Irkutsk hat seit 2015 einen kommunistischen Gouverneur

Die kommunistische Ausnahme

Von Alexander Melinz, KPÖ Steiermark

Irkutsk und die Baikalregion sind nicht nur landschaftlich bemerkenswert. Die Region hat in den letzten Jahren politisch für Aufsehen gesorgt. Anlass dafür war Sergej Lewtschenko, Kommunist und seit 2015 Gouverneur des Oblasts. Seine Wahl hat bis weit über die Grenzen Russlands Wellen geschlagen. Ein Gouverneur, der nicht der aktuell herrschenden Partei im Kreml angehört, hat in Russland Seltenheitswert. Dass Lewtschenko in die Stichwahl gekommen ist, hat vor allem zwei Gründe. Erstens sind die Menschen zunehmend unzufrieden mit der Politik von Putins Partei „Einiges Russland“. Hat diese anfangs den völligen Ausverkauf des Landes an westliche Konzerne gestoppt und für einen gewissen Aufschwung gesorgt, so gibt es immer stärkeren Widerstand gegen die neoliberale Sozialpolitik, sinkende Löhne und einen Fahrplan ganz im Sinne der russischen Oligarchie. Als Beispiel hierfür seien auch die Proteste genannt, die in den letzten Monaten gegen die Anhebung des Pensionsalters veranstaltet wurden – zu großen Teilen getragen von der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF). Zweitens hat Lewtschenko den Ruf, ehrliche Sozialpolitik zu betreiben. Lewtschenko steht innerhalb der KPRF am linken Flügel und gilt als Vertrauensmann jener, die an der Partei eine gewisse Lethargie, ein Paktieren mit Putin und so manchem Großunternehmer zu Lasten einer klaren Linie im Sinne der arbeitenden Menschen kritisieren.

Der Gouverneur eines Oblasts kann sich, ähnlich wie etwa der US-Präsident, sein Regierungsteam selbst zusammenstellen. Dies hat Lewtschenko die Möglichkeit gegeben, ein Regierungsprogramm mit klarer sozialer Ausrichtung anzugehen, obwohl die KPRF 2015 nur 5 von 43 Sitzen im Regionalparlament gewonnen hat. Gleichzeitig wurde ein Fünfjahresplan 2018 – 2023 ausgerufen, der die Region sozial und wirtschaftlich im Sinne der Bevölkerung weiterentwickeln soll. Teil der Entwicklung dieses Plans war es, Expertinnen und Experten sowie Aktivisten aus verschiedenen Ländern zu einer Konferenz zu laden, um Meinungen und Erfahrungswerte zu verschiedenen Politikfeldern auszutauschen. Für die inhaltliche Ausgestaltung der Konferenz, die unter dem Titel „Alternativen einer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung auf regionaler Ebene“ abgehalten wurde, war der linke russische Publizist Boris Kagarlitzki gemeinsam mit der marxistischen Politikwissenschaftlerin Radhika Desai und dem Marxisten und Ökonomen Alan Freeman verantwortlich. Insgesamt waren Referenten aus elf Ländern geladen, darunter Russland, China, Vietnam, Indien, Kanada, Österreich und Britannien.

Der erste der zwei Konferenztage widmete sich den Beiträgen der internationalen Gäste. Thema war unter anderem die Frage einer Wirtschaftsentwicklung jenseits von neoliberalen Dogmen und die Rolle von sozialpolitischen Maßnahmen verschiedener Ausgestaltung auf regionaler Ebene. Neben den genannten Initiatoren der Konferenz sprachen unter anderem der marxistische Ökonom Prabhat Patnaik, der Vorsitzender der Planungskommission des indischen Bundesstaates Kerala war. Die Idee einer 5-Jahres-Planung, welche in hiesigen Gefilden als zum Scheitern verurteilt abgekanzelt wird, ist in Russland und vielen Ländern Asiens ein probates Mittel der Regierungspolitik auf verschiedenen Ebene. Unter vielen interessanten Beiträgen ist auch jener des chinesischen Ökonomen Ding Xiaoqin zu nennen, der in die Entwicklung der „Neuen Seidenstraße“ eingebunden ist. Er sprach vor allem über die Rolle des Staates im chinesischen Sozialismus. Tag zwei widmete sich den Beiträgen russischer Referenten, auch Minister aus Lewtschenkos Regionalregierung kamen zu Wort, so etwa die Ministerin für Arbeit oder der Landwirtschaftsminister. Anschließend fand eine öffentliche Sitzung der Planungskommission von Irkutsk statt.

Die vom Kommunisten Sergej Lewtschenko und seiner Regierung gesetzten Maßnahmen hatten schon vor dem offiziellen Start des Fünfjahresplans merkbare Auswirkungen. Ausgehend von der Feststellung, dass durch „‚die unsichtbare Hand des Marktes‘ unmöglich soziale und ökonomische Systeme verwaltet werden können“, wurde im Rahmen der Möglichkeiten einer Regionalregierung, versucht dem entgegenzusteuern. „Moderne Gesellschaften brauchen einen langfristigen, evidenzbasierten Plan für soziale und wirtschaftliche Entwicklung“, heißt es in einer Broschüre zur bisherigen Aktivität. Lewtschenko hat in den ersten Jahren zählbare Erfolge verbuchen können. So wurden beispielsweise die Einnahmen der Region und damit das Budget beträchtlich gesteigert, was vor allem durch eine Erhöhung der Unternehmensbesteuerung erreicht wurde. Gleichzeitig wurden die Mittel für Soziales deutlich erhöht und Verbesserungen im Gesundheits-, Bildungs- und Wohnungsbereich vorgenommen. Die Bevölkerung weiß den kommunistischen Ansatz zu schätzen. Bei den Wahlen zum Regionalparlament im September dieses Jahres legte die KPRF deutlich zu und wurde mit 34 Prozent der Stimmen und 18 von 45 Mandaten stärkste Partei.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die kommunistische Ausnahme", UZ vom 21. Dezember 2018



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Tasse.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit