„Nach Assad-Sturz in Syrien: Merz fordert Aufnahmestopp und verlangt Rückführungen“, meldete der „Münchner Merkur“ am 16. Dezember. Friedrich Merz (CDU) ist nicht nur Kanzleraspirant, sondern auch ein Rechengenie, der weiß, wo es lang gehen soll mit den syrischen Migranten in Deutschland. „Zwei Drittel arbeiten nicht, sind ganz überwiegend junge Männer. Und von denen können viele zurück und von denen müssen auch viele zurück“, verrät er der ARD. Und Asylrecht hin oder her: „Aber in jedem Fall ist es richtig, jetzt nicht weitere Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen“, fügte er hinzu. „Denn diejenigen, die kommen könnten, könnten auch Angehörige der Milizen von Assad gewesen sein. Und die können wir nun gar nicht in Deutschland gebrauchen.“ CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt assistierte: „Um die Rückkehr in ihre Heimat Syrien zu unterstützen, muss die Bundesregierung jetzt eine Rückkehr-Roadmap entwickeln. Durch den Wegfall von Fluchtgründen ist in vielen Fällen auch der Wegfall von Aufenthaltsberechtigungen zu erwarten.“
Zum Stichtag 31. Oktober hielten sich laut Ausländerzentralregister 974.136 syrische Staatsangehörige in Deutschland auf. Davon besitzen 321.500 Menschen den anerkannten Flüchtlingsstatus, da sie gemäß Artikel 1a der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ geflohen sind. Eine Abschiebung wäre völkerrechtswidrig, zumal in jedem Einzelfall Beweis geführt werden müsste, dass der individuelle Fluchtgrund gesichert und auf Dauer weggefallen wäre. Weitere 329.250 sind subsidiär Schutzberechtigte – ihr Recht zum Aufenthalt resultiert aus Paragraf 4 des Asylgesetzes (AsylG). Das heißt, die Betroffenen haben stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht, dass ihnen im Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht („die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“).
Auch aus dieser Formulierung geht klar hervor, dass hier nicht etwa nur Gegner der bisherigen Regierung unter Präsident Baschar al-Assad gemeint sind, sondern gerade auch solche Personen, die sich innerhalb der islamistisch dominierten syrischen Teilgebiete befanden, beziehungsweise der Verfolgung durch regionale Warlords oder organisierte Clans ausgesetzt waren.
Schließlich ist die Zahl von 5.100 Syrern zu nennen, die sich rechtskräftig als anerkannte Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland aufhalten. Bei weiteren 58.740 Menschen läuft das Asylverfahren noch. Sie besitzen durchweg eine Aufenthaltsgestattung (zumeist in Form der Duldung), die Bearbeitung dieser Asylanträge wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mittlerweile ausgesetzt. Bis diese zahlreichen Einzelüberprüfungen vom BAMF zu Ende gebracht worden sind und im Ablehnungsfall die Gerichte entschieden haben, werden Jahre vergehen.
Eingebürgert wurden rund 163.500 syrische Bürger, davon allein 75.485 im Jahr 2023. Die hohe Zahl der im vergangenen Jahr Eingebürgerten hängt mit der Absenkung der Bleibedauer von acht auf fünf Jahre zusammen. Alle übrigen syrischen Migranten (circa 95.000) besitzen andere Aufenthaltstitel (zur Ausbildung, zur Arbeit oder im Wege der Familienzusammenführung). Nur nebenbei: Im September 2024 waren in Deutschland 287.000 Menschen syrischer Herkunft (darunter 5.050 Krankenhausärzte) abhängig beschäftigt, davon 82 Prozent – nämlich 236.000 – sozialversicherungspflichtig. Das entspricht einer Beschäftigungsquote von 42 Prozent.
Stellen wir folglich abschließend fest: Allenfalls für höchstens 1.500 Menschen liegt ein unklarer oder offener Aufenthaltsstatus vor. Das Wahlkampfgerede vom generellen Wegfall der Aufenthaltsgründe entpuppt sich als medial aufgeblasener Riesenschwindel.
Der Rückkehrplan der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, was hat er sonst noch zu bieten? „Straftäter und Gefährder müssen sofort abgeschoben werden“, erläuterte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Andrea Lindholz (CSU). Ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt: Auch das ist Mumpitz. Vorab muss man wissen, dass eine Abschiebung wegen strafrechtlicher Delinquenz gesetzlich nur dann möglich ist, wenn zwei Bedingungen vorliegen: Einmal die rechtskräftige Aburteilung wegen einer schweren oder mehreren einzelnen Straftaten. In der Regel geht es um mehrjährige Freiheitsstrafen. Und zum anderen darf kein Abschiebehindernis vorliegen (akute Verfolgung im Herkunftsland, schwere Erkrankungen).
Und „schnell“, wie gerne suggeriert wird, funktioniert dies ohnehin nicht. Warum – das kann man in Paragraf 456a Strafprozessordnung (StPO) nachlesen (Absehen von Vollstreckung bei Auslieferung, Überstellung oder Ausweisung). Die Staatsanwaltschaften stimmen landauf landab einer Abschiebung aus der Haft nur dann zu, wenn mindestens die Hälfte (in Bayern sieben Zwölftel) der Freiheitsstrafe abgebüßt ist. Und wer gern wissen möchte, um welche „syrischen Straftäter“ es hier überhaupt gehen soll, schaut in das „Bundeslagebild Kriminalität im Kontext von Zuwanderung“. Im vergangenen Jahr wurden nach Angaben des Bundeskriminalamtes insgesamt 2.017.552 Tatverdächtige registriert, davon 1.322.571 deutsche (65,6 Prozent) und 694.981 nichtdeutsche Tatverdächtige (34,4 Prozent). Wohlgemerkt „Tatverdächtige“, nicht Abgeurteilte. Bezogen ist das auf alle Straftaten von Beleidigung, Diebstahl, Schwarzfahren bis hin zum Tötungsdelikt. Da die meisten Verfahren später durch die Staatsanwaltschaften eingestellt werden, liegt die Zahl der tatsächlich ausgesprochenen Verurteilungen (zumeist Geldstrafen) für die Jahre 2022 und 2023 bei jeweils knapp 650.000.
Zum Stichtag am 31. März 2023 befanden sich 44.232 Menschen in den Haftanstalten Deutschlands, davon etwas mehr als 350 Gefangene syrischer Herkunft (in etwa gleich viel wie jene italienischer Abstammung). Wie viele davon nur eine mehrwöchige Ersatzfreiheitsstrafe absitzen oder langjährige Haftstrafen, lässt sich anhand der veröffentlichten Statistiken nicht verifizieren. Allerdings hat die Justizverwaltung für das vergangene Jahr folgenden Wert ermittelt: 14.900 deutsche und ausländische Strafgefangene verbüßten Strafen unter neun Monaten (also etwa ein Drittel der Gefangenen). Da in der Regel erst Haftstrafen über zwei Jahren die Gefahr einer Abschiebung auslösen (Paragraf 54 Absatz 1 Aufenthaltsgesetz), kommen mithin höchstens etwa 200 syrische Verurteilte überhaupt für eine Abschiebemaßnahme in Betracht.
Worüber also reden die Scharfmacher in Bund und Land?