Die Kunst des Abschottens

Christoph Hentschel über die Asyl-Debatte in der CDU

Der Ton in der Union wird rauer. Im Kampf um die Nachfolge von Angela Merkel versuchen sich die Kontrahenten von einander abzusetzen. Friedrich Merz versuchte es zuletzt mit seiner Forderung, das individuelle Asylrecht abzuschaffen, um automatisch, ohne Prüfung des Einzelfalles, abschieben zu können. Dazu wäre eine Änderung des Grundgesetzes nötig. Und hier liegt genau der Stolperstein, über den Merz jetzt zu fallen droht.

Merz greift das Asylrecht an, da gehen die meisten Christdemokraten ohne zu murren mit. Die Verfassung dafür zu beschneiden, stellt dagegen für viele CDUler ein „No-Go“ dar. Genau diesen feinen Unterschied nutzt jetzt Merz‘ Rivalin Annegret Kramp-Karrenbauer für sich aus. Sie kontert in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Es sei natürlich möglich, das individuelle Asylrecht im Grundgesetz abzuschaffen, aber was bringe das in der Realität? Sie verweist darauf, dass die meisten Asylsuchenden nicht auf Grundlage des Grundgesetzes in Deutschland Schutz suchen, sondern sich auf die Genfer Konvention und ihre Zusatzprotokolle oder auf europäisches Rech berufent.

Kramp-Karrenbauer gelingen mit dieser Argumentation drei Dinge. Sie kann sich medial als die in der Union darstellen, der das Asylrecht wichtig ist und zugleich klarstellt, dass man nicht „irgendetwas beschließen könnte, das diesem Kontinent auf alle Zeit das Thema Migration erspart“. Sie kann sich gleichzeitig als die profilieren, mit der noch mehr Abschottung möglich ist – auch ohne die Merzsche Verfassungsänderung. Ein „System der flexiblen Solidarität“, wie sie es nennt, macht es möglich. Und zuletzt kann sie Friedrich Merz vorführen als denjenigen, der über das Ziel hinausspurtet und das Maß des Regierens aus den Augen verliert. Nicht umsonst betitelt die „Frankfurter Allegemeine Sonntagszeitung“ Kramp-Karrenbauers Interview mit „Merz ist naiv“.

Aber ihr gelingt noch ein weiterer Hieb. Während Merz nörgelt und der Bundesregierung „Staatsversagen“ in der Flüchtlingsfrage im Jahr 2015 unterstellt, nützt sie die Gelegenheit und präsentiert sich als patriotische Macherin: „Ganz ehrlich: Ich hatte damals als Ministerpräsidentin keine Zeit, solche Debatten zu führen. Ich hatte alle Hände voll zu tun, dass der Staat eben nicht versagt.“

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"Die Kunst des Abschottens", UZ vom 30. November 2018



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