In Anlehnung an den gelegentlichen Gebrauch des Hegemoniebegriffs in der III. Internationale hat Antonio Gramsci (1891 bis 1937) ihn in die politischen Wissenschaften eingeführt. Hegemonie steht bei ihm für die Meinungsführerschaft einer Klasse oder eines Landes, die durch kulturell-zivilisatorisches Prestige freiwillige oder gar begeisterte Anhängerschaft und Nachahmung in anderen Klassen beziehungsweise anderen Ländern erzeugt. Er stellte klar, dass kulturelle Hegemonie eine materielle Basis hat, das heißt eine überlegene Produktionsweise, deren Früchte klassenübergreifend vielen Menschen zugutekommen. So konnte der Dialekt von Florenz – im Unterschied zu anderen Dialekten – deshalb zur Grundlage der modernen italienischen Sprache werden, weil in dieser Region erste frühbürgerliche Produktionsweisen entstanden, deren Erzeugnisse auf der ganzen Halbinsel gehandelt wurden: Mit den Waren verbreiteten sich Worte und schließlich auch neue Produktions- und Redeweisen.
Ein anderes Beispiel: Gramsci konstatierte nach dem Ersten Weltkrieg und dem Zusammenbruch der von ihm geleiteten Turiner Rätebewegung, dass die monatelang von Arbeitern besetzten FIAT-Werke mit amerikanischem Kapital saniert wurden. Doch es kamen nicht nur US-Dollars, sondern es kam auch ein neues Produktionssystem in die FIAT-Werke – der Fordismus, welcher den Arbeitern höhere Löhne zusicherte. Gramsci erkannte im Fordismus eine Triebkraft, die dem Kapitalismus eine weitere Epoche des Überlebens sichern könnte. Auch andernorts zeichnete sich der Beginn der US-Hegemonie in Europa ab. Deutlich sichtbar war das in Form von Soft Power: Hollywood-Filme und US-amerikanische Musik eroberten den europäischen Kulturmarkt.
Gramsci sah in dieser Form wirtschaftlicher und kultureller Hegemonie ein Kennzeichen des Funktionierens der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Sie entstand mit der Einführung formaler Gleichstellung der Bürger und dem allgemeinen Wahlrecht, womit die strukturellen Abhängigkeiten der Feudalgesellschaft abgelöst wurden. Obwohl der ökonomische Zwang auf die Menschen im modernen Kapitalismus allgegenwärtig bleibt, tritt die Repressionsmaschinerie in der Normalität des bürgerlichen Staates hinter der kulturellen Hegemonie zurück, die periodisch durch Wahlen bestätigt wird. Es ist nicht ausgeschlossen, dass diese Hegemonie verloren geht und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie mit offener Gewalt aufrechterhalten wird. Das geschah in Italien schon 1922, als der König Benito Mussolini, dessen faschistische Schwarzhemden schon wesentlich zur Niederschlagung der Rätebewegung beigetragen hatten, die Macht übertrug. Der „Duce“ brauchte noch vier Jahre, um auch die parlamentarische Demokratie zu zerstören.
Globale Hegemoniekonkurrenz
Durch die sich konsolidierende Oktoberrevolution entstand im 20. Jahrhundert eine globale Hegemoniekonkurrenz zwischen dem auf Privateigentum und privaten Gewinn orientierten kapitalistischen und dem sozialistischen System. Dieses hatte sich das Ziel gesetzt, auf der Basis von Staatsunternehmen das Gemeinwohl zu entwickeln. Domenico Losurdo (1941 bis 2018) hat dargelegt, dass utopische Vorstellungen wie die Negierung von auch in einer sozialistischen Wirtschaft notwendigen Marktbeziehungen dazu führten, dass es schon bald zu schwersten staatlichen Repressionen kam. Immerhin konnte sich die Sowjetunion der Invasion der Hitlerarmee erwehren und auch einen großen Teil Osteuropas von ihr befreien. Durch diesen Prestigegewinn konnte sie nach dem Zweiten Weltkrieg die Ära der Entkolonialisierung unterstützen, was eine weitere Schwächung der westlichen Hegemonie mit sich brachte. Während den osteuropäischen Staaten ein sozialistisches Wirtschaftssystem mehr oder weniger aufgezwungen wurde, versuchten es auch einige entkolonialisierte, souverän gewordene Länder damit. Weil der Kolonialismus dort die Ausbildung einer finanzstarken Bourgeoisie verhindert hatte, die den nationalen Wirtschaftsaufbau hätte in Gang setzen können, gab es nur die Alternativen, die ökonomischen Kräfte staatlich zu bündeln oder mit westlichem Kapital zu arbeiten. Das aber war – so schon in Frantz Fanons Buch „Die Verdammten dieser Erde“ 1961 nachzulesen – unweigerlich mit der Entwicklung neokolonialer Abhängigkeit verbunden.
Festzuhalten ist, dass das sozialistische Lager einschließlich Chinas damals keine ähnlich umfangreiche Finanz- und Technologiehilfen wie der Westen leisten konnte. Nur der Westen vermochte dem in den unabhängig gewordenen Ländern enorm gestiegenen Bedarf an Kraftfahrzeugen und Flugzeugen nachzukommen. Letztlich war es weniger der Mangel an „Freiheit“, sondern der nicht zugunsten der sozialistischen Staaten verlaufende ökonomische Wettbewerb, der den hegemonialen Kampf 1989 für den Westen entschied.
Der Fall der Berliner Mauer und der sukzessive Zusammenbruch der osteuropäischen sozialistischen Staaten, der 1991 in der Auflösung der Sowjetunion kulminierte, waren ein lang erhoffter Triumph des Westens. Das System, das Gemeinwohl auf der Basis dominanten Staatseigentums an Produktionsmitteln entwickeln wollte, schien sich definitiv als historische Sackgasse erwiesen zu haben. Dass es am Ende auch keine Hegemonie nach innen hatte, zeigte sich daran, dass ein Großteil der Bürger wie auch des leitenden Personals bereit war, seine Zukunft im kapitalistischen System zu suchen.
Demokratie und Neoliberalismus
Für den Westen bot sich nun die ideale Gelegenheit, sein unter dem Label „Demokratie“ laufendes System auch im Globalen Süden zu propagieren und durchzusetzen. Erleichtert wurde der anvisierte Umbau, weil bis dahin der sichtbarste Wohlstand in den Ländern mit bürgerlich-demokratischem System herrschte. Daher schien plausibel, dass die Kombination von Demokratie und Neoliberalismus jetzt überall steigenden Wohlstand sichern werde.
Nicht nur in Entwicklungsländern, sondern auch in den ehemals sozialistischen Staaten zeigte sich, dass die Wiedereinführung des Kapitalismus wesentlich einfacher ist als der Aufbau des Sozialismus – und die Errichtung von Mehrparteiensystemen bot zunächst Gelegenheit, Frustrationen gegenüber den Repräsentanten der alten Systeme abzuarbeiten. Von Vorteilen des Umbaus profitierten nicht nur neue Eliten. Es entstand auch eine neue globale Mittelklasse, die durch ihre überall sichtbare multiethnische Präsenz den Erfolg des Umbaus zu belegen schien.
Der anfängliche Elan für die Errichtung der Demokratie verlangsamte sich im Globalen Süden besonders rasch. Die Bevölkerung durfte nunmehr zwar ab und zu Parteien wählen und auch wieder abwählen, aber die Wohlstandsentwicklung für die Mehrheiten kam bald kaum voran oder war sogar rückläufig. Schon in den 1990er Jahren sagte mir eine Kollegin, die im südlichen Afrika unterwegs war, dass die Menschen keinen Fortschritt seit Einführung der Demokratie verspürten. Das Mehrparteiensystem hatte in manchen Staaten über 50 Parteien hervorgebracht. Vielen missfiel, dass nun eine große Zahl von konkurrierenden Parteiapparaten anstatt nur einer finanziert werden musste. Auch erwies sich das vielgliedrige Parteiensystem weiterhin anfällig für Korruption.
Tatsächlich ging es den westlichen Führungsmächten nicht um die materiellen Lebensbedingungen der Mehrheiten. Demokratie bedeutete aus ihrer Sicht ungehindertes Fließen von Kapital und Arbeitskräften, was mit öfter wechselnden Regierungen besser durchzusetzen war als mit straff organisierten Regimen. Als wirksame Instrumente dienten die Weltbank und der Weltwährungsfonds. Um Kredite zu bekommen, mussten davon abhängige Länder Staatsunternehmen verkaufen oder dichtmachen und strenge Budgetregelungen einhalten. Das bedeutete vor allem den Rückbau des Sozialwesens. Gerade die am wenigsten entwickelten Staaten mussten radikal sparen, vor allem im Bereich der Gesundheits- und Bildungssysteme, nicht zu reden von der erzwungenen Vernachlässigung des gesamten Infrastrukturbereichs. Demokratie und Kapitalismus hatten sich in strikt neoliberaler Form durchgesetzt. Unter dem Label der Demokratie hatte sich ein neues System neokolonialer Ausbeutung etabliert.
Zerstörerische Kriege und Failed States
Aber es gab Staaten, die sich – aus den unterschiedlichsten und nicht immer sympathischen Gründen – in das neue Weltsystem nicht einfügten. Manche wollten sich den Bedingungen von Weltbank und Weltwährungsfonds nicht unterwerfen. Anders als vorhergesagt, kam es weder zum Ende der Geschichte noch zu einer Ära des Weltfriedens. In kürzeren Abständen denn je brachen unter Führung der USA zerstörerische Kriege aus.
Wenn Medien behaupten, dass der Krieg in der Ukraine der erste Krieg auf europäischem Boden nach dem Zweiten Weltkrieg sei, wird offenbar, dass die Europäer den Jugoslawien-Krieg, in dem auch Deutschland mitbombte, völlig vergessen haben. Viele meinen auch, dass die Kriege im Irak, in Afghanistan, Somalia, Syrien und Libyen zwar nicht gewonnen werden konnten, letztlich aber mit gutem Grund geführt wurden. Dass die betroffenen Staaten keineswegs in blühende Demokratien, sondern in Failed States verwandelt wurden, ist jedoch in vielen Ländern des Südens aufmerksam registriert worden und hat das Prestige des Westens tief gestört. Hinzu kommt die Unzufriedenheit mit dem, was Weltbank und Weltwährungsfonds den Regierungen diktieren.
Etwa drei Jahrzehnte hat die beschriebene Form westlicher Hegemonie bestanden – allerdings nur mithilfe von Korruption. Denn die wirtschaftlichen Folgen des neoliberalen Regimes zeigten sich schnell. Das segensreiche Narrativ des westlichen Demokratiemodells befeuerte auch die sogenannten arabischen Revolutionen 2011 und 2012. Aber Vorsicht! In Tunesien fand eine demokratische Wende ohne westliches Zutun statt. Das ist beweisbar, weil die damalige französische Außenministerin Michèle Alliot-Marie in den ersten Tagen der Unruhen anbot, französische Polizeikräfte zur Unterstützung des als Partner des Westens geltenden Ministerpräsidenten Zine el-Abidine Ben Ali zur Verfügung zu stellen. Allerdings drohte die demokratische Wende in Tunesien in eine ähnliche Falle zu laufen wie zwei Jahrzehnte zuvor in Algerien. Weil die soziale Entwicklung unter Ben Alis Neoliberalismus stark rückläufig war, siegte bei den ersten Parlamentswahlen die islamistische Partei. Diese setzte allerdings die neoliberale Politik fort und sozialer Fortschritt blieb aus. Infolge mehrerer islamistischer Attentate brach auch der vielen Tunesiern Arbeit bietende Tourismus ein. Beide Faktoren sorgten dafür, dass sich die Lage der Mehrheiten weiter verschlechterte. Seit Präsident Kais Sayed in Tunesien gegen die unternehmerfreundliche islamistische Opposition vorging sowie Preiskontrollen für Grundnahrungsmittel einführte, verweigern Weltbank und Weltwährungsfonds Tunesien Kredite. Der Präsident wird als „autoritär“ bezeichnet, weil er die Demokratie abbaue. Formal gesehen stimmt das. Aber gerade die Entwicklung im rohstoffarmen Tunesien zeigt, dass der Schaden, den neoliberale Wirtschaftsformen für die Mehrheiten bedeuten, durch neoliberal geprägte bürgerliche Regierungsformen nicht abgewendet wird. In der Corona-Krise, als das tunesische Gesundheitssystem an seine Grenzen gekommen war, bat Präsident Sayed China um Hilfe und erhielt sie auch.
Die Rolle Chinas
Dass China in Asien, Afrika, Lateinamerika und teilweise auch in Europa mittlerweile in der Lage ist, Investitionen und Kredite zu günstigeren Bedingungen anzubieten als der Westen, unterscheidet die heutige Weltlage grundsätzlich von der vor 1989. Die Reformpolitik unter Deng Xiaoping, die von einem strikten Staatssozialismus zu einer gemischten Wirtschaft führte, in der sowohl Staatsbetriebe als auch staatlich kontrollierte Privatbetriebe nebeneinander existieren, hat China zur zweitstärksten Ökonomie der Welt gemacht. Es bietet Kredite und Wirtschaftshilfen sicher nicht völlig uneigennützig an, hat aber – entgegen allen Unkenrufen im Westen – noch keinem kreditnehmenden Land sein eigenes Gesellschaftssystem aufgezwungen.
Hier soll nicht diskutiert werden, ob oder wie weit das aktuelle China noch als sozialistisch oder wenigstens antikapitalistisch bezeichnet werden kann. Es reicht zu konstatieren, dass es heute eine mit dem Westen konkurrenzfähige Wirtschaftsmacht darstellt und Länder des Globalen Südens via Neue Seidenstraße darin unterstützt, den finanziellen Erpressungen von Weltbank und Weltwährungsfonds auszuweichen. Der ägyptische marxistische Ökonom Samir Amin bestätigte, dass der technologische Abstand zwischen sozialistischem Lager und dem Westen bis 1989 so groß war, dass die entkolonialisierten Länder gar keine andere Wahl hatten, als ihre Entwicklungspolitik mithilfe des Westens auf den Weg zu bringen. Das hat sich aber mit dem enormen technologischen Aufholen Chinas geändert. Heute können diese Länder zwischen verschiedenen Angeboten wählen, was sowohl die Technologie betrifft als auch die Kreditbedingungen. Mit chinesischer Hilfe begann namentlich in Afrika eine Ära des Aufbaus großer Infrastrukturen, deren Fehlen bislang den innerafrikanischen Handel blockierte.
Erst durch Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Partnern können und müssen die Staaten des Globalen Südens von ihrer Souveränität Gebrauch machen – gegebenenfalls auch gegen China, zugunsten der eigenen Industrie. China war jahrzehntelang für die Mehrheiten in den armen Ländern Hauptlieferant billiger Gebrauchsgüter. Weil diese mehr und mehr auch in nationaler Produktion hergestellt werden, haben Indonesien, Chile, Südafrika und Mexiko kürzlich beschlossen, auf bestimmte chinesische Waren Einfuhrzölle zu erheben.
Vor allem aufgrund der weltweit durch China ermöglichten Infrastrukturprojekte verspürte der Westen einen erneuten Hegemonieverlust. Er verlor Märkte, politischen Einfluss und nicht zuletzt auch Zugriffe auf Rohstoffe.
Hegemoniewandel in Afrika
Seit einigen Jahren wird das chinesische Engagement militärisch von Russland ergänzt – ein weiterer Aspekt des Hegemoniewandels. In der Zentralafrikanischen Republik, in Libyen, Mali, Burkina Faso und neuerdings auch in Niger, wo die USA ihre größte und teuerste Drohnenbasis in Afrika aufgeben mussten, befinden sich russische Militärberater. Warum? In diesen Ländern geht es vor allem um die Wiedererlangung staatlicher Kontrolle über Gebiete, die von islamistischen Gruppen und Drogenmafias beherrscht werden. Dass es überhaupt so weit kommen konnte, war auch ein Ergebnis neoliberaler Politik, die diesen Staaten aufgezwungen wurde und große Bevölkerungen in Armut stürzte. Warum schafften es westliche Truppen – vor allem aus Frankreich, aber auch aus Deutschland – nicht, die Islamisten zu vertreiben? Ihnen wird vorgeworfen, mit einigen islamistischen Gruppen zusammengearbeitet zu haben. Die Staaten selbst hatten keine Kontrolle darüber, mit welchen islamistisch infiltrierten Bevölkerungen Friedensgespräche geführt werden konnten und welche zu bekämpfen waren. Auch bekamen die nationalen Armeen nicht die modernen Ausrüstungen, die sie in die Lage versetzt hätten, selbst aktiv zu werden. Mangels eigener Flugzeuge verfügten sie nicht einmal über die Lufthoheit. Offiziere, die ihre Soldaten als Kanonenfutter bei westlich geleiteten Einsätzen missbraucht sahen, putschten schließlich. Beseitigt wurden – nach westlichem Maßstab – demokratisch gewählte Regierungen, die das zu lange mitgemacht hatten. Nach dem Abzug der von Frankreich geführten europäischen Militärmissionen erhielt Mali sofort Flugzeuge und andere Ausrüstungen aus Russland und begann, eine schlagkräftigere nationale Armee aufzustellen.
Ob die Putschregierungen ihre militärischen Ziele erreichen und ob es gelingt, ihren Ländern eine wirtschaftliche Perspektive zu geben, ist durchaus offen. Der Versuch, einen anderen Weg als bisher zu gehen, war jedoch unabdingbar. Der zunächst angestrengte Totalboykott der drei Sahelstaaten durch die sie mit anderen Ländern der Region verbindende Economic Community of West African States (ECOWAS) konnte nicht lange durchgehalten werden. Der Senegal, wo Anfang 2024 aus demokratischen Wahlen eine Regierung hervorging, welche die neoliberale Wirtschaftspolitik ebenfalls beenden will, setzt sich mittlerweile für die Neuausrichtung der ganzen ECOWAS ein. Mittelfristig wird die Abkoppelung der gemeinsamen Währung vom Euro angestrebt.
Dollar-Imperialismus und BRICS-Staaten
Die Abhängigkeit von westlichen Währungen – vor allem vom US-Dollar – zu durchbrechen, ist mittlerweile ein Ziel vieler Länder, namentlich derjenigen, die sich als die von China und Russland geführten BRICS-Staaten zusammengeschlossen haben. Obwohl nicht genau bekannt ist, was die Aufnahmekriterien sind, lässt sich doch sagen, dass außer dem zu erklärenden Willen, ausschließlich friedliche und auf gegenseitigen Vorteil bedachte Beziehungen zu pflegen, keine Bedingungen hinsichtlich der sozialen und ökonomischen Ordnung gestellt werden. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu den Diktaten der westlich dominierten Kreditgeber Weltbank und Weltwährungsfonds. Daher setzt sich die BRICS-Kooperation aus Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen zusammen, die außerdem durchaus ihre Beziehungen zu den Ländern der westlichen Hemisphäre fortsetzen wollen. Wenn sich dennoch eine neue Blockkonfrontation anbahnt, wird diese vor allem vom Westen vorangetrieben. Aber es ist nicht ausgemacht, ob das gelingt – die meisten Staaten lehnen eine erneute Zweiteilung der Welt, wie sie vor 1989 bestand, ab.
Hegemonieverlust im Westen …
Der Hegemonieverlust des westlichen Demokratiemodells findet nicht nur im Globalen Süden statt, sondern hat auch die westlichen Staaten selbst erfasst – allen voran die USA. Dass ein System, das dem Präsidenten lebenslang Immunität zusichert und ihm erlaubt, das Personal des Obersten Gerichtshofs selbst zu ernennen, überhaupt noch als demokratisch bezeichnet wird, ist ein gefährlicher Anachronismus. Aber nur wenn Polen oder Ungarn Ähnliches umzusetzen versuchen, wird das – zu Recht – kritisiert. Und dass Präsident Emmanuel Macron sich wochenlang weigert, Wahlergebnisse anzuerkennen, die ihm nicht passen, degradiert Frankreich zu einer „Bananenrepublik“. Hierzulande macht sich der Hegemonieverlust vor allem durch die Errichtung eines sich mehr und mehr verengenden Meinungskorridors nicht nur in den privaten, sondern vor allem in den öffentlich-rechtlichen Medien bemerkbar. Diese Entwicklungen zeigen, dass die bürgerliche Demokratie ins Wanken gerät und „autoritäre“ Gefahren im Westen selbst wachsen.
… und zunehmende Kriegsgefahr
Aus demselben Grund wächst das Risiko der Ausweitung der aktuellen Kriege, wofür keine Regierung eine Volksabstimmung benötigt. Insbesondere die USA wollen ihren Hegemonieverlust nicht hinnehmen und sind bereit, nicht nur ihre Strategie der Stellvertreterkriege fortzusetzen, sondern mithilfe ihrer auf 1.000 geschätzten weltweit verteilten Militärbasen auch selbst immer wieder militärisch aktiv zu werden. Der nächste Großkampfschauplatz steht schon fest: Der Gegner ist der Wirtschaftskonkurrent China. Das heißt nicht, dass sich der Krieg auf den asiatisch-pazifischen Raum beschränken wird. Der Same , dass auch Europa direkt betroffen wird, ist mit dem Krieg in der Ukraine bereits gesät.
Dass sich die USA und die mit ihnen noch verbündeten westlichen Staaten immer schneller und immer stärker auf eine große Gewaltprobe vorbereiten, zeigt an, dass sie die kulturell-zivilisatorische Hegemonie bereits verloren haben. Der ehemals so begehrte American Way of Life kann heute komplett mit chinesischen Waren gelebt werden. Und ausgerechnet eine in China entwickelte Plattform, nämlich TikTok, mischt sogar den Markt der westlichen Populärkultur so stark auf, dass sie in den USA vor die Alternative gestellt wurde, verboten zu werden oder an einen amerikanischen Eigentümer überzugehen. Obwohl TikTok noch kein Zeichen fortschrittlicher kultureller Führerschaft ist, bleibt es doch ein bemerkenswertes Symptom der Hegemonieverschiebung.
Das im Schlepptau der USA rudernde Europa musste in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur an deren Kriegen teilnehmen, sondern auch die Folgen tragen – etwa die Aufnahme von Millionen Kriegsflüchtlingen. Um das Abgleiten in einen existenzbedrohenden Weltkrieg zu verhindern, müssen sich linke Kräfte für eine breite Antikriegsbewegung starkmachen. Der Kampf gegen den Demokratieabbau kann nur gelingen, wenn zugleich eine Diskussion um den Inhalt zeitgemäßer Demokratieentwicklung stattfindet. Gerechte ökonomische Teilhabe muss dabei wieder mitgedacht werden. Und unabdingbar ist auch die Wiedergewinnung internationalistischer Positionen, insbesondere gegenüber den Ländern, die sich aus westlicher Abhängigkeit lösen wollen.
Weder die Preisgabe des internationalen Systems fester Wechselkurse 1973 noch die beiden Ölkrisen der 1970er Jahre, die Finanzprobleme der 1990er noch die Einführung des Euro Anfang der 2000er Jahre und die globale Finanzkrise 2008 haben die Bedeutung des US-Dollar als vorherrschende Referenz auf dem internationalen Kapitalmarkt entscheidend geschwächt. Und auch heute noch entfallen 85 Prozent aller Devisentransaktionen und 61 Prozent der staatlichen Devisenreserven auf den US-Dollar. Doch zunehmend und gefördert durch BRICS wird der internationale Handel in anderen Währungen abgewickelt und die BRICS-Länder arbeiten an einer eigenen Kryptowährung, die nicht von den USA abhängig sein soll. Auch darin drückt sich der Hegemonieverlust der USA und des „Westens“ aus.