Was abends in bundesdeutschen Kneipen zum Beispiel über den Ukraine-Konflikt gesprochen wird, erfahren die Regierenden brühwarm in jeder Morgenlage. Und das macht ihnen zum Teil Sorgen: Für die rasende Teuerung wird längst nicht von allen Bürgern Russland verantwortlich gemacht, sondern Monopolprofite und westlicher Wirtschaftskrieg. Hinzu kommt: Mehr Sorgen als „Putins Krieg“ bereitet die Inflation. Laut einer am 16. Mai von McKinsey veröffentlichten Umfrage halten sie 40 Prozent der Bevölkerung für ihr Hauptproblem, für 34 Prozent ist es der Ukraine-Krieg, für 8 Prozent die Corona-Pandemie. 44 Prozent planten daher, weniger Geld auszugeben.
Voll auf Kriegskurs sind allerdings die Grünen und ihre Anhänger. Die „Neupositionierung der Grünen“, berichtet die Allensbach-Chefin Renate Kröcher am 27. Mai in der „FAZ“, sei „besonders bemerkenswert“: „1989 waren nur sechs Prozent der westdeutschen Anhänger der Grünen überzeugt, dass wirksame Abschreckung die beste Verteidigung ist, heute sind es 62 Prozent. Die Hoffnung, dass einseitige Vorleistungen bei der Abrüstung Erfolg versprechend sind, ist von 77 auf 35 Prozent geschrumpft.“ Die Ostdeutschen entfernen sich hingegen weiter von der neuen Volksgemeinschaft: „55 Prozent der Westdeutschen, aber nur 21 Prozent der Ostdeutschen befürworten Waffenlieferungen an die Ukraine; die Lieferung schwerer Waffen wird in West und Ost kritischer gesehen. Westdeutschland ist in dieser Frage gespalten, in Ostdeutschland wird die Lieferung schwerer Waffen von der überwältigenden Mehrheit abgelehnt.“
Manche Regierungen von EU-Mitgliedstaaten – nicht die deutsche – nehmen auf solche Stimmungen sogar Rücksicht. Das veranlasste die deutsche Außenministerin, am 26. Mai warnend von einem „Moment der Kriegsmüdigkeit“ zu sprechen. Ein Beispiel dafür folgte sofort: Bis zum Montagnachmittag gelang es Unterhändlern in Brüssel nicht, sich auf ein EU-Ölembargo zu einigen. Am Montag lautete der Titel des „Handelsblatts“ entsprechend: „Gipfel der Ratlosen. Nach fünf Sanktionspaketen und drei Monaten Krieg schwindet die Geschlossenheit der Europäer. Konflikte über Geld, Öl und die Zukunft Europas überschatten den EU-Gipfel in Brüssel.“
Für das Sondertreffen, das bis zum Dienstag (nach Redaktionsschluss) dauern sollte, lag laut „Reuters“ ein Kompromissvorschlag auf dem Tisch. Demnach würden sich die 27 EU-Mitgliedstaaten „mit dem Thema einer zeitweisen Ausnahme für Rohöl, das über Pipelines geliefert wird, so schnell wie möglich befassen“. Im Klartext: Nur Öllieferungen per Tanker sollten unter das Embargo fallen, was Binnenländer wie Tschechien, Slowakei und Ungarn nicht betrifft. Der vor drei Wochen von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gemachte Vorschlag für ein Ölembargo, klagte das „Handelsblatt“, drohe „immer stärker verwässert zu werden“. Auch um die Finanzierung der Hilfen für die Ukraine und die Beitrittsperspektive des Landes gebe es Streit.
Russlands Präsident Wladimir Putin warnte am Wochenende bei einem 80-minütigem Telefonat mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron zudem vor der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Mit Blick auf die Nahrungsmittelkrise erklärte Putin, die „fehlerhafte Wirtschafts- und Finanzpolitik der westlichen Staaten“ sowie die „antirussischen Sanktionen“ gegen Transportfirmen und Banken seien für sie verantwortlich.
In solcher Situation greift der deutsche Imperialismus nach Waffen und Hetze. Frau Baerbock log beim Weltwirtschaftsforum in Davos, Russland führe Krieg mit „Hunger und Entbehrung“. Und kurz vor der Einigung von Koalition und CDU/CSU über die Verankerung des 100-Milliarden-Rüstungsfonds im Grundgesetz antwortete die SPD-Kovorsitzende Saskia Esken in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ auf die Frage, ob Putin ein Faschist sei: „Meine Antwort ist Ja.“ Denn Frau Baerbock, Frau Esken und ihre Anhänger stehen an der Spitze des bewaffneten Antifaschismus.