Obama und Merkel werben auf der Hannover-Messe für TTIP

Die große Freiheit für das Kapital

Von Nina Hager

Am 25. April beginnt in Hannover die diesjährige Indus­triemesse. „Die ganze Welt der Technologie“ wird „unter einem Dach“ präsentiert – von Forschung und Entwicklung, Industrieautomation und IT über Zulieferung, Produktionstechnologien und Dienstleistungen bis hin zu Energie und Mobilitätstechnologien.

Zum Messeauftakt kommen Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama. Auch um für TTIP die Werbetrommel zu rühren. Globalisierungskritische Organisationen, Umweltverbände, aber auch ver.di sowie regionale Gewerkschaftsgliederungen, DIDF und Parteien wie die Linkspartei und viele andere rufen dazu auf, am Sonnabend davor in Hannover gegen TTIP zu demonstrieren.

Die Verhandlungen zwischen den USA und der EU über ein Freihandelsabkommen (TTIP) laufen weiter. Nachdem die bisherige Geheimhaltungspolitik jedoch nicht mehr völlig durchzuhalten war, werben die regierenden Politiker beiderseits des Atlantiks heftig und mit allen Tricks für die Verträge und für Vertrauen.

Der US-Präsident ist in diesem Zusammenhang zwar offenbar ebenso wie die Bundeskanzlerin dafür, dass bis Ende 2016 ein politisches Rahmenabkommen steht. Aber in den USA wächst angesichts der Stimmung im Vorwahlkampf die Vorsicht. Beim Brussels Forum des German Marshall Fund (GMF) Mitte März äußerte beispielsweise Jeff Sessions, republika­nischer US-Senator, der früher ein Anhänger des Freihandels war, Zweifel: Er selbst sei skeptisch, ob er das Transpazifische Freihandelsabkommen (TTIP) unterstützen solle, und er glaube auch nicht, dass es 2016 eine Mehrheit im Senat finde („Tagesspiegel“, 19.3.2016).

Frank Friedman, Vorstandsmitglied des internationalen Wirtschaftsprüfungs- und Beratungskonzerns Deloitte, sieht angesichts der kategorischen Kritik an Freihandelsabkommen von rechts (Donald Trump) wie links (Bernie Sanders) keine Chance für irgendein solches Projekt in absehbarer Zeit, auch nicht für das Transatlantische Abkommen.

Jetzt drängen offenbar in Europa Unternehmerverbände wie die Regierungen der führenden EU-Staaten darauf, TTIP so schnell wie möglich abzuschließen. Denn die EU hat im letzten Jahrzehnt nicht nur weitere Voraussetzungen für mehr „Wettbewerbsfähigkeit“ geschaffen. Dies findet seinen Niederschlag in „Partnerschaftskomplexen“. Die etwa 1 300 Abkommen (bilateral und im Block mit mehreren Ländern abgeschlossen) enthalten alle die „Liberalisierung“ der Märkte, den Abbau nichttarifärer Hemmnisse, den Investorenschutz. Das Kapital will aber noch mehr „Freiheiten“ – auch, um die weitere Deregulierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse voranzutreiben und den Abbau von Arbeiterrechten durchzusetzen (siehe Kolumne auf Seite 9).

Und nach wie vor werden wesentliche Teile des Abkommens der Öffentlichkeit vorenthalten – selbst Abgeordneten wie denen des Bundestages, die nur Teile des Dokuments einsehen können: Ein direkter Angriff der Konzerne und Regierungen auf die Demokratie.

Die Vorsitzende der Partei „Die Linke“ und Bundestagsabgeordnete Katja Kipping schrieb am 4. Februar: „Die Verantwortlichen scheuen das Licht der Öffentlichkeit … Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der ja laut für das TTIP wirbt, hat nun seit Anfang Februar in seinem Ministerium einen Leseraum eingerichtet. Abgeordnete des Bundestages können jeweils zwei Stunden lang Einblick nehmen in die Dokumente, über die bereits Einigkeit besteht. Nach einem langen und zähen Ringen mit der Bundesregierung dürfen nun wenigstens die Abgeordneten den Text lesen, aber nur sie. … Zugang wird gewährt – parlamentarische Kontrolle als Gnadenrecht (bei Kaffee und Plätzchen). Allein das Prozedere der Anmeldung für den Leseraum ist entlarvend.“

Mit der Losung „Klare Regeln – echte Chancen: Ein starkes TTIP für Deutschland“ wirbt der BDI – im Internet auf der Webseite „IndustrieProTTIP“ für das Freihandelsabkommen mit den USA. Viel flache Agitation, wenig Offenheit. Schließlich gehören die großen deutschen Industrieunternehmen wie die Banken und Versicherungen zu den Nutznießern eines solchen Abkommens. Anlässlich des Besuches von Barack Obama auf der Hannover-Messe wollen die Unternehmerverbände – wie zur Anti-TTIP-Demo in Berlin am 10. Oktober 2015 – mit Plakaten in Hannover „erneut ein Zeichen für ein starkes TTIP“ setzen.

Doch es geht mit TTIP gegen die Interessen der Mehrheit der Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks. Lasst uns also in Hannover mit der Demonstration ein deutliches Zeichen des Protestes und Widerstands setzen!

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"Die große Freiheit für das Kapital", UZ vom 22. April 2016



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