Alno einmal mehr vor dem Aus

Die Küche brennt

Von Manfred Dietenberger

Gar nicht despektierlich

„Der Zweck des Unternehmens ist nicht die Küchenherstellung. Der Zweck des Unternehmens ist der ökonomisch messbare Erfolg. Mittel zum Zweck sind Küchen, sind – ganz wichtig – Mitarbeiter, sind Kunden. Und ich meine das gar nicht despektierlich. Das ist Mittel zum Zweck, das ist nicht Selbstzweck. Ich brauche keine Mitarbeiter, wenn ich nicht in den Werken auf Profit setze.“

(Der früherer Alno-Vorstandschef Jörg Deisel 2010 zu seinen unternehmerischen Zielen)

Der Aufstieg des Nijaz Hastor

Die Karriere von Nijaz Hastor, Gründer des Familienkonzerns, begann bei der Tvorinica Automobila Sarajevo, wo von den siebziger Jahren bis zum Beginn des Bosnienkriegs (1992 bis 1995) VW-Modelle produziert wurden: Der gelernte Ingenieur kaufte in den neunziger Jahren mehrere Autoteilehersteller in Slowenien und belieferte den deutschen Großkonzern. Nach Kriegsende baute Hastor sein Unternehmen, das auch andere europäische Automarken mit Gurten, Bremsen, Sitzbezügen oder Getriebegehäusen ausstattet, kontinuierlich aus. In Deutschland, wo Prevent seine Ländergesellschaft von Wolfsburg aus steuert, wurde der Sitzzulieferer Car Trim und der Gussteilhersteller ES Automobilguss aufgekauft. Zudem hält Prevent eine Beteiligung am VW-Werk der bosnischen Hauptstadt.

Hastors Söhne Kenan und Damir sind mit der Diversifikation des Familienunternehmens beschäftigt. Unter ihrer Regie werden heute auch Herrenkleider, Polstermöbel für das Einrichtungshaus Ikea oder Jachten produziert. Einer der Söhne stieg über die Beteiligungsgesellschaft Tahoe Investment beim nun insolventen Küchenhersteller Alno ein. Laut „FAZ“ erwägt das Brüderpaar auch, ein Angebot für die staatliche Versicherungsgruppe Sarajevo Osiguranje. Zuvor hatte Prevent bereits im Bankensektor investiert.

Über dem Küchenhersteller Alno im oberschwäbischen Pfullendorf kreist wieder einmal der Pleitegeier. Das Unternehmen hat Insolvenz angemeldet. Bei dieser Insolvenz behalten allerdings die bisherigen Inhaber das Sagen.

Alno ist mit 2 100 Beschäftigten Deutschlands zweitgrößter Küchenhersteller und neben dem Sanitärhersteller Geberit mit 1 500 Beschäftigten zweitgrößter Arbeitgeber vor Ort. Im Sommer 1995 brachte die Eigentümerfamilie Nothdurft das Unternehmen an die Börse. Vorstandschef Arthur Nothdurft präsentierte dazu in Stuttgart stolz die Unternehmensdaten, malte in den leuchtendsten Farben das Bild einer vor Kraft strotzenden Firma mit großer Zukunft. Dies beeindruckte dann auch viele Anleger, die rund 30 Euro für eine Aktie zahlten.

Doch schon innerhalb des ersten halben Jahres verloren sie 20 Prozent ihres Einstandspreises. Die Nachfahren des Schreiners Albert Nothdurft, der das Unternehmen 1957 nach Pfullendorf gebracht hatte, steckten für ihre Anteile viele Millionen in ihre Privatschatulle. Das war nur der Anfang des nun über zwei Jahrzehnte dauernden Abstiegs. Verluste, Arbeitsplatzabbau und Wechsel in der Führungsetage und Wandel der Eigentumsverhältnisse sind seither fast jährlich wiederkehrende Elemente der weiteren Firmengeschichte.

Nie mehr erreichte die Alno-Aktie ihren Ausgabekurs von knapp 60 DM. Schon 2002 war sie nur noch 1,80 Euro wert, und Ende Juli 2017 dümpelt die Aktie auf dem Ramsch-Niveau von 17 bis 20 Cent. Schlagzeilen wie „Alno scheint Kehrtwende gelungen“, „Erholung beim Küchenbauer“ und „Alno arbeitet sich aus der Krise“ der Jahre 2004, 2010 und 2014 nährten zwischendurch die Hoffnung der Beschäftigten in den deutschen Alno-Werken in Pfullendorf, Enger (NRW) und Coswig (Sachsen-Anhalt).

Ende 2016 hat die bosnische Industriellenfamilie Hastor mit ihrer Tahoe Investors GmbH bei Alno ein Gesamtstimmrechtsanteil von 40,61 Prozent erworben, dann Alno ein Darlehen über 20 Mio. Euro gewährt und damit die totale Kontrolle bei Alno übernommen.

Die Insolvenz ist nicht nur für die „Alnojaner“, wie sie sich selbst stolz nennen, sondern auch für Menschen in der Region rund um Pfullendorf ein herber Schlag. Die Betriebsratsvorsitzende und Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende Waltraud Klaiber berichtet, ihre Kolleginnen und Kollegen seien „verärgert, wütend, ohnmächtig und enttäuscht“, und befürchtete das Aus von Alno und den Verlust ihres Arbeitsplatzes. Dies, obwohl sie Anfang des Jahres doch – wie schon häufig zuvor – den Plänen zum weiteren Stellenabbau zugestimmt hatten.

Für alle Gekündigten sollte es eine Abfindung geben und die Möglichkeit, in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Die Weiterbeschäftigten erklärten sich bereit, abermals Opfer zu bringen und auf Teile ihres Urlaubs- und Weihnachtsgeldes verzichten. Man fragt sich, ob sich Hastor diesmal selbst an den eigenen Haaren – sprich mit dem eigenen Geld – aus dem Schuldensumpf ziehen will? Eher nein. Ist die Insolvenz in Eigenverwaltung vielleicht nur ein weiterer raffinierten Schachzug, um den Beschäftigten, Gläubigern und Lieferanten weiteres Geld aus den Taschen zu ziehen und Alno ganz zu übernehmen?

Denn damit erlangt Hastor deutlich mehr Kontrolle über die eigenen Konten und über das eigene Vermögen – mehr als bei der Einsetzung eines Insolvenz-Verwalters von außen. Alno muss nun die Gehälter nicht mehr aus der eigenen Tasche bezahlen. Für die Dauer von maximal drei Monaten übernimmt das ein spezieller Sicherungsfonds der deutschen Wirtschaft, in den alle Firmen einbezahlen. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt das Geld aus. Außerdem wird Alno jetzt bei der Entrichtung der Umsatzsteuer entlastet, und dauerhafte Zahlungsverpflichtungen wie Mieten, Pachten und Zinsen müssen für die Dauer des Verfahrens nur noch teilweise entrichtet werden.

Man sei zuversichtlich, dass „das Insolvenzverfahren auch eine Chance bietet, insbesondere wenn man den eingeschlagenen Spar- und Restrukturierungskurs rigoros weiter verfolgt“,  ließ Betriebsratsvorsitzende Klaiber die örtliche Presse wissen. Jetzt gelte es, alles auf den Prüfstand zu stellen und kein Geld mehr zu verschleudern. Wer diese Sätze liest, stellt sich die Frage, ob die Alnojaner nun wirklich Grund zur Zuversicht haben. Mag ja sein, dass Alno oder mindestens Teile davon noch einmal dem Aus entkommen. Ohne massiven, aktiven gewerkschaftlichen Kampf der Beschäftigten mit ihrer IG Metall aber wird sich bei Alno der sprichwörtliche Schrecken ohne Ende bald in ein Ende mit Schrecken verwandeln.

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"Die Küche brennt", UZ vom 4. August 2017



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