Der Vorwurf, der derzeit gegen Sahra Wagenknecht und ihr gleichnamiges Bündnis erhoben wird, klingt ungeheuerlich: Nach den Landtagswahlen im Osten soll die Partei an den friedenspolitischen Forderungen festhalten, die sie im Wahlkampf versprochen hat – ein für das bürgerliche Demokratieverständnis unerhörter Akt. Zudem hat sich die Parteichefin politischer Äußerungen verdächtig gemacht, die als Einmischung in die Koalitionsgespräche der BSW-Landesverbände gewertet werden. Dabei hatte der oberste „DDR-Experte“ der Republik, Ilko-Sascha Kowalczuk, schon Ende September auf X gewarnt: Wagenknecht sei „eine geschulte Leninistin“. Ihre Partei: „Eine strikt zentralistisch, auf eine Figur zugeschnittene Kaderpartei, in der ausschließlich der Wille der Führerin gilt.“ Wie es richtig geht, machte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz im „Bericht aus Berlin“ vor. „Mit uns wird es eine Abkehr von der NATO, eine Abkehr von der Hilfe für die Ukraine nicht geben“, mischte er sich in die Verhandlungen in Sachsen und Thüringen ein, ohne dass es ihm jemand übelnahm.
Als Hauptbeweisstück gegen das BSW dient die Präambel des Sondierungspapiers, das mit der SPD in Brandenburg ausgehandelt wurde. Dort ist zwar in gängiger bürgerlicher Manier vom völkerrechtswidrigen Krieg „Russlands gegen die Ukraine“ die Rede, der Europa „erschüttert“ habe. Aber es wird auch darauf hingewiesen, dass Brandenburg „durch Artikel 2 Absatz 1 seiner Verfassung dem Frieden verpflichtet“ sei und „die Zusammenarbeit mit anderen Völkern“ anstrebe. Zudem nehme man „die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst, dass sich der Krieg ausweitet und damit das Risiko besteht, dass auch Deutschland in eine sich immer schneller drehende Kriegsspirale hineingezogen wird. Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.“ Die künftige Landesregierung will daher „eine diplomatische Lösung des Ukrainekonfliktes und den Abbau der damit verbundenen Spannungen innerhalb Europas durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden“ vorantreiben. Auch „die geplante Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden“ sehe man „kritisch“.
Dass sich der Krieg nicht einfach abwählen und schon gar nicht in einem Vorwort beenden lässt, dürfte den Wählerinnen und Wählern ebenso klar sein wie den Vertretern des BSW. Für die Durchsetzung von Friedens- und Abrüstungspolitik braucht es den Druck von der Straße und aus den Gewerkschaften anstelle von parlamentarischer Befriedung der Antikriegsstimmung. Inwieweit das BSW dazu beitragen kann, bleibt abzuwarten. Für die junge Partei geht es nicht nur um die Beteiligung an drei Landesregierungen, sondern auch um den Erhalt ihrer Glaubwürdigkeit – und damit ums Überleben. Allein die Tatsache, dass das Bündnis überhaupt daran arbeitet, mit den etablierten Parteien zu koalieren, dürfte den Wählern sauer aufstoßen, die eine echte Alternative zum politischen Einheitsbrei wollten. Allzu große Zugeständnisse kann sich das BSW nicht leisten. Schließlich ist die Opposition gegen den Kriegskurs ein wesentlicher Markenkern der Partei, die in anderen Fragen – etwa in der Migrationspolitik oder in der Betonung des Mittelstandes – durchaus anschlussfähig agiert. Zudem hatte die Friedensfrage auch einen wesentlichen Anteil an der Abspaltung von der Partei „Die Linke“, die zwischen Unentschlossenheit, Äquidistanz und NATO-Anbiederei schwankte – und schwankt. Für diesen Kurs verantwortlich sind nicht zuletzt die Kräfte, die ihre Hauptaufgabe in der Regierungsbeteiligung verorten.
Vor diesem Hintergrund bleibt es wohl ein Geheimnis, weshalb von allen handverlesenen Parteimitgliedern ausgerechnet Bodo Ramelows frühere Parteigängerin Katja Wolf zur BSW-Landeschefin in Thüringen gemacht wurde. Noch im September 2023 hatte Wolf in der „Zeit“ klargestellt: „Ich würde keiner Partei Sahra Wagenknechts beitreten.“ Sie tat es doch. Nun kam es, wie es kommen musste: Mit medialen Alleingängen und einem butterweichen Sondierungspapier mit CDU und SPD, das noch weit hinter dem Brandenburger Kompromiss zurückblieb, lieferte Wolf ausreichend Material, um in den Bürgermedien als Anti-Wagenknecht aufgebaut zu werden.
In der vergangenen Woche traf sich dann der BSW-Bundesvorstand, um dem Thüringer Treiben Einhalt zu gebieten. Einstimmig wurde der Thüringer Landesverband angewiesen, darauf hinzuwirken, dass „die außenpolitische Positionierung der künftigen Landesregierung konkretisiert wird und auch bei landespolitischen Themen im Koalitionsvertrag weit stärker als im aktuellen Sondierungspapier die Handschrift des BSW zu erkennen ist“. Schließlich sei das BSW „nicht als letzte Machtreserve für ein Weiter-so gewählt, sondern dafür, die Politik in unserem Land zu verändern“. Wolf kündigte im Nachgang an, „weiter schärfen“ zu wollen. Soll heißen: Da muss noch mehr kommen. Das gilt jedoch – mit Verlaub – nicht allein für den Thüringer Landesverband.
Update: Am Mittwoch, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ, ist in Sachsen die erste Brombeere geplatzt. Nach übereinstimmenden Medienberichten, beendete das BSW die Sondierungsgespräche im Freistaat, nachdem keine Einigung bei den Themen Frieden, Migration und Finanzpolitik erzielten werden konnte. Ob dieses Beispiel in Brandenburg und Thüringen Schule macht, bleibt ebenso abzuwarten, wie das weitere Geschehen in Sachsen.
Am Dienstag hatte sich Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) im Dresdner Landtag mit dem AfD-Fraktionschef Jörg Urban getroffen, um – wie es im Nachgang hieß – über „landespolitische Themen“ zu sprechen. Von einer möglichen Koalition war zunächst jedoch nicht die Rede. In der CDU gibt es einen Unvereinbarkeitsbeschluss sowohl gegen die AfD als auch gegen die Partei „Die Linke“.