Bedingungen des Friedens
Die Friedensverhandlungen gehen weiter – die Repressionen gegen Linke auch.
Bei all den unterschiedlichen und wichtigen Signalen, die in den letzten Monaten aus Kubas Hauptstadt Havanna kommen, gerät eines, das für Lateinamerika nahezu die gleiche Bedeutung haben würde, medial ins Hintertreffen: Seit fast drei Jahren sprechen die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens – Volksheer (FARC-EP) und die Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos über Bedingungen für einen dauerhaften Frieden in Kolumbien. Nach sechseinhalb Jahrzehnten Bürgerkrieg mit hunderttausenden Toten und Millionen Binnenflüchtlingen und Exilierten sind die Verhandlungspartner nach Worten des obersten Guerilla-Kommandanten „so weit wie nie“. Timoleón Jiménez erwähnt die erreichten Teilabkommen in den Punkten 1, 2 und 4 der Agenda (Landfrage, politische Partizipation der Opposition und illegale Drogen); über Punkt 5 (Kriegsopferentschädigung) wird seit längerer Zeit und auch gerade in der 40. Verhandlungsrunde geredet. Dabei ist für die Guerilla klar, dass keines ihrer Mitglieder in ein Gefängnis gehen wird, während die Regierung auf einer Strafverfolgung besteht. Dass unterdessen die Verfolgung der unbewaffneten Linken in Kolumbien immer weiter geht, davon zeugen die Zahlen: Seit Jahresanfang sind 69 Menschenrechtler/innen und politische Aktivist/inn/en ermordet worden, weitere 25 entgingen den Attentaten. Und: Es gibt 9 000 politische Gefangene im Land, deren Freilassung vor einer FARC-Unterschrift unter ein Friedensabkommen stehen müsste. Günter Pohl
Eine im Aussterben begriffene Amphibie, die auf einen Namen getauft wurde, der auf die FARC anspielt, und ihr Entdecker, ein US-Biologe, der in Kolumbien lebt, werden stigmatisiert.
„Kröte“ ist ein kontroverses Wort in der Politik des Landes. Im negativen Sinn wird im volkstümlichen Sprachgebrauch mit „Kröte“ ein Verräter benannt, der seine Ideologie verkauft hat.
In der politischen Literatur gibt es den Terminus „eine Kröte schlucken“ für die Bereitschaft einer gesellschaftlichen Gruppe Konzessionen zu machen um zum Allgemeinwohl beizutragen, wie es im aktuellen Friedensprozess geschieht. Sprecher der traditionellen Parteien nutzen den Begriff um auf die Kompromisse anzuspielen, die bei den Verhandlungen mit den Aufständischen in Havanna gemacht werden; so die politische Teilhabe der Guerilleros oder die Möglichkeit, dass diese nach einem Friedensschluss nicht ins Gefängnis müssen.
Die Guerillagruppe hat tatsächlich schon einige Kröten schlucken müssen. Wie weiterverhandeln nach dem Mord am damaligen FARC-Kommandanten Alfonso Cano? Oder nach der Tötung von „Mono Jojoy“? Oder kürzlich, als zwei ihrer Verhandlungsführer im Bombenhagel getötet wurden, als sie bei ihrer Einheit Verhandlungsergebnisse vorstellten. Und die gesellschaftlichen Bewegungen schluckten große Kröten, als sie bei den letzten Wahlen zur Wahl von Santos aufriefen, um die Friedensverhandlungen zu sichern.
Hier aber soll es nicht um den Gebrauch des Begriffs gehen, sondern um eine echte Kröte. Und zwar eine endemische kolumbianische Spezies, die im Oktober 1985 vom Biologen John Douglas Lynch, einem in Kolumbien lebenden US-Amerikaner, in einem Wald des Weilers Las Tres Marías entdeckt wurde, bei der Ortschaft Albán.
Professor Lynch entdeckte, dass die dem Tierchen nächste Umgebung die FARC-Einheiten waren, die diese Gegend als Durch- und Rückzugsgebiet nutzten. Und er sah, dass die Guerilleros den Schutz der Umwelt als Prinzip lebten.
Deshalb taufte er die neue Spezies „Atelopus farci“ – weil sie der Art der Atelopus-Amphibien angehört, und in Anerkennung ihres Hüters nach den FARC. Lynch hatte zuvor eine Spezies Jorgevelosci genannt, eine andere Carranguerorum, in Anerkennung des verdienstvollen musikalischen Werks von Jorge Velosa und seiner Gruppe „Los Carrangueros de Ráquira“.
Bis dahin schien alles gut. Obwohl die Meinung in der wissenschaftlichen Welt geteilt war in die, die sagten, dass Professor Lynch das Recht hatte, neue Spezies zu nennen wie ihm beliebte, und die, die im Falle der Kröte der FARC meinten, dass hier eine Haltung der Sympathie für die Aufständischen durchschien.
Die Diskussion wurde dann aber zuletzt heftiger, als in Bogotá eine Gruppe von Herpetologen (Kriechtierkundlern) zusammenkam, die besorgt über die Verbreitung eines tödlichen Pilzes sind, der verschiedene Spezies bedroht. Man entdeckte, dass „Atelopus farci“ immun ist. Aber um sie in das Universalregister geschützter Arten einzufügen, verlangte man von ihrem Entdecker den Namen zu verheimlichen.
Der Wissenschaftler musste dem Druck der Kollegen nachgeben. Das heißt, dass die Kröte der FARC ebenfalls zu einem Opfer des Konflikts geworden ist. Oder vielmehr der Radikalisierung und Atomisierung der kolumbianischen Gesellschaft, was den Frieden angeht. Einige Journalisten, die zum Thema geschrieben haben, fragen sich nun, wie weit die kolumbianische Gesellschaft vorbereitet ist für das „Krötenschlucken“ eines eventuellen Friedensprozesses.
Übersetzung: Günter Pohl