Fährt man mit dem Auto vom östlichen Stadtrand Berlins Richtung Zentrum, so wird man zwischen Oberbaumbrücke und Ostbahnhof von der sogenannten „East Side Gallery“ begleitet, dem als Kunstmeile erhaltenen Stück der „Berliner Mauer“. Ein Anziehungspunkt für Touristen, die die Bilder betrachten, kommentieren und sich wie an allen Touristenattraktionen der Welt mit ihnen als Selfie in die Welt schicken.
Weniger zufällig und nur zu Fuß gelangt man auf die westliche, der Spree zugewandte Seite. Hier gewährt die Mauer seit dem 13. August auf 3 Metern Höhe und 229 Metern Länge einer Installation des deutsch-amerikanischen Video-Künstlers Stefan Roloff großzügigen Raum. „Beyond the Wall“, zu Deutsch „Jenseits der Mauer“, auf diesen Titel einigten sich Roloff und seine Unterstützer, der damit den 1984 von Westberlin aus gefilmten Alltag von „DDR-Grenzern“ darstellen möchte.
Aufklärung ist nicht im Sinn der Initiatoren. Was sie dem Betrachter bieten, ist eine Gruselmeile.
Klar ist, dass ehemalige DDR-Dissidenten Roloff dafür umwarben, einen Mann, der besser wissen könnte, wem er zu Diensten ist. Denn sein Vater wurde als Angehöriger der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ von den Nazis verfolgt. Es sei keineswegs sein Anliegen, die historische Rolle der DDR aufzuarbeiten, er wolle nur zeigen, was Mauern anrichten, dass sie immer Menschen trennen und dafür sorgen, dass sie zu Feinden werden, argumentiert er.
Seine Filmaufnahmen vom Grenzstreifen und den Grenzsoldaten, das sei ein Blick vom Westen in eine kafkaeske Welt, in der Leute nur darauf warteten, andere Menschen erschießen zu können. Die aus vielen Gründen zumindest zeitweilig historische Notwendigkeit der Existenz dieser Mauer als friedenssichernd blendet er aus.
Die Installation klärt nichts, sie schürt Ängste. Um die nichtssagenden Aufnahmen von diensttuenden Grenzern im beabsichtigten Sinn wirksam werden zu lassen, fügt Roloff in drei Sprachen Zitate von Zeitzeugen hinzu in einer Weise, die nicht nur mir Übelkeit bereitet. Diese sind vor allem von jungen Besuchern nicht einzuordnen, sie lesen die auf schwarzen Silhouetten angebrachten Aussagen, sitzen minutenlang fassungslos davor. Die Zitate verfälschen durch einseitige, aus subjektiver Sicht vorgetragenes Erleben gewollt das Geschichtsbild und kriminalisieren das Land, in dem es Grundlage war, die Menschen durch Bildung zu humanistisch Handelnden zu erziehen, zu internationaler Solidarität zu motivieren.
Auf der Ostseite der Mauer-Galerie hat seit Jahren ein Bild besondere Anziehungskraft – der Bruderkuss von Honecker und Breschnew. Touristen nutzen diesen Hintergrund heute, um sich unter dem Beifall der „Anstehenden“ herzlich zu küssen für ein Erinnerungsfoto. Das zu beobachten bereitet Freude.
Die Ausstellung ist seit dem 13. August und noch bis zum 9. November an der „West-Side-Gallery“ zu betrachten. Hoffen wir auf die Besinnung, dass an diesem Datum im Jahre 1918 ein anderer Wind durch Berlin wehte.
Quelle für die Aussage von Roloff:
https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/kultur/201708/154272.html