Mit Blick auf den Machtkampf gegen Russland heben Militärs die Bedeutung des Kieler NATO-Exzellenzzentrums hervor

Die Ideenschmieden der NATO

Von German Foreign Policy

Die Gründung sogenannter NATO-Exzellenzzentren (Centres of Excellence, COE) ist Teil des zu Beginn des Jahrtausends gestarteten Versuchs gewesen, der NATO neuen Schwung zu verleihen. Noch im Jahr 2001 hatten einflussreiche deutsche Experten dem transatlantischen Kriegsbündnis eine schwindende Bedeutung prognostiziert. „Die NATO wird an den Rand gedrückt“, sagte damals etwa der Direktor der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Christoph Bertram, voraus: „Die Europäische Union wird wichtiger werden“.

Um dem drohenden Relevanzverlust entgegenzuwirken, leitete das Bündnis auf seinem Prager Gipfel im November 2002 mehrere Umstrukturierungsmaßnahmen ein. So wurden der Aufbau der NATO Response Force (NRF) in Aussicht gestellt und die Straffung der Kommandostrukturen beschlossen. Mit letzterer verknüpft war das Vorhaben, wichtige Analyse- und Planungsarbeiten auszulagern und sie eigens neu zu schaffenden Kompetenzzentren zu übertragen. Daraus sind bis heute 24 COE geworden, die sich jeweils mit spezifischen Aspekten der künftigen Kriegsführung befassen.

Der europäische Pfeiler

Insgesamt sind die NATO-COE weitestgehend in Europa konzentriert. Formal unterstehen sie nicht der regulären NATO-Kommandostruktur, sondern dem Allied Command Transformation (ACT), das 2003 aus dem Allied Command Atlantic (ACLANT) aus der Zeit des Kalten Kriegs gebildet worden ist. Es hat seinen Sitz in Norfolk (Virginia/USA) und steuert die Schritte, die für notwendig erachtet werden, um die künftige Kriegsfähigkeit des Bündnisses sicherzustellen. Geleitet wird es von einem französischen Kommandeur. Dem ACT sind drei Trainings- und Analysezen­tren direkt unterstellt – das Joint Warfare Centre im norwegischen Stavanger, das Joint Force Training Centre im polnischen Bydgoszcz sowie das Joint Analysis and Lessons Learned Centre im portugiesischen Monsanto.

Zugleich kümmert sich das ACT um die COE. Diese werden jeweils von einzelnen Mitgliedstaaten unterhalten, die als „Rahmennation“ fungieren und eine eventuelle Unterstützung durch weitere interessierte NATO-Länder koordinieren. 23 der 24 COE sind in Europa angesiedelt; bei der Weiterentwicklung des Kriegsbündnisses spielt dessen „europäischer Pfeiler“ damit eine herausragende Rolle. Deutschland beherbergt drei COE – mehr als jeder andere NATO-Staat – und beteiligt sich an zwei weiteren: am Civil-Military Cooperation (CIMIC) COE in Den Haag sowie am Military Medicine (MILMED) COE in Budapest.

Der historische Vorteil

Strategische Bedeutung besitzt nicht zuletzt das Joint Air Power Competence Center (JAPCC) im niederrheinischen Kalkar, das – auf deutsche Initiative – am 1. Januar 2005 als erstes NATO-COE überhaupt seine Tätigkeit aufgenommen hat. Sein Schwerpunkt liegt auf der Analyse sowie der Weiterentwicklung der Kriegsführung im Luft- und im Weltraum. Dazu erarbeitet es Studien, führt Tagungen durch und organisiert Weiterbildungen für Führungspersonal der Mitgliedstaaten sowie ausgewählter Partnerländer. Zuletzt hat es sich unter anderem mit der aktuellen Entwicklung im Lufttransport, mit der Bedeutung der Luftwaffe für die U-Boot-Bekämpfung und insbesondere mit den unterschiedlichen Facetten der Kriegsführung mit Drohnen befaßt. Sein Executive Director, Generalleutnant Joachim Wundrak, kommandiert gleichzeitig das ebenfalls in Kalkar angesiedelte Zentrum Luftoperationen, in dem die deutsche Luftwaffe ihre einsatzbezogenen Führungsaufgaben bündelt.

Über die Rolle der NATO-Luftstreitkräfte hat sich im Oktober anlässlich der diesjährigen JAPCC-Jahreskonferenz in Essen der ehemalige JAPCC-Direktor Frank Gorenc geäußert. Komme es zum Krieg, dann „werden die NATO-Luftwaffen mit ihrer Geschwindigkeit, Flexibilität, Reichweite und hohen Einsatzbereitschaft die ersten sein“, schrieb Gorenc, „die antworten und die Schlagkraft der folgenden Streitmacht maximieren“. Sie seien mit ihrer militärischen Schlagkraft „der historische Vorteil“ des Bündnisses.

Denkfabrik für Randmeerkriege

Neben dem JAPCC beherbergt die Bundesrepublik das Military Engeneering (MILENG) COE in Ingolstadt und vor allem das Operations in Confined and Shallow Waters (CSW) COE in Kiel. Das COE CSW ist 2006 gegründet und 2007 offiziell in Dienst gestellt worden; es befaßt sich mit der Kriegsführung in Seegebieten mit einer Wassertiefe von zehn bis 200 Metern („shallow“), in denen die Operationsfreiheit durch die Geografie eingeschränkt („confined“) ist. Im Kern sei das Kieler NATO-COE „eine ‘Denkfabrik’ oder ‘Ideenschmiede’ der NATO, in der Grundsätze und Verfahren für maritime Operationen in Randmeeren und Küstengewässern entwickelt werden“, hieß es kürzlich in dem Fachblatt „MarineForum“: Sein „Kernauftrag“ sei es, „neue taktische bzw. operative Ideen und Ansätze zu entwickeln“, darüber hinaus „bestehende Konzepte schnell und flexibel anzupassen“ sowie schließlich „im engen Verbund mit Forschung, Entwicklung sowie der Industrie Impulse für neue Technologien und Systeme zu geben“. Konkret reichten die Projekte des COE, das mehr als 40 Mitarbeiter beschäftigt, von der Manöverbegleitung über die Untersuchung des Einsatzes von „unbemannten Systemen in allen Dimensionen“ bis zur „Mitwirkung an der Erstellung des neuen Anti-U-Boot-Krieg-Konzeptes der Allianz“.

„Neue Bedrohungslage durch Russland“

Das CSW CEO kann davon profitieren, daß die deutsche Marine bereits in der Ära des Kalten Kriegs eine besondere Zuständigkeit für Operationen in der Ostsee hatte und deswegen spezielle Kenntnisse in der Randmeerkriegsführung aufweisen kann. Letztere rückt seit spätestens 2014 stark in den Fokus der deutschen Marine, deren Experten sich mit Blick auf den Machtkampf zwischen der NATO und Russland inzwischen erneut intensiv mit Operationen in Randmeeren befassen.

Im Juni 2015 hielt das COE CSW eigens eine Tagung zum Schwerpunktthema „Ostsee“ ab. Die Einrichtung, die sich über die Kooperation mit zivilen Institutionen wie der Europa Universität Viadrina (Frankfurt an der Oder) auch deren Erkenntnisse aneignet, verzeichnet wegen der eskalierenden Spannungen mit Russland mittlerweile ein gestiegenes Interesse von Ostsee-Anrainern an einer Mitarbeit: Dänemark und Litauen bereiten sich auf einen formellen Beitritt vor, während das offiziell noch neutrale Finnland sich dem NATO-COE als „Contributing Partner“ angeschlossen hat.

Die „neue Bedrohungslage durch Russland im ‘Randmeer’ Ostsee“ führe gegenwärtig „zu einer verstärkten Nachfrage an ‘Know-how’ bezüglich von Operationen in küstennahen Gewässern“, berichtet die Zeitschrift „MarineForum“: „Das COE CSW entfaltet daher derzeit eine Anziehungskraft wie ein Magnet“. Unlängst, am 3. Juli 2017, hat es außerdem eine Kooperationsvereinbarung mit der Münchner Sicherheitskonferenz unterzeichnet, an deren Durchführung es im Februar nächsten Jahres mitwirken wird. Die Konferenz gilt als eine der bedeutendsten Großveranstaltungen zur globalen Außen- und Militärpolitik.

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"Die Ideenschmieden der NATO", UZ vom 10. November 2017



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