Der Journalist Patrik Baab arbeitete unter anderem für den NDR. Er berichtete aus Russland, Britannien und Afghanistan sowie vom Balkan. UZ sprach mit ihm über seine jüngste Reise in den Donbass.
UZ: Sie haben vor Kurzem den Donbass besucht. Was waren Ihre wichtigsten Eindrücke?
Patrik Baab: Aus dem Kriegsgebiet bringe ich widersprüchliche Eindrücke mit. Im Unterschied zu meinen Erfahrungen vor zwei Jahren lauert die Gefahr auch weit hinter der Front. Als wir in Frontnähe unterwegs waren, hatten wir zweimal Drohnenalarm und mussten sofort in den Unterstand. Nachts sahen wir die Starlink-Satelliten, die sehr tief fliegen. Dieses Satelliten-Internet ermöglicht der ukrainischen Armee die Datenübertragung in Echtzeit. Teilweise sind wir nachts gefahren, Mobiltelefone aus, haben mehrfach das Fahrzeug gewechselt. Im Kampfgebiet wie etwa rund um Ugledar sind die Zerstörungen massiv. Überraschend war für mich, dass die Region rund um Melitopol auch nach zwei Jahren immer noch Partisanengebiet ist. Ich habe mit einem Mann gesprochen, dem eine Autobombe ein Bein abgerissen hat – er kam knapp mit dem Leben davon. Diese Anschläge werden offenbar vom ukrainischen Geheimdienst gesteuert. Gleichzeitig ist die Zahl der ukrainischen Deserteure und Überläufer sehr hoch, nach meinen Quellen etwa 100.000 Mann. Ein Unteroffizier einer ukrainischen Einheit, die auf russischer Seite kämpft, sagte mir, dass er nach den gescheiterten Friedensgesprächen in Istanbul im April 2022 übergelaufen sei – er habe nicht mehr für jene kämpfen wollen, die zusammen mit dem Westen ein schnelles Ende des Krieges verhindert hätten.
UZ: Im Mai 2023 berichtete die UZ über den Besuch der Antifa-Karawane, unter anderem in Mariupol. Wie ist die Lage 18 Monate später?
Patrik Baab: Der Wiederaufbau ist in vollem Gang. Mariupol war vor zwei Jahren zu 80 Prozent zerstört. Inzwischen wurde ein großer Teil der alten Chruschtschowkas (Plattenbauten, d. Red.) saniert: In den Wohnblocks sieht man überall neue Fenster, die Fassaden sind frisch verputzt. Ganze Stadtviertel wurden neu errichtet, Wohnraum für 40.000 Menschen. Nach Angaben der Behörden werden umgerechnet etwa fünf Milliarden Euro allein in Mariupol investiert. Ich habe mit Menschen gesprochen, die vor den Kämpfen geflohen waren und nun in ihre Heimatstadt zurückgekehrt sind, weil sie dort problemlos eine gutbezahlte Arbeit finden konnten. Donezk war vor zwei Jahren eine Geisterstadt – niemand auf der Straße, die Schaufenster mit Spanplatten verrammelt, vor den Behörden aufgestapelte Sandsäcke. Heute bietet sich ein anderes Bild: Obwohl die nordöstlichen Stadtviertel noch unter Beschuss liegen, kehrt mit dem Abrücken der Front nach Westen das öffentliche Leben zurück. Die Cafés und Restaurants haben geöffnet, Friseurinnen sitzen vor ihren Läden und plaudern, die Kinder gehen wieder zur Schule. In den Seitenstraßen und in den Vororten sieht man allerdings noch viele zerstörte Häuser und Straßen.
Die Renten wurden inzwischen aufs russische Niveau angehoben. All dies sind Signale nach innen, aber auch an den Westen. Die Russische Föderation signalisiert den Menschen: Wir tun etwas für euch, nach der Aufnahme in die Russische Föderation geht es aufwärts. Damit verbunden ist der Hinweis an die NATO: Der Donbass gehört zu Russland, wir stellen diese Region nicht mehr zur Disposition. Verhandlungen gibt es nur auf der Basis der militärisch geschaffenen Fakten.
UZ: Militärisch waren die letzten Monate für Russland erfolgreich, allerdings auch verlustreich. Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung?
Patrik Baab: Die Stimmung der Menschen in Donezk, Lugansk und Mariupol wirkte auf mich kämpferisch-optimistisch. Die Sehnsucht nach Frieden ist groß, allerdings sehen alle Gesprächspartner nicht die Ukraine oder die NATO, sondern Russland als Garant für den Frieden. Mit einer älteren Dame aus Donezk war ich am Grab ihres gefallenen Schwiegersohns. Sie sagte unter Tränen: „Frieden ist das Wichtigste. Aber dieser Krieg wurde uns von Kiew aufgezwungen. Seit 2014 wurden wir von der ukrainischen Armee beschossen. Ich bin jetzt über 70, aber wenn ich zehn Jahre jünger wäre, hätte ich auch die Waffe in die Hand genommen.“ Ein Rentner, der 2022 die Erstürmung von Mariupol erlebt hat und selbst ausgebombt war, wollte sich zunächst bei Präsident Putin für die „Spezielle Militäroperation“ bedanken. Er begründete dies damit, dass russischstämmige Menschen wie er seit dem Putsch auf dem Maidan 2014 von den faschistischen Asow-Milizen in Mariupol drangsaliert und verprügelt worden seien. Die Menschen, die ich sprechen konnte, sehen sich nicht durch die russische Armee besetzt, sondern befreit. Natürlich sind das episodische Erlebnisse. Allerdings ist die Häufung charakteristisch und meine Beobachtungen decken sich mit dem Forschungsstand. Mein Eindruck ist, dass sich die Menschen an den Wiederaufbau ihrer Heimat machen und von Russland Sicherheit, Frieden und Investitionen erwarten.
UZ: Konnten Sie mit Menschen sprechen, die in umkämpften Orten ausharrten, bis die russischen Truppen kamen?
Patrik Baab: Ja, natürlich. Ich habe mit Menschen gesprochen, die unter Beschuss aus Mariupol flohen, nach Polen geflüchtet waren und jetzt wieder zurückgekehrt sind. Ein junger Bauingenieur war gerade dabei, seine alte Wohnung zu renovieren, er hat sofort wieder einen Job bekommen. Ein älterer Mann hat mir berichtet, dass er während der Kampfhandlungen mit seiner Familie im Hausflur übernachtet hat. So haben sie den Beschuss ihres Wohnblocks überlebt. Andere verbrachten die Nächte im Keller. Es gab kein Wasser, keine Heizung, nichts zu essen. Nach der Eroberung der Stadt seien dann russische Hilfslieferungen angekommen. Immer wieder wurde mir berichtet, die ukrainische Armee habe Truppen in Wohngebieten stationiert, um die Menschen zu lebenden Schutzschilden zu machen.
UZ: Wie wurden Sie als deutscher Journalist empfangen?
Patrik Baab: Während in Deutschland inzwischen der Russenhass wieder allgegenwärtig ist, ist mir im Donbass keine Deutschenfeindlichkeit begegnet. Allein die Tatsache, dass ich vor Ort war, hat mir Respekt verschafft. Die Menschen im Donbass, deren Schicksal von den Propagandamedien im Westen jahrelang kaum beachtet wurde, sehnen sich danach, einmal gehört zu werden – auch von der EU. Die meisten Menschen waren sofort bereit, mit mir zu sprechen oder mir weiterzuhelfen. Allerdings gibt es strenge Regularien der Behörden beim Umgang mit deutschen Journalisten – sie kommen in russischer Perspektive aus dem feindlichen Ausland. Ich wurde insgesamt dreimal „filtriert“. Das bedeutet: Der Pass und das Mobiltelefon werden eingezogen, eine Stunde warten, dann Verhör in einer Baracke, dann wieder warten, dann wieder Vernehmung, dann wieder warten, dann wieder Befragung. Es wird ein Bericht abgefasst. Die Prozedur dauerte jeweils drei bis vier Stunden.
UZ: Wie sehen die Menschen im Donbass das deutsche Engagement für die Ukraine?
Patrik Baab: Fast jede Familie im Donbass hatte Tote im Großen Vaterländischen Krieg zu beklagen. Die 27 Millionen Sowjetbürger, die ermordet wurden, verhungert sind oder zu Tode gefoltert wurden, sind hier nicht vergessen. Man erinnert sich noch gut an die weltgrößte Panzerschlacht bei Kursk im Juli 1943. Dass heute wieder deutsche Panzer im Donbass rollen, stellen die Menschen hier in eine Linie mit dem Russlandfeldzug Napoleons 1812, dem Ersten Weltkrieg und dem Angriffskrieg der Hitler-Wehrmacht. Dass die NATO-Osterweiterung unter Einbeziehung der Ukraine von Moskau nicht hingenommen werden kann, ist nach meinem Eindruck in ganz Russland und besonders im Donbass Konsens.
Dabei trennt man sehr genau zwischen deutscher Regierung und den Menschen in Deutschland. Das Gefühl, das mir häufig entgegengebracht wurde, war: Mitleid. Man bemitleidet die Deutschen, weil sie eine Regierung ertragen müssen, welche die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines durch die USA hinnimmt, mit den Sanktionen gegen Russland die eigene wirtschaftliche Basis beschädigt und sich in einen Stellvertreterkrieg gegen Russland immer tiefer hineinziehen lässt.
UZ: Zurück nach Deutschland. Nach ihrem letzten Besuch wurden Sie zur Zielscheibe einer Medienkampagne. Wie sieht es aktuell aus?
Patrik Baab: Die Kampagnen gehen weiter, und das zeigt, dass sie orchestriert sind. Das reicht von denunziatorischen Wikipedia-Einträgen und NATO-affinen Internet-Pöblern wie der dubiosen Organisation NAFU, die auf X dümmliche Beleidigungen knapp unterhalb der justiziablen Schwelle verbreitet; über von der Bundesregierung und der EU-Kommission mitfinanzierte sogenannte Nichtregierungsorganisationen wie Fake Observers, die als Pranger dienen und dem ukrainischen Geheimdienst die Vorlagen für seine Abschusslisten liefern, womit de facto die Verfolgung und Ermordung politischer Gegner an ausländische Geheimdienste ausgelagert wird; über die vom DAAD mitfinanzierte Deutsch-Ukrainische Historische Kommission, wo etwa eine Frau Dr. Wendland proukrainische Geschichtsklitterung betreiben und öffentliche Kampagnen initiieren darf; über den Deutschen Bibliotheksverband, der versucht, die Stadtbücherei Malchin unter Druck zu setzen, so dass sie auf Lesungen mit mir verzichtet; bis zu Bildungsministerinnen, die Zuschussempfänger mit der Drohung unter Druck setzen, Fördermittel zu streichen. Alle ideologischen Apparate – Schulen, Kirchen, Universitäten, Medien, NGOs – wirken zusammen mit dem Ziel, NATO-Propaganda durchzusetzen. Eine besonders ekelhafte Rolle spielen die Journalisten der selbsternannten „Qualitätsmedien“. Sie sind vielfach zu Denunzianten mutiert und lügen durch Weglassen. Sie lassen die Vorgeschichte des Krieges, die tatsächlichen Zusammenhänge und dissidentische Positionen aus der Öffentlichkeit verschwinden und verbreiten teilweise Rassismus und Russophobie. Damit wird die Presse selbst zum schärfsten Zensor und gleichzeitig zum gefährlichsten Kriegstreiber.
UZ: Sie konnten erfolgreich gegen ihren Rauswurf als Lehrbeauftragter vor Gericht vorgehen. Können Sie noch in Ruhe lehren?
Patrik Baab: Nein. Die Kündigung des Lehrauftrags wurde zwar vom Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein für rechtswidrig erklärt. Aber Lehraufträge werden von Semester zu Semester vergeben. Die Christian-Albrechts-Universität (CAU) hat sich geweigert, mir einen Folgelehrauftrag auszureichen. Damit bleibt sie ihrer militaristischen und antidemokratischen Tradition treu: 1914 gehörte die Uni Kiel zu den Verbreitern von Hurra-Patriotismus; während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 wurden dort bewaffnete antidemokratische Freikorps gebildet, welche sich mit den Verteidigern der Weimarer Demokratie in der Kieler Innenstadt Feuergefechte lieferten – und als 1933 die nationalsozialistische Zeitenwende anlief, machte auch die CAU eifrig mit und entfernte jüdische Wissenschaftler. In diesem Zusammenhang will ich auch erwähnen, dass Professoren der CAU teilweise bis heute mit Geheimdiensten zusammenarbeiten. Die Zusmmenarbeit nicht nur des Kieler, sondern des gesamten deutschen Geisteslebens mit der Propaganda der NATO ist bestürzend, nicht nur im Blick auf die Primitivität der mobilisierten Ressentiments und des Russenhasses, sondern mehr noch durch die blinde Unterwerfung unter ihren betont unduldsamen Ausschließlichkeitsanspruch. Aber das zeigt nur das Maß der Selbstgleichschaltung, das von Politikwissenschaftlern bis zu Ökonomen und Juristen reicht.
UZ: Im MDR wurde über Ihre Veranstaltungen in Kamenz berichtet. Auf eine Anfrage des Senders haben Sie ausführlich geantwortet. Berücksichtigt wurde das nicht. Hat der Journalist sich wenigstens persönlich bei ihnen gemeldet?
Patrik Baab: Natürlich nicht, was erwarten Sie von einem Wicht, der schon mit einem Bericht über einen Kaninchenzüchterverein an seine Grenzen käme? In vielerlei Hinsicht ist Martin Dietrich typisch für die ganze Branche: Es äußern sich Lohnschreiber, die selbst nie in Russland oder der Ukraine waren, nicht eingelesen sind in die Konfliktgeschichte, noch nie in ein Kriegs- oder Krisengebiet gereist sind. Sie sind sachfremd im besten Sinne. Ihre Qualifikation besteht darin, dass sie in den Computer gaffen und meinen, die Wirklichkeit schaue heraus. Dort finden sie aber nur die gängigen Vorurteile, die von Dritten nach eigenen Interessen hochgeladen wurden. Was Google ihnen präsentiert, wird dann weiterverbreitet: Einer schreibt vom anderen ab. Die Redaktionsarbeit wird heute zu einem großen Teil von freien Mitarbeitern geleistet, die nach Zeilen oder Sendeminuten bezahlt werden. Damit sie morgen auch noch Aufträge erhalten, schreiben sie das, was ihr Chef lesen will. Diese leitenden Redakteure stehen wiederum transatlantischen Organisationen nahe oder haben mit solchen Organisationen ihre Karrieren gestaltet. Dem MDR habe ich fürs Erste mit auf den Weg gegeben: Wenn Lügen kurze Beine haben, sollte Martin Dietrich Rollsplitt meiden; er könnte sich die Genitalien verletzen.
UZ: Was ist mit dem bürgerlichen Journalismus los?
Patrik Baab: Er ist heruntergekommen zu einer Propagandakompanie. Die Prostitution der Lohnschreiber kennt keine Grenzen. Wissen Sie, was Verkommenheit ist? Kurt Tucholsky hat darüber geschrieben, 1921: „Denn dies eben ist Verkommenheit: Nicht mehr zu fühlen, wie tief man gesunken ist.“
Die Fragen stellte Björn Blach