Das Vermögen von Amazon-Chef Jeff Bezos ist laut „Bloomberg“ 2020 um 75,4 Milliarden US-Dollar angewachsen und lag Anfang der Woche bei etwa 190 Milliarden – so ungefähr. Auf ein paar Milliarden kommt es hier nicht an, zudem schwankt der Wert seiner Aktien von Tag zu Tag. Der Trend ist allerdings klar: Bezos ist der reichste Mensch der Welt und wird immer reicher. Und das geht schnell. Bezos gewinnt alle 15 Sekunden das Jahresgehalt einer deutschen Altenpflegerin hinzu – vorausgesetzt, sie hat eine volle Stelle und wird nach Tarif bezahlt.
Sein Reichtum sagt wenig über den Menschen Jeff Bezos aus und viel über Kapitalismus. Der Internationale Gewerkschaftsbund wählte ihn 2014 zum „Schlechtesten Chef der Welt“, das „Time Magazin“ zur Person des Jahres 1999, 2018 erhielt er den „Axel Springer Award“ und jüngst verlieh ihm die Stiftung ethecon den „Dead Planet Award“. Das ist kein Widerspruch, die Auszeichnungen haben ihre Berechtigung. Jemand, der Arbeiterinnen und Arbeiter drangsalieren lässt, ist deshalb kein schlechter Kapitalist – im Gegenteil.
Das von Bezos 1994 gegründete Onlinehandel-Unternehmen wächst und wächst. Mit einem Anteil von über 50 Prozent des Onlinehandels in den USA und etwa einem Viertel in Deutschland dominierte Amazon bereits vor dem Pandemie-Schub das Geschäft. 2020 hat Amazon noch einmal richtig zugelegt. Nach Angaben der österreichischen Tageszeitung „Standard“ hat der Konzern im letzten Jahr weltweit 175.000 Menschen neu eingestellt – zusätzlich zu den über 800.000 bei Amazon direkt Beschäftigten. Da sind Zeit-, Leiharbeiterinnen, Leiharbeiter und Scheinselbstständige noch nicht eingerechnet, ganz zu schweigen von denen, die die angebotenen Dinge produzieren müssen.
Schauen wir auf die Anfänge, dann sehen wir Jeff Bezos, wie er in einer Garage steht und Bücher für den Versand verpackt – so will es die Legende. Ein Absolvent der Princeton University, der darauf verzichtete, wie so viele andere Abgänger einer Elite-Uni als Investmentbanker Geld zu scheffeln. Ein einfallsreicher Nerd, der auf dem Betonboden kniet und Bestellungen für den Versand verpackt. Wie innovativ er denkt, zeigt sich, als er die Idee hat, Knieschoner anzuschaffen, um länger auf dem harten Boden knien zu können. Bis ihm jemand sagt, er könne auch einfach einen Tisch nutzen. Genial, denkt Bezos, schafft Tische an und verdoppelt damit seine Produktivität. So in etwa steht es in „Invent & Wander“ – den gerade erschienenen gesammelten Schriften des Jeff Bezos.
Vielleicht ist Bezos ein Genie, doch für den erfolgreichen Weg vom Online-Buchversand zur Verkaufsplattform, die über 300 Millionen Produkte anbietet, brauchte es keinen Geniestreich. Bezos hat er vor allem eines getan: Er hat die Möglichkeiten genutzt, die sich boten. Dazu gehören Logistikunternehmen, die eine schnelle, günstige und zuverlässige Auslieferung garantieren (und dabei ebenfalls miese Löhne zahlen); die Verbreitung des Internetzugangs und die Monopolisierung der Suche durch Google, die heute Amazon bei jedem denkbaren Produkt unter den ersten drei Ergebnissen anzeigt; Arbeitsgesetze, die schlechte Arbeitsbedingungen ermöglichen und es erlauben, Gewerkschaften mit allen Mitteln draußen zu halten; Steuergesetze, die geschaffen wurden, um Millionären und Milliardären zu ermöglichen, Zahlungen an den Staat weitgehend zu vermeiden. Bezos hat kopiert, was funktioniert, und was sehr gut funktioniert, das hat er aufgekauft, wenn sich die Gelegenheit bot.
Alles legal, wie Amazon-Sprecher immer wieder betonen, wenn Kritik geäußert wird. In der Regel stimmt das, allerdings reizt der Konzern den gesetzlichen Rahmen aus und versucht dabei ihn zu weiten. Am besten kommt Amazon dort zurecht, wo noch gar keine rechtlichen Regelungen bestehen. Als Online-Plattform für Händler aus der ganzen Welt zieht sich der Konzern sogar komplett aus der Verantwortung. Produktsicherheit? Fälschungen? Betrug? Damit hat Amazon nichts zu tun, wenden Sie sich bitte direkt an den Verkäufer.
Jeff Bezos ist ein Vorzeigekapitalist. Dazu gehört, dass alles, was bei Amazon verdient wird, von ihm wieder in den Konzern investiert wird. Aber das reicht nicht. Im Jahr 2017 soll allein das Forschungsbudget des Konzerns 16 Milliarden US-Dollar betragen haben. 16 Milliarden, die eingesetzt wurden, um zu erforschen, wie der Monopolist noch mehr Umsatz und noch mehr Profit machen kann. Doch der Gewinn lag im Vorjahr nur bei 2,4 Milliarden US-Dollar. Woher also kommt das Geld? Bezos konnte den Expansionskurs finanzieren, weil der Wert seines Unternehmens stetig stieg. Der Preis einer Aktie von Amazon liegt heute bei 3.200 US-Dollar (Stand 4. Januar). Am ersten Ausgabetag 1997 lag der Kurs bei 15 US-Dollar. Bezos erhielt damals durch den Verkauf von Unternehmensanteilen 50 Millionen US-Dollar, die er einsetzte, um Amazon zu vergrößern. Die Anleger setzten in erster Linie darauf, dass Amazon in Zukunft weiter rasant wächst und der Aktienkurs steigt. Dass Amazon jahrelang – gerade im Onlinehandel – Verluste einfuhr, schreckte sie nicht. Solange das Onlinehandels-Monster schnell wächst, geht die Strategie auf.