Die große Gegenreform

Ersten Schritt getan

Wie die PCB gegen Bolsonaro vorgeht

Die Brasilianische Kommunistische Partei (PCB) geht davon aus, dass gegenwärtig im Mittelpunkt des politischen Kampfes steht, die Gegenreform der Sozialversicherung zu verhindern. Es ist dringend notwendig, eine breite und starke Aktionseinheit aller Kräfte aufzubauen, die die Bolsonaro-Regierung und die Rechte ablehnen. Diese Aktionseinheit muss sich um die Verteidigung der Arbeiterrechte und der demokratischen Freiheiten bilden. Die Aktionen von linken Parteien, sozialen Bewegungen und Klassenkräften müssen darauf gerichtet sein, die Vereinigung einer mächtigen Bewegung der Gewerkschaften und des Volkes zu schaffen, die in der Lage ist, einen Generalstreik vorzubereiten und die Angriffe des Kapitals auf die sozialen Rechte zu stoppen.

Die Unzufriedenheit verschiedener Teile der Gesellschaft hat dazu geführt, dass in alternativen und einem Teil der traditionellen Medien die Regierung abgelehnt wird. Während des Karnevals waren starke Proteste bei Demonstrationen und aus Samba-Schulen zu verzeichnen. Zum Internationalen Frauentag gab es Massendemonstrationen im ganzen Land. Auch unter den Arbeitern beginnen Proteste und Streiks. Am 22. März fanden in allen brasilianischen Städten Massendemonstrationen gegen die Rentenreform statt.

Ein wichtiger Schritt ist bereits getan: Im Februar haben in São Paulo verschiedene Gewerkschaften und zahlreiche Massenorganisationen das „Forum der Gewerkschaften, des Volkes und der Jugend für den Kampf um demokratische Rechte und Freiheiten“ gebildet. Entscheidend ist, die Mobilisierungen gegen die Reform der Sozialversicherung zu stärken, gemeinsam mit anderen Kämpfen, wie der Verteidigung der öffentlichen Gesundheitsversorgung, der Bildung, des öffentlichen Eigentums und der nationalen Souveränität. es

Seit Jair Bolsonaro am 1. Januar sein Amt als Präsident angetreten hat, sinkt sein Ansehen in der öffentlichen Meinung in Brasilien und international. Zu den vielen Gründen dafür gehören Korruptionsvorwürfe gegen Regierungsmitglieder und Hinweise auf Veruntreuung öffentlichen Geldes für Wahlkämpfe durch Bolsonaros Partei, die PSL (Sozialliberale Partei) – aber auch die vielen absurden Postings, Reden und Interviews, die der Präsident und seine Minister zum Besten gegeben haben.

Die reaktionäre Welle

Bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2018 hatte der Großteil der brasilianischen Bourgeoisie den Mitte-Rechts-Kandidaten Geraldo Alckmin von der PSDB (Partei der brasilianischen Sozialdemokratie) unterstützt. Einige weitere Kandidaten standen ihr für einen Plan B zur Verfügung. Die Arbeiterpartei (PT) stellte Fernando Haddad auf, den früheren Bürgermeister von São Paulo. Bolsonaro hatte über 20 Jahre als offen rechter Abgeordneter im Parlament gesessen. Er war mit homophoben und frauenfeindlichen Äußerungen aufgefallen und hatte die Militärdiktatur und sogar deren Folterungen verteidigt. Bolsonaro hatte seit 2014 im ganzen Land in faschistischen Gruppen, aber auch in den mittleren und ärmeren Schichten der Bevölkerung um Unterstützung geworben. Er versprach, den Waffenbesitz zu liberalisieren, Homosexualität zu bekämpfen, die „Familie“ und andere konservative Ideen zu verteidigen und eine ultraliberale Wirtschaftspolitik durchzuführen. Dass er die Wahl gewinnen würde, hielt kaum jemand für wahrscheinlich. Alckmin jedoch schnitt in der ersten Runde der Wahlen schwach ab. In den mittleren und ärmeren Schichten der Bevölkerung war eine starke Stimmung gegen die PT verbreitet. Auf den Straßen setzte sich eine konservative und reaktionäre Welle durch, die antikommunistische und antilinke Haltungen propagierte, die Homosexuelle angriff und versprach, die Korruption zu bekämpfen und die Wirtschaft wachsen zu lassen. Dies führte dazu, dass Bolsonaro in der Stichwahl gegen Haddad gewann.

Für seinen Wahlkampf war auch von Nutzen, dass Bolsonaro im September bei einem Messerattentat verletzt wurde. Dadurch gewann er Sympathien und konnte nicht an Fernsehdebatten teilnehmen, die für ihn unvorteilhaft hätten ausgehen können. Nach dem Attentat intensivierten rechte Gruppen ihre Einschüchterung gegen linke und soziale Aktivisten.

Der Clan an der Macht

Neben Bolsonaro wurden auch einige Gouverneure der Rechten und der rechten Mitte gewählt, außerdem viele konservative Abgeordnete. In den Tagen, nachdem die Wahlergebnisse bekannt gemacht worden waren, war eine allgemeine politische Tendenz nach rechts zu beobachten: Ankündigungen einer ultraliberalen Wirtschaftspolitik, weitere Abschaffung von Arbeiterrechten und wieder verstärkte politische Repressionen mit Angriffen gegen Gewerkschaften und gegen soziale und demokratische Rechte im Allgemeinen.

Bereits jetzt haben sich eine Reihe von Politikern, die Bolsonaro im Wahlkampf unterstützt hatten, gegen die Regierung gewandt. Dazu kommen immer deutlichere Hinweise auf Verbindungen zwischen dem „Bolsonaro-Clan“ und „Milizen“, bewaffneten Gruppen, die ganze Stadtteile der großen Städte kontrollieren, Schutzgeld erpressen und verschiedene Dienstleistungen wie den Verkauf von Gasflaschen ausbeuten. Bolsonaros Sohn Flávio hatte anscheinend Verbindungen zu den (inzwischen verhafteten) Männern, die 2017 Marielle Franco ermordet hatten, eine linke Stadträtin in Rio de Janeiro.

In der Außenpolitik ist Bolsonaro mit aggressiven Erklärungen zur Lage in Venezuela aufgefallen, mit der Ankündigung, dass er die brasilianische Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegen wolle und mit einigen politischen Angriffen gegen China. Unter Export- und Agrarunternehmern, die wichtige Unterstützer der Regierung waren, hat das zu Unzufriedenheit geführt. Das Bild vervollständigen die voreingenommenen und inkompetenten Stellungnahmen, die einige Minister abgegeben haben. Im März besuchte Bolsonaro die USA und demostrierte seine unterwürfige Haltung gegenüber Trump. Und während seines Besuches in Israel Ende März bis Anfang April verkündete Bolsonaro, dass die Nazis eine linke Bewegung gewesen seien. Auch darauf reagierten Medien und Bevölkerung mit Ablehnung, die sich in den letzten Meinungsumfragen zeigt.

Es fällt der Regierung schwer, innerhalb des Staatsapparates und der bürgerlichen Institutionen geordnet zu agieren. Im Wahlkampf hatte Bolsonaro versprochen, dass seine Regierung mit der bisherigen korrupten Praxis brechen würde, im Kongress Bündnisse zu bilden, indem den Koalitionspartnern Gefälligkeiten erwiesen und öffentliche Posten zur Verfügung gestellt werden. Inzwischen musste er in der Praxis zeigen, dass dieses Versprechen nichts wert war. Die Regierung hat große Probleme damit, sich Unterstützung im Kongress zu sichern. Bolsonaros PSL ist eine mittelgroße konservative Partei, die kaum als politische Einheit zusammenhält. Die Mehrheit ihrer Mitglieder besteht aus Neulingen mit wenig politischer Erfahrung, von denen viele während der Welle der Zustimmung für Bolsonaro gewählt wurden. Diese Partei ist unfähig, im Kongress eine Koalition zu führen, die die Regierung stützt.

Gemäßigter General

Diese inneren Schwierigkeiten und Widersprüche führen dazu, dass Militärs häufiger für wichtige Regierungsämter herangezogen werden. Der Vizepräsident General Mourão äußert sich politisch gemäßigter und vorsichtiger als der Präsident. Er hat öffentlich gezeigt, dass er mit dem Präsidenten und einigen Ministern nicht einig ist, in einigen Fällen hat er sogar für die Abberufung von Ministern gesorgt. Zum Beispiel hat Mourão die Pläne einer militärischen Intervention gegen Venezuela nicht unterstützt. Auch in anderen Fragen musste die Regierung nach ersten Erklärungen wieder zurückrudern. Bolsonaro zeigt, dass er politisch und sogar charakterlich völlig unvorbereitet ist, sein Amt auszuüben.

Die Regierung Bolsonaro ist eine extrem recht Regierung, die von heterogenen Kräften getragen wird. Unter diesen haben die Kapitalfraktionen die Führung, die mit dem Finanzkapital und den großen Agrarunternehmern verbunden sind. Zu ihren Unterstützern gehören konservative religiöse Abgeordnete und Gruppen, die faschistische Ideen vertreten oder damit sympathisieren, und ultrakonservative evangelikale Kirchen. Einige dieser Gruppen bedienen sich gewalttätiger Methoden, wie verbaler und physischer Aggression gegen politische und soziale Aktivisten.

Die konservativen Auffassungen, die der Bolsonaro-Clan und Regierungsmitglieder verbreiten, nutzen dem Kapital, weil sie die Kämpfe gegen Unterdrückung verwerfen, die kapitalistische Ausbeutung der Armen rechtfertigen und die Rechte der Frauen und LGBTI angreifen. Diese Auffassungen bedienen die Forderungen aus Bolsonaros Wählerschaft und dienen dazu, Maßnahmen wie die Privatisierung von Schulen und Universitäten zu rechtfertigen.

Liberal und repressiv

Das Zentrum der Regierung sind die Ministerien für Wirtschaft und für Justiz. Der Wirtschaftsminister Paulo Guedes ist entschlossen, eine ultraliberale Politik radikal umzusetzen. Er schlägt besonders für die Sozialversicherung Gegenreformen im Einklang mit dem internationalen Kapital vor. Der Justizminister Sérgio Moro hat die Aufgabe, die gesetzlichen Mittel zu schaffen, um die Reaktion des Volkes auf dieses Projekt unter Kontrolle zu halten. Er treibt die Kriminalisierung sozialer Bewegungen voran, die Einführung neuer Hürden für die Arbeit der Gewerkschaften und die Ausweitung der Polizeirepression.

Das wichtigste Projekt der Regierung ist ein Angriff auf öffentliches Eigentum: Die Übergabe der 650-Milliarden-Dollar-Fonds der Sozialversicherung an privates Kapital. Die Regierung agiert im Rahmen der bürgerlichen Institutionen und Gesetze, könnte aber, wenn nötig, diesen Rahmen auch verlassen.

Zwar gibt es Widersprüche innerhalb der herrschenden Klasse, die vor allem die Exporteure und ein Teil der Industrieunternehmer zum Ausdruck bringen. Allerdings könnten diese Widersprüche überwunden werden, wenn die Bourgeoisie vereint die Gegenreformen und die Angriffe auf die Arbeiterrechte unterstützt.

 


 

Wie der Pakt zerbrach

Der Niedergang der PT-Regierung und der Sturz Dilmas

Seit 2013 die weltweite Wirtschaftskrise in Brasilien deutlich zu spüren war, hat sich die politische Landschaft gewandelt. Es gab massive Demonstrationen, mit denen die Bevölkerung ihre Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Krise und der Instabilität der öffentlichen Dienstleistungen zeigte. Diese Demonstrationen griffen die Vorwürfe der Korruption auf, die gegen die Regierung der Arbeiterpartei (PT) unter Präsidentin Dilma Rousseff erhoben wurden. Daran beteiligten sich verschiedene Teile der Rechten – auch der extremen Rechten. Diesen Kräften ging es vor allem darum, die Ausweitung der demokratischen Rechte nach dem Sturz der Diktatur 1985 anzugreifen, genauso wie die zaghaften Verbesserungen in der Sozialpolitik, die die Regierungen von Lula da Silva und Dilma von 2002 bis 2016 durchgeführt hatten. Den Rechten ging es darum, die PT-Regierung anzugreifen. Sie wandten sich gegen demokratische Freiheiten, gegen LGBTI, gegen Schwarze, gegen die Armen. Alle linken Parteien und Ideen, aber besonders die der Kommunisten, wurden zum Angriffsziel dieser rechten Gruppen. Aktivisten und Organisationen wurden bedroht und körperlich angegriffen.

Zu diesem Zeitpunkt war der Pakt zerbrochen, den die PT schon während der ersten Regierung Lulas mit der herrschenden Klasse geschlossen hatte, mit großen Industriegruppen, Agrarunternehmern, Exporteuren und Banken. Diese Kapitalgruppen machten hohe Profite, im Gegenzug willigten sie in eine Reihe von Zugeständnissen ein, wie finanzielle Hilfen für arme Familien, um den Hunger zu bekämpfen, eine Erhöhung des Mindestlohns über der Inflationsrate und eine Reihe anderer Verbesserungen in der Sozialpolitik. Die Bourgeoisie war in den Regierungen der PT direkt vertreten, sie konnte die Besetzung mehrerer Ministerposten durchsetzen und diktierte die Wirtschaftspolitik.

In einem Land mit enormer sozialer Ungleichheit und bitterer Armut hatten diese sozialen Maßnahmen spürbare Auswirkungen. Möglich wurde der Pakt zwischen PT und Bourgeoisie, weil die hohen Preise für Erdöl und Agrarprodukte, die Brasilien vor allem nach China exportiert, höhere Sozialausgaben erlaubten. Nachdem die weltweite Krise 2013 Brasilien endgültig erfasst hatte, löste dieser Pakt sich auf, und die Bourgeoisie gab die PT-Regierung auf.

Trotzdem gewann Präsidentin Dilma 2014 erneut mit einem kleinen Vorsprung die Wahlen, obwohl Medien und Unternehmen den rechten Kandidaten Aécio Neves unterstützten. Dilma war schon in ihrer ersten Amtsperiode mit starkem Druck konfrontiert, der Bourgeoisie mehr Vergünstigungen zuzugestehen und den Arbeitern weitere Rechte zu nehmen – was sie tat. Nun wurde sie im Parlament, in den Medien und sogar auf der Straße direkt angegriffen, die PT wurde verstärkt als korrupte Partei wahrgenommen. Dies mündete darin, dass der Kongress Dilma 2016 des Amtes enthob und sie durch den bisherigen Vizepräsidenten Michel Temer ersetzte – mit Unterstützung der Mainstream-Medien und eines großen Teils der Bevölkerung.

Als Temer die Präsidentschaft übernahm, versprach er, eine Reihe ultraliberaler Reformen durchzusetzen. Im Mittelpunkt stand dabei eine Reform des Arbeitsmarktes, die Rechte und Sicherheiten der Arbeiter abschaffen und die Arbeitsbeziehungen zu Gunsten des Kapitals verändern sollte, und eine Reform der Sozialversicherung. Trotz großer Mobilisierungen der Gewerkschaften und der Bevölkerung konnte Temer die Arbeitsmarktreform durchsetzen, erlitt allerdings in der Frage der Sozialversicherung eine Niederlage. Während Temers Amtszeit wurde der frühere Präsident Lula wegen (unbewiesener) Korruptionsvorwürfe im Zuge der so genannten „Operation Autowäsche“ („Lava Jato“) festgenommen. Temer sah sich wachsenden Mobilisierungen unter der Losung „Weg mit Temer“ gegenüber. Die allgemeine Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Arbeitslosigkeit und der Krise des Landes sollte anhalten. es

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"Die große Gegenreform", UZ vom 17. Mai 2019



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