uns laut dagegen, dass die Bundesregierung mit ihrem Rüstungsetat, den sie nächste Woche in den Bundestag einbringen wird, zum ersten Mal das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreicht. Wir sagen nein zu ihrem Ansinnen, die Mittel für die – wie es im Jargon der Bundesregierung heißt – Nachwuchswerbung für die Bundeswehr um fast 65 Prozent zu erhöhen. Wir sagen, die Bundeswehr muss raus aus den Schulen. Sie darf ihre Mär, Krieg und zu Töten seien ein gewöhnlicher Job, nicht weiter verbreiten.
Die Vorwürfe, wir seien „rechtsoffen“, weil wir uns weigern, Menschen vorzuverurteilen, weil sie schon mal auf einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung waren. Weil wir den geheimdienstartigen Methoden, aufzulisten, wer mal mit wem auf der gleichen Veranstaltung war oder gar mit jemandem gesprochen hat, der jemanden kennt… nicht folgen wollen. Diese Vorwürfe spalten und schwächen die Friedensbewegung.
Und das nutzt einzig den kriegerischen Kräften, allen voran der Ampelkoalition, die dazu noch mit ihren Sanktionen, die Deutschland weit härter treffen als Russland, einen sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt.
Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass wir jede Zusammenarbeit mit Faschisten und Rechten ablehnen. Für uns ist – ganz besonders am heutigen Tag – die Maxime „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“ zentral und leitend. Aber wir wollen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die gegen Waffenlieferungen und für eine diplomatische Offensive ist, auch nicht der AfD überlassen. Denn die spielt geschickt mit den berechtigten Sorgen und Ängsten. Und weil alle anderen im Bundestag vertretenen Parteien, einschließlich der Partei „Die Linke“, ihr wie schon in der Corona-Pandemie das Feld überlassen, hat sie es leicht, zu verschleiern, dass es keinesfalls antimilitaristische und friedenspolitische Motive sind, die sie antreiben.
Liebe Freundinnen und Freunde,
27 Millionen Sowjetbürger haben im zweiten Weltkrieg ihr Leben verloren. Ihnen haben wir unser aller Befreiung vom Faschismus zu verdanken. Und was tut diese geschichtsvergessene Bundesregierung? Nicht nur lässt sie wieder deutsche Panzer in Richtung Osten rollen. Sie befördert auch in guter alter deutscher Manier die Darstellung der Russen als zivilisationsferne Barbaren – sekundiert von den so genannten Qualitätsmedien, denen schon gerne mal ein entlarvender Fehler unterläuft. So schrieb etwa eine Tagesspiegel-Journalistin, Russland sei für die Entführung von Tausenden ukrainischen Kindern während des – Achtung – Irak-Krieges verantwortlich. Der Russe hat eben überall seine Finger drin …
Besonders gerne spricht die wertebasierte Bundesaußenministerin vom „Hungerkrieg“, wahlweise auch vom „Kornkrieg“, Moskaus. Weil Putin den Export ukrainischen Getreides für die Hungernden dieser Welt verhindere. Aber schaut man sich auf der offiziellen Webseite der Schwarzmeerinitiative, über die ukrainische Lebensmittel exportiert werden, um, wird offensichtlich, dass ausgerechnet im globalen Süden ein viel zu geringer Teil ankommt. Zugleich verhindern die Sanktionen den Export russischer Nahrungsmittel und russischen Düngers. Ja, auf dem Papier sind diese von den Sanktionen ausgenommen. Faktisch aber verkommen die Ausnahmen wegen der Sanktionen gegen den russischen Finanz- und Transportsektor zur Farce. Um 25 Prozent ist die Verfügbarkeit von Kunstdünger im subsaharischen Afrika seit Februar 2022 eingebrochen. Das sagt nicht Putin, sondern das Internationale Zentrum für Düngemittelentwicklung im US-Bundesstaat Alabama. Die Auswirkungen sind fatal. Wer also führt nun einen „Kornkrieg“?
Wie man Hunger als Waffe einsetzt, hat die Bundesregierung übrigens gerade in Niger gezeigt. Weil der Uran-Bedarf der EU natürlich oberste Priorität hat, unterstützt Annalena Baerbock die ECOWAS-Sanktionen, die aber faktisch ein Komplett-Embargo mit schlimmsten humanitären Folgen darstellen. Und die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit hat man auch eingefroren.
Dabei hat Frau Baerbock doch gerade erst zugegeben, dass Sanktionen nicht wirken. Wahrscheinlich ist das ihr genauso rausgerutscht, wie ihre Kriegserklärung an Russland zu Beginn des Jahres. Man kann es nicht anders sagen: wir haben eben die dümmste Regierung Europas. Wie zum Teufel, Herr Bundeskanzler, kann man einem solchen gefallenen Engel das Bundesaußenministerium anvertrauen?
Die deutsche Wirtschaft schrumpft als Folge der Russland-Sanktionen. Deutschland befindet sich in der Rezession, die Menschen leiden unter der Inflation. Viele wissen nicht mehr, wie sie sich die Milch für ihre Kinder zum Frühstück leisten sollen – geschweige denn Obst und Gemüse. Deutschland wird deindustrialisiert, das befürchten laut einer aktuellen Umfrage 76 Prozent der Führungskräfte –während die russische Wirtschaft um bis zu 1,5 Prozent nach anderen Schätzungen gar bis zu 2,5 Prozent, wächst. Die Zustimmungswerte des russischen Präsidenten sind seit Februar 2022 gleichbleibend hoch bei um die 80 Prozent – während in Deutschland 73 Prozent mit der Politik der Ampelkoalition unzufrieden sind.
Merken unsere Regierenden eigentlich noch irgendetwas?
Im globalen Süden ruft das Agieren Deutschlands am Rockzipfel der USA nur noch Kopfschütteln hervor. Dort nämlich ist man nicht bereit, sich aushungern zu lassen.
Im globalen Süden erinnert man sich noch gut an den ersten Kalten Krieg, der dort vielerorts ein heißer war. Mit Stellvertreterkriegen in Laos, Kambodscha, Vietnam, Angola, Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und in Lateinamerika. Und natürlich ist auch die Kolonialzeit nicht vergessen – genauso wenig wie die Weigerung des Westens, während der Corona-Pandemie die Patente für Impfstoffe außer Kraft zu setzen. Russland hingegen exportierte seinen Sputnik-Impfstoff auch nach Afrika.
Dass sich der globale Süden immer vehementer weigert, sich als Vasallen missbrauchen zu lassen und – ganz anders als die Bundesregierung – seine eigenen Interessen vertritt, ist die wahre Zeitenwende. Dies gilt insbesondere für die Bemühungen, sich vom US-Dollar unabhängig zu machen – den Welthandel zu entdollarisieren.
Die Forderungen aus dem globalen Süden nach Beendigung des Ukrainekriegs können auf lange Sicht nicht ignoriert werden. Vernünftige Stimmen, die es zum Glück noch gibt, haben das verstanden. So sagte der ehemalige EU-Kommissar Günter Verheugen in einem am Montag veröffentlichten Interview: Zitat: „Die Welt ändert sich dramatisch.“ Und: „Die einflussreichsten Weltregionen der Zukunft liegen nicht in Europa oder Nordamerika, sondern in Asien, Lateinamerika und Afrika.“. Verheugen sagte auch: „Das Gemetzel muss beendet werden. Das zu bewirken, ist die wichtigste Aufgabe der deutschen und europäischen Politik“.
Dem kann ich mich nur anschließen! Nicht zuletzt wäre dies auch im Interesse der ukrainischen Bevölkerung. Danke.
„Der Krieg belastet die Kolleginnen und Kollegen im Tarifkampf“
Redebeitrag von Charlotte Rutz-Sperling, aktive ver.di-Gewerkschafterin im Gesundheitsbereich (in Vertretung für Carla Boulboullé (GEW-Mitglied, Herausgeberin von „Soziale Politik&Demokratie“)
Ich spreche hier als eine der aktiven Gewerkschafterinnen, die sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs aktiv für den Stopp des Krieges engagiert haben. Ich bin Mitglied im ver.di-Landesfachbereichsvorstand Gesundheit Berlin-Brandenburg. Ich spreche aber auch für die Kollegin Carla Boulboullé, Herausgeberin der „Sozialen Politik und Demokratie“, die aus gesundheitlichen Gründen heute leider nicht dabei sein kann, aber der Kundgebung ausdrücklich viel Erfolg wünscht.
Die NATO und alle Regierungen betreiben -unter dem Kommando der US-Regierung – eine Eskalation des Krieges in Europa, der die Gefahr eines bewaffneten Konflikts über große Teile der Erde heraufbeschwört.
Die Regierung Scholz, die die Führungsmacht der NATO in Europa übernimmt, nimmt ganz ihren Platz dabei ein. Sie gibt Milliarden zur Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine und an das Herrschaftssystem von Selenski. Jetzt geht es um Marschflugkörper vom Typ Taurus, die russische Städte weit hinter der Grenze erreichen können. Das würde Deutschland zusehends in einen direkten Krieg mit Russland treiben.
Carla und ich haben mit vielen hundert anderen Kolleginnen und Kollegen den Aufruf „Gewerkschafter sagen Nein zum Krieg – Nein zum sozialen Krieg gegen den Sozialstaat“ unterstützt.
Es ist die arbeitende Bevölkerung und Jugend, die die Kosten für diesen Krieg bezahlen sollen. Das können wir als Gewerkschafter nicht akzeptieren!
Auf der einen Seite beschließt die Regierung Scholz wachsende Milliardensummen für Kriegsaufrüstung, wie aber werden sie finanziert? Durch schmerzliche Ausgabenkürzungen in den sozialen Haushalten! Nur der Rüstungs- und Kriegshaushalt ist ausgenommen.
„Wer mehr für Verteidigung ausgibt, dem bleibt weniger für Gesundheit und Bildung“, diese Devise von NATO-Generalsekretär Stoltenberg hat sich Kanzler Scholz zu „100 Prozent zu eigen gemacht“, wie er selbst stolz verkündet hat.
In der von mir genannten Erklärung der Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gegen den Krieg wird als Antwort auf die kriegstreibende Politik der Regierung gefordert: „Waffenstillstand sofort!“
Und weiter: „Wir sagen Nein zur Sanktionspolitik gegen Russland“. Denn sie trifft die Bevölkerung hier, sie stürzt Deutschland in eine Welle der Deindustrialisierung. Inflation und Verteuerung sind auch Folgen der Sanktionspolitik. Sie verlangen die Verschärfung der Kaputtsparpolitik gegen den Sozialstaat. Ein Beispiel:
Der Krieg belastet die Kolleginnen und Kollegen im Tarifkampf. Die Regierung Scholz hat in allen letzten Tarifabschlüssen Reallohnverluste diktiert.
Ich selbst komme aus dem Gesundheitswesen. Die Kolleginnen und Kollegen sind damit konfrontiert, dass die Regierung Scholz systematisch das öffentliche Gesundheitswesen zerstört.
Fast jede 2. Klinik soll im Zuge der Gesundheits“reform“ von Lauterbach geschlossen werden. Auch in Berlin drohen Krankenhausschließungen, wie Gesundheitssenatorin Czyborra angekündigt hat. Die Teil-Verlagerung des Wenckebach Klinikums ist nur der Einstieg in weitere sog. „Konzentrationen“ von Standorten. Für mehr Personal kämpften die Kolleginnen und Kollegen bei Vivantes und Charité. Trotz Tarifvertrag gibt es keine Neueinstellung von Personal, statt dessen Bettenabbau.
Was können wir tun? Am 8. Juli haben Kolleginnen aus 14 europäischen Ländern an einer Videokonferenz teilgenommen. Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, wie die Widerstandskräfte auf europäischer Ebene eine Verbindung schaffen können, um den Kampf gegen die Kriegspolitik der Regierungen in den jeweiligen Ländern zu unterstützen und zu stärken.
Alle Beiträge waren davon geprägt, dass in allen diesen Ländern die militärische Gewaltspirale begleitet wird von einer Verschärfung der Angriffe auf alle erkämpften sozialen und demokratischen Errungenschaften der Arbeitnehmer.
Sie haben dokumentiert, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen der Kriegswirtschaft und der sozialen Zerstörung, dem Abbau des öffentlichen Dienstes und der Gewerkschaftsrechte. Der Krieg einerseits und die Inflation und die sozialen Angriffe sind zwei Seiten ein und derselben Medaille.
Die Dokumente der Konferenz zeigen, die Widerstandsbewegung in ganz Europa wächst. Ein Zeichen dafür ist auch die wachsende Zahl ukrainischer wie russischer Männer, die sich der Mobilisierung als Kanonenfutter an der Front entziehen – trotz harter Strafandrohungen! Ihnen gehört unsere besondere Solidarität.
Die Beiträge der europäischen Konferenz werden im Internet und einer Dokumentation veröffentlicht. Es wurde vereinbart, eine europäische Präsenz-Konferenz in Berlin Anfang 2024 vorzubereiten.
Nun aber stehen wir kurz vor zwei wichtigen Gewerkschaftstagen, von ver.di und der IG Metall. Auf beiden Gewerkschaftstagen wird es um die Frage des Krieges gehen und vor welche Herausforderungen er die Gewerkschaften stellt, gerade auch angesichts des von der Regierung entfesselten sozialen Krieges.
Diese Diskussion hat in Teilen von ver.di und anderen Gewerkschaften begonnen.
Weit über tausend Kolleginnen haben in Unterschriftensammlungen und Demonstrationen erklärt: „Wir sagen Nein zum Krieg“.
Ich wende mich an Euch, unterstützt Initiativen wie „Gewerkschafter sagen Nein zum Krieg – Nein zum sozialen Krieg“, damit wir dieser Stimme einen kraftvollen Ausdruck auf den Gewerkschaftstagen geben können.