Der Kurs der Partei ist gescheitert. „Neustart“ gefordert

„Die Linke“ abschreiben?

Nick Papak Amoozegar ist vor kurzem als Landesschatzmeister der Partei „Die Linke“ in Hessen zurückgetreten. UZ sprach mit ihm über das katastrophale Wahlergebnis und die Perspektiven für linke Politik in der „Linken“.

UZ: Wir unterhalten uns am Montag nach der EU-Wahl. Die Linke ist auf 2,7 Prozent abgestürzt. Wie hast du das Ergebnis aufgenommen?

Nick Papak Amoozegar: Das ist natürlich kein positives Ergebnis. Es hätte aufgrund der aktuellen Situation, vor dem Hintergrund des Krieges und der sozialen Verwerfungen eine starke Linke im EU-Parlament gebraucht. Damit meine ich nicht nur „Die Linke“ als Partei, sondern als europaweite Bewegung. Das Ergebnis geht aber ins Gegenteil.

UZ: Nach dem Austritt der Bundestagsabgeordneten rund um Sahra Wagenknecht hatten die Parteivorsitzenden Aufbruchsstimmung verordnet. Wie hat sich die Partei seitdem entwickelt?

Nick Papak Amoozegar: Seitdem ist relativ wenig Zeit vergangen, in der sich die Partei sehr auf die EU-Wahl konzentriert hat. Wenn wir jetzt aber auf das Ergebnis schauen, dann gehört „Die Linke“ zusammen mit den Grünen zu den größten Verlierern. Meiner Einschätzung nach hat man zu sehr auf die Themen Umwelt und Klima gesetzt. Das hat sowohl der „Linken“ als auch den Grünen geschadet, obwohl die Linkspartei mit dem sozial-ökologischen Umbau ein anderes Konzept hatte als die Grünen. Damit hat man versucht, enttäuschte Grünen-Wähler zu gewinnen. Für die meisten Menschen war das aber nicht das zentrale Thema. Mit der parteilosen Carola Rackete hat der Parteivorstand auch auf die falsche Kandidatin gesetzt. Wir werden darüber sprechen müssen, ob uns das bei der Wahl geschadet hat. In jedem Fall muss man feststellen, dass von Aufbruchstimmung nichts mehr zu sehen ist. Der Parteivorstand muss jetzt gucken, was er falsch gemacht hat. Aber ich befürchte, dass es zu dieser Analyse nicht kommt.

UZ: Muss es dann nicht auch Konsequenzen geben?

240502 Interview Portrait - „Die Linke“ abschreiben? - Die Linke Hessen, EU-Wahl 2024, Linkspartei, Nick Papak Amoozegar - Politik
Nick Papak Amoozegar

Nick Papak Amoozegar: Der Kurs der Parteiführung ist gescheitert. Wir brauchen einen drastischen Kurswechsel. Die Sorgen und Probleme der Menschen müssen wieder in den Mittelpunkt der Parteipolitik gestellt werden. Stattdessen hat sich die Partei auf bestimmte Milieus konzentriert. Das ist ja auch ein Grund, weshalb Parteilose auf aussichtsreiche Listenplätze gesetzt werden: Man vermutet, dass sie sich in Kreisen bewegen, in denen noch Wählerstimmen gesammelt werden können. Das ist ein Fehler. Der Parteivorstand wird die Situation bis zum Parteitag im Oktober nicht verändern wollen. Er wird sicher immer wieder betonen, dass man ja alles gemacht habe, was man machen konnte. Ich persönlich bin der Meinung: Wir sollten nicht bis Oktober warten. Es braucht umgehend einen Neustart der Partei und eine Neuwahl des Parteivorstandes. Frieden und die soziale Frage müssen in den Mittelpunkt gestellt werden. Das wird nicht einfach, aber ohne das verliert „Die Linke“ ihre Existenzberechtigung.

UZ: Du hast aus dieser Entwicklung schon vor der Wahl Konsequenzen gezogen und bist mit drei anderen Genossinnen und Genossen aus dem Landesvorstand der Linkspartei in Hessen zurückgetreten. Warum?

Nick Papak Amoozegar: Hessen war lange ein stabiler linker Landesverband. Aber das hat sich geändert. Der Landesverband wurde immer mehr als Wahlverein organisiert. Man hat nicht hinterfragt, warum viele Mitglieder die Partei verlassen. Dabei hätte man das Gespräch suchen müssen, um die Beweggründe der Genossinnen und Genossen zu erfahren, die nach vielen Jahren der Aktivität gegangen sind. Dann wäre es vielleicht möglich gewesen, gegenzusteuern. Wir haben innerhalb des Landesvorstands immer versucht, etwas zu ändern und uns dafür eingesetzt, Gespräche vor Ort zu führen und die politische Bildung zu stärken. Das war leider erfolglos. Deswegen sehen wir den Landesvorstand nicht mehr als den zentralen Ort für unsere Kämpfe innerhalb der Linkspartei.

UZ: Euch wird vorgeworfen, mit eurem Rücktritt den Wahlkampf gestört zu haben. Was hat wirklich den Ausschlag gegeben?

Nick Papak Amoozegar: Die Entscheidung war schon länger gefallen. Aber ich hatte als Landesschatzmeister die Verantwortung dafür, den Jahresabschluss 2023 vorzubereiten. Ich wollte keine unvollendete Arbeit an jemanden übergeben, der sich so schnell nicht einarbeiten kann. Deshalb haben wir bis zu diesem Zeitpunkt gewartet. Mit der Europawahl hatte das nichts zu tun. Wir hatten auch gar nicht vor, diesen Schritt vor der Wahl öffentlich zu machen.

UZ: In einer persönlichen Erklärung hast du die Abkehr von der Friedensbewegung und das Schweigen der Parteiführung zum Völkermord in Gaza kritisiert. Gibt es in der „Linken“ noch Raum für fortschrittliche Positionen in dieser Frage?

Nick Papak Amoozegar: Ja, den Raum gibt es noch in verschiedenen Kreisverbänden, innerhalb bestimmter Strukturen der Linksjugend und in einigen Zusammenschlüssen. Aber natürlich sind wir da in einer sehr defensiven Position, wenn man bedenkt, dass der Parteivorstand und auch die Bundestagsgruppe schweigen. Diejenigen, die gegen unser Parteiprogramm und gegen unsere Beschlüsse Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten, sind immer noch in entscheidenden Ämtern oder haben Abgeordnetenmandate. Die Bundesregierung schreckt nicht davor zurück, sich an einem Völkermord zu beteiligen, zum Beispiel mit Waffenlieferungen oder durch die Unterstützung Israels in Den Haag. Zudem wird eine Kriegsbereitschaft aufgebaut, die zulasten der Menschen geht. Gegen diese Politik der Ampel gibt es keine wahrnehmbare Opposition unserer Partei. Auf „Die Linke“ ist kein Verlass mehr in der Friedensfrage. Aber es gibt Strukturen, die versuchen auf Grundlage des Erfurter Programms, die Debatte in der Partei wieder voranzubringen. Das ist allerdings schwierig.

UZ: Wie geht es für dich jetzt weiter?

Nick Papak Amoozegar: Wichtig ist, dass sich die bundesweiten Zusammenschlüsse in der Partei, in denen es noch Sozialisten und Kommunisten gibt, viel besser vernetzen. Sie dürfen keine leisen Zwischentöne mehr abgeben, sondern müssen bundesweit zusammenarbeiten, um den Mitgliedern der „Linken“ ein anderes Angebot zu machen. Dafür will ich mich einsetzen. Zentral für mich ist vor allem, ob man die Friedensfrage in Kriegszeiten weiter versucht auszublenden oder ob man wieder Friedenspartei sein will.

UZ: Kurz nach dem Bundesparteitag im November des vergangenen Jahres hatten wir schon einmal miteinander gesprochen. Damals hattest du gesagt: „Ich glaube, dass man „Die Linke“ noch nicht abschreiben kann.“ Und jetzt?

Nick Papak Amoozegar: Es hat sich seitdem nichts geändert. Die Partei entwickelt sich weiter in Richtung Bedeutungslosigkeit. Wenn der Niedergang aufgehalten werden soll, dann braucht es einen anderen Parteivorstand, der sowohl die Friedensfrage als auch die soziale Frage in Mittelpunkt stellt. Aber wann schreibt man eine Partei ab? Wir werden in diesem Jahr noch Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen haben. Also in den ostdeutschen Bundesländern, die früher die Basis dieser Partei gebildet haben. Vielleicht kannst du mich dann noch einmal fragen.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"„Die Linke“ abschreiben?", UZ vom 14. Juni 2024



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Auto.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit