Ein Gespräch über das Kleinhalten oppositioneller Kräfte und den Einfluss der Geopolitik auf die veröffentlichte Meinung

„Die Medien werden munitioniert“

An der Heimatfront soll Ruhe sein. Regierungskritiker werden mundtot gemacht und ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das keinen Diskurs mehr zulässt. UZ sprach mit dem Bundestagsabgeordneten und Vorsitzenden der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken (UEL) in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats Andrej Hunko (BSW) darüber, wie dieser Prozess abläuft, warum er bis in linke Kreise hineinwirkt und wie US-Institute die deutsche Presse beeinflussen.

UZ: Im Dezember ergab eine Allensbach-Umfrage, dass nur noch eine Minderheit der Deutschen das Gefühl hat, die eigene Meinung frei äußern zu können – ein Rekordtiefstand. Wie ist es nach zwei Jahren „Zeitenwende“ um die Meinungsfreiheit bestellt?

Andrej Hunko: Das Ergebnis dieser Umfrage überrascht mich nicht. Wir haben mittlerweile eine Kultur, in der eine abweichende Meinung dazu führt, dass gleich die ganze Person diskreditiert wird. Das hat aber nicht erst mit der „Zeitenwende“ angefangen. Ich sehe drei Wellen dieser Verengung des Diskurses. In der Corona-Zeit, dann im Ukraine-Krieg und jetzt im Zuge des Krieges in Gaza kamen neue Qualitäten hinzu. Diese verheerende Entwicklung zieht sich bis in das persönliche Umfeld der Menschen, in die Familie, den Freundes- und Kollegenkreis. Während der Corona-Zeit sind Gruppen auseinandergebrochen. Es gab von den großen Medien Vorschläge, wie: Was tun, wenn der Opa schwurbelt? Und was, wenn der Opa ein Putin-Versteher ist? Das betrifft nicht nur die politischen Akteure, sondern alle.

Deshalb ist der Einsatz für Meinungsfreiheit, also der voltairische Gedanke, wichtiger denn je, auch aus linker Perspektive. Im Nachgang des „Was tun?!“-Kongresses in Frankfurt schrieb ein Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung auf „X“, dass der Kampf um Meinungsfreiheit ein „rechter Topos“ sei. Das ist auch ein Ausdruck der Situation, in der wir heute sind.

UZ: Ursprünglich linke Organisationen sind inzwischen Teil dieses Prozesses …

Andrej Hunko: Das liegt daran, dass sich in vielen linken Organisationen – insbesondere in meiner ehemaligen Partei „Die Linke“ – der Moralismus ausgebreitet hat. Damit meine ich ein überaus verkürztes Gut-Böse-Schema, das von vielen jungen „Linken“ aufgenommen wird, während sie sich politisieren. Das Schema ist einfach: Russland ist böse, der Westen ist gut. Diese „Linken“ sagen: Wir sind die Besseren unter den Guten. Die Regierung gehört zwar auch irgendwie zum guten Lager, aber wir kritisieren sie, weil wir die besseren Guten sind. Menschen mit diesem Politikzugang sind instrumentalisierbar für die Phänomene, die ich eben beschrieben habe. Der entscheidende Zugang zu linker Politik, das kritische Hinterfragen von Vorgängen, von Interessen und Machtstrukturen, ist immer mehr ins Abseits geraten.

UZ: Wie sind deine persönlichen Erfahrungen mit den Mechanismen, die kritische Stimmen mundtot machen sollen?

Andrej Hunko: Solche Zurichtungsversuche von oppositionellen Parteien gibt es ja schon länger. Meine ersten Erfahrungen dieser Art habe ich im Jahr 2009 gemacht, als ich zum ersten Mal kandidiert habe. Der „Spiegel“ hatte einen Journalisten geschickt, um sich mit mir zu unterhalten. Über das Gespräch wurde nichts veröffentlicht. Stattdessen wurde ein Labeling vorgenommen, also festgestellt, wo man mich einsortieren muss. Das wurde dann von anderen Medien aufgegriffen. Wir kennen das noch aus der Geschichte der Grünen. Da gab es die Unterscheidung zwischen „Fundis“ und „Realos“ – auch so ein Labeling. Ich habe damals schon beobachtet, dass die Journalisten, die in den großen Medien für „Die Linke“ zuständig waren, ein ähnliches Konzept hatten. Bestimmte Leute, die als zu kritisch galten, wurden runter- und andere hochgeschrieben. Das ist also nichts Neues. Seit Corona und den genannten Ereignissen geht das aber noch sehr viel weiter.

Ich habe im Mai 2020 auf einer Kundgebung gesprochen, an der keine Personen teilnahmen, die irgendwie rechts waren. Dabei habe ich eine kritische, aber nicht fundamental ablehnende Haltung zur Corona-Politik der Bundesregierung geäußert. Ich habe zum Beispiel gesagt, dass es keine Studien gibt, die belegen, dass Kinder besondere Infektions-Spreader seien. Das wurde damals behauptet, heute nicht mehr. Neu war, dass ich danach in die Nähe von Recht­sextremisten gerückt wurde. Das hatte eine andere Qualität. Es wurde noch viel stärker auf die persönliche Integrität gezielt. Ich denke gerade an das damals verbreitete Hashtag „#SterbenmitStreeck“ gegen den Virologen Hendrik Streeck. Kritikern wurde unterstellt, für das massenhafte Sterben von Menschen zu sein oder es zumindest in Kauf zu nehmen.i

Das setzte sich während des Ukraine-Kriegs fort und richtete sich zunächst gegen Sozialdemokraten, die an den Resten der Entspannungspolitik festhalten wollten. Wer von der Forderung abwich, immer weiter Waffen zu liefern, wurde als „Putin-Knecht“ oder als „Relativierer eines Angriffskriegs“ diffamiert – in einer Art und Weise, die es so vorher nicht gab. Es setzte eine massive Cancel Culture ein, zum Beispiel gegen Roger Waters oder Gabriele Krone-Schmalz. Ich selbst habe das auch erlebt, als vermeintlich linke Räume gekündigt wurden, weil ich für Putin sei oder mit Querdenkern geredet hätte.

Zudem habe ich Nachweise darüber, dass die Charakterisierung meiner Person nicht nur aus den deutschen Redaktionsstuben kommt, sondern von US-amerikanischen Instituten, in meinem konkreten Fall vom „Institute of World Politics“. Die haben ein Dossier über mich angelegt und verschicken das an deutsche Medien.

UZ: Was steht in diesem Dossier?

Andrej Hunko: Da steht drin, was ich so alles Böses gemacht habe. Interessanterweise wird behauptet, dass ich ein „Putin-Propagandist“ sei und dass ich Positionen vertrete, wie sie auch ein Putin-Mann in Deutschland vertreten würde. Das ist albern, weil ich mich immer für linke fortschrittliche Oppositionelle gerade in Russland eingesetzt habe. Die russische Regierung sehe ich sehr, sehr kritisch und Putin halte ich eher für einen rechtskonservativen Politiker. Zu meiner großen Überraschung stand in diesem Dossier auch, dass ich im Jahr 2019 „plötzlich“ zum Leiter der Wahlbeobachtungsmission des Europarates in Georgien gewählt wurde. Das stimmt auch, ich war in Georgien und die Mission ist sehr gut verlaufen. Aber so etwas wird in den USA offenbar wahrgenommen und vermerkt. Wenn kritische Leute sensible Funktionen übernehmen, werden die Medien entsprechend munitioniert.

UZ: Wie kann der Widerstand gegen solche Mechanismen gestärkt werden?

Andrej Hunko: Es ist wichtig, dass man diese Kampagnen als solche erkennt und die Interessen aufdeckt, die dahinterstehen. Leider haben das viele Linke bisher nicht getan, sondern sich auch noch daran beteiligt.

Wir leben in einer Welt, die sich geopolitisch immer weiter polarisiert. Neben dem Ukraine-Krieg haben wir den Krieg im Gaza, der starke Anzeichen einer weiteren Eskalation aufweist. Es gibt die Angriffe Israels auf den Libanon, wir haben die Militärkoalition im Roten Meer, die sich möglicherweise gegen den Iran richtet. Deutschland unterstützt das politisch, was ich verheerend finde.

Schon bei Corona war auffällig, dass wir hier nur Impfstoffe aus NATO-Ländern bekamen. Damals, als es sich um eine Menschheitsbedrohung zu handeln schien und überall von Kooperation die Rede war, wurde die Bekämpfung der Gefahr geopolitisiert. Die Impfstoffe aus Russland, China oder Kuba wurden nicht zugelassen, sondern nur diejenigen des eigenen Blocks. Sputnik wurde trotz guter Werte verteufelt – ganz im Gegensatz zum sonstigen Narrativ. Im Zuge dieser geopolitischen Überlagerung wird der Kampf um Meinungsfreiheit und klassische demokratische Errungenschaften immer wichtiger werden. Je mehr sich die Welt geopolitisch polarisiert, desto wichtiger ist es, den wachsenden Druck im Inneren mit dieser Entwicklung zu kontextualisieren und ihm standzuhalten.

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"„Die Medien werden munitioniert“", UZ vom 12. Januar 2024



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