Auszüge aus dem Referat der 3. PV-Tagung

Die Klassenfrage als Dreh- und Angelpunkt

Am vergangenen Wochenende tagte der DKP-Parteivorstand in Essen, 20 Mitglieder des Parteivorstandes waren per Video zugeschaltet. Wir veröffentlichen im Folgenden Auszüge aus dem Referat des Parteivorsitzenden, Patrik Köbele, mit dem Thema „Reaktionärer Staatsumbau?! – Anforderungen an Strategie und Taktik – Bundestagswahlen 2021“. Das komplette Referat gibt es unter www.unsere-zeit.de

Für die Bewältigung der kapitalistischen Krise und für die Hochrüstungsprogramme müssen ökonomische Ressourcen mobilisiert werden. Dafür lässt sich die Pandemie nutzen. Mit ihr werden bereits heute dramatische Angriffe auf die soziale Situation der Arbeiterklasse, aber auch auf die der Kleingewerbetreibenden gefahren. Diese werden sich noch massiv verschärfen. Die Pandemie kam dafür wie gerufen. Mit ihr lässt sich davon ablenken, dass wir es mit einer kapitalistischen Krise zu tun haben, deren Beginn weit vor dem der Pandemie lag. Hilfsprogramme für Banken und Konzerne lassen sich als pandemiegetrieben verkaufen, Hochrüstung lässt sich klammheimlich weiter durchsetzen. Die Kosten für beides waren dann pandemieverursacht und die neue Staatsverschuldung muss wieder reingeholt werden – schließlich steht die Schuldenbremse ja im Grundgesetz und wurde nur wegen der Pandemie ausgesetzt. Unruhe, die sich regt, kann man exzellent in falsche Richtungen orientieren, entweder zu realen Verschwörungstheorien oder man diffamiert sie als solche – eine spannende Klaviatur für den ideologischen Kampf der Herrschenden.

patrik koebele 2016 - Die Klassenfrage als Dreh- und Angelpunkt - - Hintergrund
Patrik Köbele

Wie wird sich dieser Angriff auf die soziale Lage der Arbeiterklasse und der Werktätigen äußern? Eine gleichmäßige Breitseite gegen die gesamte Klasse, gegen alle Werktätigen, will man verhindern. Die Spaltung lässt sich schon am Beispiel der Kurzarbeit gut erkennen. Manche werden fast bis zur Höhe ihres alten Nettogehalts aufgestockt, andere landen bei 60 bis 67 Prozent. Allen wird aber vermittelt, Kurzarbeitsgeld sei eine staatliche Wohltat. Die Wahrheit, dass mit den Beiträgen der Arbeiter und Angestellten die Betriebe subventioniert werden, ist im Bewusstsein kaum vorhanden.

Es wird eine Insolvenzwelle geben, die Kleinbetriebe, Kleingewerbetreibende und Kulturschaffende ganz massiv trifft. Sie wird am stärksten in Branchen sein, in denen die Beschäftigten kaum organisiert sind, zum Beispiel in der Gastronomie, dem Fremdenverkehr und im Kulturbereich. Darüber hinaus wird es zu Insolvenzen bei vielen Automobilzuliefern kommen. Arbeitsplatzabbau droht unter anderem massiv in der Automobilindustrie, im Maschinenbau und in der Stahlindustrie. Der ausgegrenzte Teil der Klasse wird massiv wachsen und die Kapitalisten werden versuchen, das für neue Angriffe auf die Arbeitsverhältnisse zu nutzen – das unbefristete Vollzeitarbeitsverhältnis soll zu einer Ausnahmeerscheinung werden. Das alles droht, wenn nicht Kämpfe der Betroffenen, die Solidarität der Klasse, aller Werktätigen dem etwas entgegensetzen.

Eine weitere Form der Krisenabwälzung wird eine neue Welle der Privatisierung öffentlichen Eigentums sein. Das wird die Kommunen, vermutlich aber auch weiterhin das Gesundheitswesen und alle Bereiche der sogenannten Daseinsvorsorge, nicht nur in den Kommunen, betreffen. Nicht auszuschließen ist eine neue Offensive der Privatisierung im Bereich des Nah- und Fernverkehrs. Hierzu werden die kommunalen Haushalte weiter ausgeblutet werden, neben der Privatisierung drohen hier der Abbau von Leistungen beziehungsweise deren Verteuerung. Perfide wird man das weiterhin auch mit dem Kampf gegen die Klimakatastrophe begründen. Ganz aktuell führt in Essen die unsoziale CO²-Steuer zu einer Erhöhung der Gas-, also der Heizkosten, für private Haushalte um mindestens 5 Prozent. (…)

Die Klassenanalyse spielt im Massenbewusstsein kaum eine Rolle. Das ist der Nährboden, auf dem tatsächliche Widersprüche zu falschen Theorien führen. Berechtigte Fragen, zum Beispiel wer an Impfstoffen verdient oder die Erinnerung an die Vogelgrippe, führen dann zur falschen Ablehnung von Impfungen oder zu wilden Theorien über Bill Gates. Die völlig berechtigte Skepsis, dass die Bill-Gates-Stiftung Gutes für die Menschheit und nicht Gutes für die Familie Gates im Schilde führe, führt zu einer Gegnerfokussierung auf den Kapitalisten Bill Gates anstatt auf den Kapitalismus als System. Das richtige Erkennen der Instrumentalisierung der Pandemie für Notstandsübungen führt zur Verwischung der wahren Herrschaftsverhältnisse. Man wünscht sich Merkel und Drosten ins Gefängnis, aber das dahinter stehende Monopolkapital bleibt außen vor. Das reibt sich die Hände und verdient Milliarden. Das Spüren einer medialen Gleichschaltung führt dazu, dass davon abweichende Meinungen auch dann gerne aufgegriffen werden, wenn sie völlig unhaltbar sind.

Das alles ergibt sich auch daraus, dass dieser reaktionäre Staatsumbau eine ideologische Komponente hat, und zwar nicht zu knapp. Selbst Wikipedia bringt die Einführung von Privatfernsehen in den Zusammenhang mit der sogenannten „geistig-moralischen Wende“, also dem Beginn der Kanzlerschaft von Helmut Kohl. Und obwohl Medien natürlich, denkt man nur an die Presse, schon kurz nach der Befreiung vom Faschismus wieder in den Händen des Großkapitals waren, war das nochmal eine Zäsur. Diese Zäsur führte dazu, dass es im bürgerlichen Medienapparat kaum noch möglich ist, Dinge kritisch zu hinterfragen, dass sich Journalisten entweder selbst anpassen oder aufgrund des Drucks gar nicht mehr in der Lage sind, gründlich zu recherchieren. Es gibt bei uns Diskussionen, ob die Begrifflichkeit richtig ist, mir fällt aber tatsächlich keine andere Begrifflichkeit ein, um die Wesensveränderung, die es gab, zu kennzeichnen, als die der Gleichschaltung der bürgerlichen Medien. Diese Tendenzen zur Gleichschaltung gibt es aus meiner Sicht aber keineswegs nur in den Medien, auch in der Bildung und Kultur sind sie zu erkennen. Man kann also durchaus davon sprechen, dass der ideologieproduzierende Apparat an Bedeutung gewonnen hat. Und leider müssen wir auch feststellen, dass er seine Fähigkeiten, mit den Widersprüchen umzugehen, perfektioniert hat. Um vom Grundwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital abzulenken, nimmt er vieles in Kauf, selbst die Infragestellung des ideologieproduzierenden Apparates selbst. Solange jemand „Lügenpresse“ ruft und dann AfD wählt, ist er für das Monopolkapital keineswegs verloren.

Warum ist die Klassenfrage im Massenbewusstsein marginalisiert? Auch hier gibt es mehrere Ursachen. Nach wie vor wird ein Teil der Arbeiterklasse ökonomisch eingebunden. Das geht mit geringen Zugeständnissen, kann man doch immer vorführen, dass es den Werktätigen in anderen Ländern, die unter anderem vom deutschen Imperialismus ausgeblutet werden, noch schlechter geht. Auf diesen Teil der Arbeiterklasse wirkt die Ideologie von der angeblichen Sozialpartnerschaft, die gegebenenfalls noch mit Standortdenken garniert wird. Standortdenken ist ein guter Nährboden für Nationalismus und Rassismus. Beides ist den Herrschenden nicht unwillkommen, spaltet es doch die Ausgebeuteten.

Andere Teile der Arbeiterklasse, das sogenannte Prekariat, sind weitgehend von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben abgeschnitten, viel schlimmer noch, sie sind weitgehend kein Bestandteil der gewerkschaftlichen Solidarität. Über Jahrzehnte hat man es, auch mit Hilfe des Ideologieapparats, geschafft, eine Stigmatisierung als „Sozialschmarotzer“ zu erzeugen. Das verhindert die Solidarität anderer Teile der Arbeiterklasse, wirkt aber natürlich auch auf den ausgegrenzten Teil selbst, der sich in den Glauben an die eigene Schuld oder in die Isolation, weil „man ja doch nichts ändern kann“, zurückzieht.

Dabei bleibt neben diesen Tendenzen eine zentrale Hauptaufgabe des Ideologieapparats die Verbreitung von Antikommunismus. (…) Sie findet sich keineswegs nur bei Rechtskräften und Faschisten, sondern zum Beispiel in der antikommunistischen EU-Resolution, unterstützt von Sozialdemokraten und Grünen. Eines eint aber alle Spielarten des Antikommunismus, das ist die Stoßrichtung gegen den realen Sozialismus in Europa, besonders gegen die DDR und die Sowjetunion, und das ist die heutige antichinesische Propaganda. Die Stoßrichtung gegen die DDR ist für die Herrschenden wichtig, weil es ihnen auch in 30 Jahren nicht gelungen ist das andere Deutschland im kollektiven Bewusstsein völlig zu delegitimieren. Die Stoßrichtung gegen die So­wjetunion ist deswegen wichtig, weil die antirussische Propaganda und damit ein Kernstück der Legitimierung der NATO-Strategie an ihr anknüpft. Die antichinesische Propaganda ist für sie wichtig, weil die Kombination aus ökonomischer Entwicklung und systemischem Feind die VR China zum großen Gegner macht.

Welche Anforderungen an eine heutige Strategie der Arbeiterbewegung ergeben sich aus dieser Situation?

Die Klassenfrage und die Wiederverankerung von Klassenbewusstsein müssen Dreh- und Angelpunkt einer Strategieentwicklung sein. Wie ein Mantra muss in der Arbeiterbewegung wieder verankert werden, dass der Grundwiderspruch der zwischen der gesellschaftlichen Arbeit und der privaten Aneignung, der zwischen Lohnarbeit und Kapital ist. Es muss verankert werden, dass mit diesem Hintergrund an die Analyse anderer Widersprüche heranzugehen ist. Der Kampf um das Zurückdrängen der Illusion der Sozialpartnerschaft hat eine herausragende Bedeutung. Diese Illusion befördert die Spaltung der Klasse und ist zugleich Nährboden für Standortdenken, Nationalismus und Rassismus. (…)

Wir brauchen eine Debatte darüber, wie der ausgegrenzte Teil der Arbeiterklasse in die Interessenvertretung der Klasse integriert werden kann. Solange sich diese Ausgrenzung auch teilweise in der Klasse selbst reproduziert, kann die herrschende Klasse mit dieser „Reservearmee“ spalten, ausspielen und das Ganze ideologisch absichern.

Wir müssen die Gesamtstrategie des deutschen Imperialismus in die Debatte bringen. Wir müssen deutlich machen, dass Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der Werktätigen die andere Seite einer Weltmachtstrategie des deutschen Imperialismus sind. Kernstück dieser Strategie sind NATO-Integration, eigene Hochrüstung, nukleare Teilhabe und die Einkreisung der Russischen Föderation und der VR China. Wir müssen darum kämpfen, dass der Kampf gegen Hochrüstung und NATO-Integration, für Frieden mit Russland und der VR China wieder sehr viel stärker in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung verankert wird.

Der Antikommunismus ist ideologisches Gift für eine selbstbewusste Arbeiterklasse. Der Kampf gegen die Delegitimierung der DDR, gegen antirussische und antichinesische Propaganda ist eine zentrale Aufgabe des ideologischen Klassenkampfs.

Welche Anforderungen ergeben sich daraus für uns? Die zentrale Anforderung ist: Wir müssen stärker werden. Wir müssen um Mitglieder kämpfen, wir müssen um unsere Verankerung in der Arbeiterklasse, in Gewerkschaften und Betrieben, wir müssen um unsere Verankerung im Osten kämpfen. Unsere Schwäche verhindert derzeit, dass wir auf die Widerspruchsverarbeitung im Massenbewusstsein tatsächlich einwirken. Das ist ein zentraler Grund dafür, dass es den Herrschenden heute vielfach gelingt, aufkommenden Protest nach rechts oder in Richtung des Irrationalismus zu kanalisieren. (…)

Die Klassenfrage, die Analyse der Strategie des deutschen Imperialismus und was das für den Friedenskampf und die Kämpfe um soziale und demokratische Rechte bedeutet, können nur wir in die Arbeiterbewegung tragen, das nimmt uns keiner ab. Zentrale Eckpunkte für den Friedenskampf müssen sein: Raus aus der NATO; Weg mit den Atomwaffen aus Büchel; Stoppt das Bomberprogramm; Für Frieden mit Russland und der VR China. Wir sollten um die Verankerung dieser Punkte in der Friedensbewegung, in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung kämpfen – das muss ein Schwerpunkt unseres Bundestagswahlkampfs sein.

Stoppt das Abwälzen der Krisenlasten auf die Werktätigen; Geld ist genug da; Banken und Konzerne, die Reichen sollen zahlen; Runter mit der Rüstung – das muss ebenso in der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung verankert werden und muss der zweite Eckpunkt unseres Eingreifens sein – damit werden wir uns am zweiten Tag unserer PV-Tagung noch befassen.

Stoppt den weiteren Abbau demokratischer Rechte; Keine Bundeswehr im Inneren – das muss der dritte Eckpunkt unseres Eingreifens sein. Dabei sollten wir die Frage der demokratischen Rechte nicht auf die bürgerlich-demokratischen Rechte reduzieren. Die Frage des Streikrechts, die Frage, wer darüber bestimmt, wie die Daseinsvorsorge der Menschen ist, die Frage, wer darüber bestimmt, was produziert wird, ist angesichts der realen Situation durchaus auf der Tagesordnung. Die Situation im Gesundheitswesen schreit genauso wie die Situation in der Automobil- und Stahlindustrie nach gesellschaftlichem Eigentum und gesellschaftlicher Planung. Die Arbeiterbewegung braucht eine neue Debatte über Vergesellschaftung, ohne uns wird es sie nicht geben.

Das beste Mittel gegen Antikommunismus ist Sozialismuspropaganda. Auch hier gibt uns die Realität viele Anknüpfungspunkte. Was waren die Unterschiede im Gesundheitswesen der DDR gegenüber der BRD? Warum schaffen es Kuba, Vietnam und die VR China wesentlich besser durch die Pandemie? Was hat das damit zu tun, dass im Gesundheitswesen der DDR, Kubas, Vietnams und der VR China eben nicht das Erwirtschaften von Profit das Ziel ist?


Die beiden Referate der 3. PV-Tagung gibt es im vollen Wortlaut unter unsere-zeit.de. Alle Referate und Beschlüsse werden in einem „DKP Intern“ zusammengefasst, das über die Bezirksorganisationen zu bekommen oder im Mitgliederbereich von dkp.de abrufbar ist.

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"Die Klassenfrage als Dreh- und Angelpunkt", UZ vom 4. Dezember 2020



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