Die junge Welt wird 70

Die größte Zeitung der DDR

Von Arnold Schölzel

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Vor einigen Jahren hatte in den USA jemand ausgerechnet, wann die letzte gedruckte Zeitung erscheinen werde: Im ersten Quartal 2043. Nun geht es Zeitungskonzernen tatsächlich nicht besonders gut, aber Vorhersagen aus den USA – siehe Präsidentschaftswahlen – sind meist nicht besonders ernst zu nehmen. Außerdem ist da noch der Klassenkampf, in dem Zeitungen eine wichtige Rolle spielen können – bei dem von oben wie bei dem von unten. Lenin hat dazu alles Nötige gesagt, als er 1901 die „Iskra“ in Zeiten „zersplitterter Massen“ herausgab (Lenin: Werke Band 5, Seiten 5–13). Wer gegen Ausbeutung und Krieg kämpft, benötigt eine stabile Verbindung zu Gleichgesinnten.

Wenn die „junge Welt“ am kommenden Sonntag als Tageszeitung und nicht als Wochenblatt oder Internetportal 70 Jahre alt wird, dann liegt das Geheimnis ihres Überlebens und sogar Wachsens in den vergangenen Jahren eben darin: Analyse der Ausbeutung zu liefern und den Antikriegskampf zu fördern, keine Parteizeitung zu sein, aber strikt parteilich. Sie muss, da sie keine Subventionen erhält, nach den Gesetzen des Kapitalismus kommerziell geführt werden, ist also auf kostendeckende Einnahmen angewiesen, hat aber mit der 1995 gegründeten Genossenschaft einen Anker erhalten, der ihre finanzielle Unabhängigkeit sichert. In diesen Tagen überschritt die Zahl der Genossenschaftsmitglieder die 2 000er Grenze.

Antifaschismus und antiimperialistische Solidarität standen am Anfang der Zeitung und bestimmen ihr heutiges politisches Profil. Am 12. Februar 1947 erschien die erste Ausgabe der Wochenzeitung „Junge Welt“ als Organ der ein Jahr zuvor gegründeten Freien Deutschen Jugend (FDJ). Erich Honecker, damals deren 35-jähriger Vorsitzender, zwei Jahre zuvor nach zehn Jahren Haft aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit, schrieb im Geleitwort: „Die Junge Welt wird unentwegt für Frieden, Freiheit und Recht eintreten. Sie wird die freundschaftlichen Beziehungen zur Weltjugend pflegen und die Einigungsbestrebungen der deutschen Jugend fördern.“

Dabei ist es geblieben. Die Auflage stieg ab den 50er Jahren rasch. Sie belief sich am 1. März 1952, als die „Junge Welt“ Tageszeitung wurde, auf 261 000 Exemplare, 1989 war sie mit etwa 1,6 Millionen Exemplaren die größte der DDR. Sie wurde populär durch ihren Sport- und Kulturteil, durch Rubriken wie „Unter vier Augen“ zu „Liebe, Lust und Last, Körper

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und Kopf“ (Kolumnistin Jutta Resch-Treuwerth führte sie bis zu ihrem Tod 2013 fort) und widmete sich den Erfolgen und Tücken der Produktion im Sozialismus. Sie begleitete die FDJ-Jugendobjekte vor Ort – vom Bau einer Wasserleitung für die Maxhütte in Unterwellenborn („Max braucht Wasser“) 1948/49 bis zum Bau von Erdgasleitungen in der Sowjet­union in den 80er Jahren. Sie war ein wichtiges Instrument für die Jugendpolitik Walter Ulbrichts im Zuge seiner Reformen Anfang der 60er Jahre: Mehr Mitbestimmungsrechte, Zugang zu Bildung und Kultur für junge Arbeiterinnen und Arbeiter. Neben der Jugendzeitung gab es ab dem Deutschlandtreffen 1964 mit Zehntausenden Teilnehmern aus DDR und BRD den Jugendsender DT 64. Auf Weisung Moskaus wurden allerdings ab 1965 wesentliche Komponenten dieser Jugendpolitik beseitigt.

Ab dem 10. Januar 1990 nannte sich die „Junge Welt“ „Linke Sozialistische Tageszeitung“, wurde 1991 von einer Westberliner Mediengruppe bei einer Auflage von 170 000 Exemplaren übernommen, und erschien ab 9. Mai 1994 als „junge Welt“ mit einem neuen Layout, das erst 2014 modifiziert wurde. Am 5. April 1995 meldete der Verleger jedoch bei einer Auflage von gut 17 000 Exemplaren Insolvenz an. Ein Teil der noch rund 50 Mitarbeiter gründete aber den Verlag 8. Mai GmbH, in dem die Zeitung seit dem 21. April 1995 erscheint. Zwei Jahre später wurde die Redaktion durch eine „antideutsche“ Gruppierung unter Führung von Jürgen Elsässer gespalten und die Wochenzeitung „Jungle World“ gegründet. Das hatte weitere Auflagenverluste zur Folge, die erst seit Anfang des vergangenen Jahrzehnts kompensiert werden konnten. 2017 ist eine verkaufte Auflage von etwa 20 000 Exemplaren erreicht. Die Zeitung scheint „unbankrottbar“, ist es aber selbstverständlich nicht: Ohne Abonnentenzuwachs geht auf Dauer nichts mehr, das gilt auch für ihren Internetauftritt. Was die deutschen Medienkonzerne mit den bisherigen Organisationsstrukturen des Tageszeitungsvertriebs machen, ist von deren Rendite abhängig.

Dennoch, bei diesem Stand der Dinge muss die Pro­gnose anders als jene zitierte lauten: Solange der Kapitalismus dauert, bleibt die „junge Welt“ – als Gegner und voraussichtlich noch ziemlich lange auch gedruckt. Dass es sie im Sozialismus geben muss, wurde schon geprobt. Ihre Mannschaft arbeitet beharrlich und wohlgemut dem 100. Geburtstag entgegen.

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"Die größte Zeitung der DDR", UZ vom 10. Februar 2017



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