Hamburg sieht
sich nicht zuständig
Bürgerschaft schiebt Verantwortung für ausreichendes Pflegepersonal ab
Am 7. Juni war die Hamburger „Initiative für einen Volksentscheid“ gegen den Pflegenotstand in den Gesundheitsausschuss der Bürgerschaft eingeladen, um die Ziele ihrer Volksinitiative vorzustellen und mit den Abgeordneten zu diskutieren.
Im Gesetzesvorschlag der Initiative wird u. a. gefordert, dass Hamburg eine Personalbemessung vorgibt und die Pflegepersonalregelung von 1992 wieder in Kraft setzt. Für besondere Bereiche wie die Intensivversorgung sollen weitere Verbesserungen in Kraft treten: Im hochintensiven Versorgungsbedarf mindestens eine Pflegefachkraft pro Patienten oder eine Patientin in jeder Schicht, im intensiven Bereich soll eine Pflegefachkraft maximal zwei Patientinnen oder Patienten in jeder Schicht betreuen. Für die Überwachung soll eine Pflegefachkraft für maximal drei Patientinnen oder Patienten in jeder Schicht zuständig sein. In jeder dieser Betreuungsstufen müssen mindestens 30 Prozent der Pflegekräfte Anästhesie- und Intensivfachpflegekräfte sein. Das Land Hamburg soll die Personalkosten übernehmen.
Die Initiatoren sind der Auffassung, dass das Land seine Investitionskosten im Gesundheitswesen nicht voll erfüllt. In anderen Bundesländern sieht das übrigens noch viel schlechter als in der Hansestadt aus. 8 bis 10 Prozent der Krankenhauskosten sind Investitionen, die die Länder übernehmen müssten, und das geschieht bei weitem nicht in diesem vorgegebenen Umfang, gegenwärtig etwa nur die Hälfte.
Wenn Hamburg diese Kosten vollständig übernehmen würde, wären auch die neuen, etwa 2 500 zusätzlich erforderlichen Pflegekräfte finanzierbar, die die Hamburger Initiative fordert.
30 000 Hamburgerinnen und Hamburger haben innerhalb von drei Wochen mit ihrer Unterschrift zum Ausdruck gebracht, dass die für Patienten und Personal krankmachenden Verhältnisse schnellstens beendet werden müssen. Der Gesetzesvorschlag für eine bedarfsorientierte Personalbemessung für verschiedene Bereiche der Pflege, für Hebammen und Reinigungspersonal macht das möglich.
Bei der Anhörung lehnten die Mitglieder des Gesundheitsausschusses mit Ausnahme der Vertreter der Partei „Die Linken“ die Vorschläge der Gesetzesinitiative ab. Die Regierungsparteien vertraten die Auffassung, die Pflege sei nicht Aufgabe des Landes. Es liege in der Verantwortung des Bundes, die Pflegekosten zu bezahlen. Sie gingen auch nicht richtig auf die Argumentation der Initiative ein, dass Hamburg die Investitionskosten nicht vollständig bezahlt, und das, obwohl die zuständige Senatorin eingeräumt hat, dass diese Kosten eben nicht komplett vom Land aufgebracht werden. Werner Sarbok
Die katastrophalen Zustände im Krankenhausbereich sind nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Wir beobachten seit über 20 Jahren eine Tendenz zur Privatisierung von Krankenhäusern und gleichzeitig zur Konzentration der privatisierten Krankenhäuser in den Händen von wenigen Kapitalgruppen.
Was treibt diese Entwicklung, welche Interessen stehen dahinter, gegen wen müssen wir uns da aufstellen?
Ein Name, den man sich merken muss ist Fresenius, ein Krankheitsverwertungskonzern mit 25 Milliarden Euro Umsatz und über 220 000 Beschäftigten. Im BRD-Krankenhausbereich wurde Fresenius 2013 die Nr. 1 nach der Finanzschlacht um die Rhön-Kliniken.
Für das Kapital in seinem Expansionsdrang ist der Gesundheitsmarkt zunehmend wichtig. Er ist heute in der BRD mit über 300 Milliarden Euro etwa so groß wie der Automarkt, also ungefähr 10 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung (BIP). Zwei große Teilmärkte, Pharma und Medizintechnik, sind bereits von großen Konzernen dominiert, Bayer und Siemens. Bei den ca. 1 000 Krankenhäusern in Deutschland findet die Aufteilung erst statt.
Bis 1990 gab es in der BRD private Krankenhäuser nur im Ausnahmefall. Aus historischen Gründen waren in Westdeutschland fast alle Krankenhäuser in der Hand der Gemeinden und der Kirchen. 1991 waren 9 Prozent der Krankenhausbetten in privater Hand, 2012 schon 18 Prozent. Die Privaten übernahmen im Wesentlichen Kliniken von öffentlichen Trägern, d. h. Kommunen, Kreisen und Universitäten, deren Anteil auf 48 Prozent sank. Auch die „freigemeinnützigen“ Träger, die Kirchen, gaben einige Häuser ab, ihr Anteil bleibt aber etwa ein Drittel.
Ein Auslöser der Privatisierungswelle war die Umstellung der Krankenhausabrechnung auf Fallpauschalen (DRG) im Zug der Agendapolitik ab 2002. Einer der agilsten Profiteure dieser Politik war Eugen Münch. 2002, als er sich an den Rhön-Kliniken beteiligte und mit Hilfe der Hypobank die Vorbesitzer, die Familie von und zu Guttenberg auszahlte, sagte Münch: „Wenn Kliniken ab 2003 und 2004 nicht mehr nach Tagessatz, sondern nach Fallpauschalen bezahlt werden, verschieben sich die Strukturen.“ Die Folgen sehen wir heute.
Auf die Privatisierungswelle folgte in der Logik der Kapitalakkumulation die Konzentrationswelle.
Eine der ersten privaten Gruppen, die das Profitpotential der Fallpauschalen erkannte, heißt Asklepios. Aus dieser relativ kapitalschwachen Gruppe kaufte der milliardenschwere Fresenius-Konzern die Helios-Gruppe heraus und bildete 2006 die Helios-Fresenius-Gruppe. 2013 griff Fresenius-Helios nach Münchs Rhön-Gruppe, der wollte aber zunächst nicht verkaufen.
Warum wehrte sich der schlaue Unternehmer Münch 2013 gegen das Milliardenangebot von Fresenius?
Einer wie Münch sah, dass die sogenannte „Gesundheitsreform“ der Agendapolitiker noch weitergeht. Mit der infamen „Schuldenbremse“ kommen immer mehr öffentliche Haushalte unter Druck, das öffentliche Gesundheitswesen auf ein Minimum herunterzufahren. Ein flächendeckendes privates Kliniksystem, auf das Eugen Münch nach seinen Aussagen von 2012 zielte, soll dann ergänzende Leistungen für die Wenigen anbieten, die es sich leisten können. Das Vorbild war England, wo das von Thatcher und Blair kaputtgesparte öffentliche System den Aufstieg von zwei privaten „ergänzenden“ Krankenhauskonzernen ermöglichte. Den Plan, ein ergänzendes privates Krankenhaussystem einzuführen, verfolgte Münch zunächst in Verhandlungen mit der Fresenius-Helios Gruppe und mit dem SPD-Gesundheitsexperten Professor Karl Lauterbach. Lauterbach saß im Aufsichtsrat von Münchs Rhön-Kliniken, bis er vom damaligen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück in sein Schattenkabinett als zukünftiger Gesundheitsminister berufen wurde. 2013 gingen die Pläne nicht auf. Steinbrück verlor die Wahl. Fresenius zog es vor, die Pläne allein weiter zu verfolgen und schluckte den Großteil der Rhön-Kliniken trotz des Widerstands von Münch und anderer Konzerne im Gesundheitsbereich, die zu Recht die Dominanz von Fresenius im Krankenhausbereich befürchten. Auch der Widerstand von ver.di blieb trotz der starken Worte der dort zuständigen Sylvia Bühler erfolglos.
Fresenius-Helios baut weiter an einem flächendeckenden Krankenhausnetz. Daran sollte man denken, wenn Lauterbach jetzt wieder mit der „Reformidee“ Bürgerversicherung kommt. Würde die dann im Agendastil prekär ausgestattet, um Platz für private „Ergänzung“ zu schaffen?
Nach den Fusionen von 2013/14 sind nun schon über ein Drittel der Krankenhäuser privat. Die öffentlichen Krankenhäuser der Gemeinden und Universitäten werden weiter unter Spar- und Privatisierungszwang gesetzt.
Von den gut 300 Häusern in Privatbesitz gehören zur Fresenius Gruppe unter der Marke Helios inzwischen weit über 100 Kliniken und rund 70 andere medizinische Versorgungeinrichtungen. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Helios-Kliniken-Gruppe ist gleichzeitig Vorstandsmitglied der Konzernmutter Fresenius SE.
Ein weiteres knappes Drittel der Privaten gehört der Asklepios-Gruppe. Eine dritte große private Klinikgruppe ist Sana, ein Gemeinschaftsunternehmen der privaten Krankenkassen, die natürlich eigene Finanzinteressen an der Senkung der Krankenhauskosten haben.
Gesundheitsversorgung ist wie Altersrente und Arbeitslosenversicherung ein Teil der Daseinsvorsorge. Volkswirtschaftlich gesehen ist die Daseinsvorsorge der Lohnabhängigen ein Teil der Lohnsumme, der vom Profit abgeht. Wie der Lohn muss auch die soziale Absicherung gegen die Kapitalinteressen erkämpft werden. So sehen es auch die Kapitalisten, die uns in Klassenbewusstsein voraus sind, und bezeichnen die Kosten für die Sozialversicherungen als Lohnnebenkosten. Ihre Uneinigkeit über die „Gesundheitsreform“, Lauterbach wurde ja wieder nicht Gesundheitsminister, sollten wir als Chance zur Herstellung von Einheit auf unserer Seite sehen, im Klassenkampf um die Sicherung unserer Gesundheitsversorgung.