Die gemeinsame Klammer

Christoph Hentschel im Gespräch mit Jan Meier und Lena Kreymann

UZ: Ihr führt am 24./25. März euren 23. Bundeskongress durch. Was sind die wichtigsten Vorhaben, die ihr euch vornehmt?

Lena Kreymann: Was man in den letzten Jahren beobachten konnte, ist, dass es an allen Ecken und Enden Angriffe auf die Rechte der Jugend gab. Wir schätzen in unseren Leitanträgen ein, dass das in den nächsten Jahren nicht besser, sondern schlimmer wird. Das kann man zum Beispiel an den Sonderierungsgesprächen sehen. Soziale Forderungen spielen da höchstens eine kosmetische Rolle. Im Bildungsbereich spricht Schulz von der großartigen Bildungsrevolution und verspricht 6 Milliarden Euro. Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man das mit dem realen Bedarf abgleicht. Aktuell fehlen allein 34 Milliarden Euro für baulichen Sanierungsbedarf. Im Pflegebereich sollen 8 000 neue Stellen geschaffen werden, es fehlen aber 70 000 Stellen derzeit. Da kann sich jeder ausrechnen, was 8 000 Stellen ausmachen. Die Stellen sind sogar in den letzten eineinhalb Jahrzehnten weniger geworden, obwohl es Bedarf seitens der Patienten gibt. Die aktuellen Tarifauseinandersetzungen zeigen die realen Probleme auf.

Gleichzeitig erleben wir, dass Deutschland seine Rolle in der Welt ausbauen will. Stichwort dafür ist das Weißbuch der Bundeswehr, wo der Führungsanspruch offen formuliert wird. Die praktische Umsetzung zeigt sich darin, dass sich Deutschland an mehr Kriegen in der Welt beteiligt. Die Diskussion um das Rüstungsziel der NATO von 2 Prozent des BIPs dient dazu, weiter aufzurüsten und die Gesellschaft weiter zu militarisieren. Unter dem Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“ sammelt sich der Protest gegen die Militarisierung.

Der Widerstand ist noch viel zu schwach, wir wollen ihn so gut wir können unterstützen. Wir beteiligen uns an den Warnstreiks der IG Metall in vielen Städten und zeigen uns solidarisch mit den sich in Abwehrkämpfen befindenden Kollegen bei Siemens. Auch die Tarifbewegung Entlastung wird von uns unterstützt.

Das heißt, es gibt viele Beispiele, wo wir schon dabei sind, und das wollen wir mit dem Bundeskongress ausbauen. Unsere Zielstellung ist es, unsere Verankerung in der Jugend weiter zu stärken, einerseits in Betrieb und Gewerkschaft und andererseits an Schulen. Wir wollen dort ansetzen, wo wir im Moment junge Arbeiterinnen und Arbeiter als auch Schülerinnen und Schüler und natürlich unsere Mitglieder aktiv sind. Wir wollen versuchen, Kämpfe zu initiieren und zu unterstützen, um Klassenbewusstsein zu schaffen.

Ein weiteres Ziel unseres Bundeskongresses ist ein eher innerverbandliches. Wir wollen die SDAJ stärken. Wir wollen mehr werden, besser werden und zielen darauf ab, neue Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen und neue Gruppen aufzubauen. Das wollen wir unterfüttern mit einer Bildungsoffensive. Wir wollen die Grundlagen unserer Weltanschauung vermitteln und zwar sowohl nach innen als auch nach außen. Das bedeutet einerseits unsere Mitglieder stärker zu schulen und in unseren Grundlagen zu festigen und aber auch Angebote zu schaffen, wo Leute unsere Inhalte und Einschätzungen kennenlernen können. Was das konkret bedeutet, zeigt unsere Kampagne „Geld gibt es genug – Zeit es uns zu holen“, die wir auf dem Bundeskongress beschließen wollen.

UZ: Was ist euer Resümee aus der Arbeit der letzten Jahre? Wie wertet ihr die Kampagne „Stop Wars – Gemeinsam gegen ihre Kriege“ aus?

Jan Meier: Allgemein kann man sagen, dass was wir in unseren Grundeinheiten gute und sinnvolle Arbeit leisten. Das zeigt sich insbesondere an der Kampagne. Uns ist im Kampagnenzeitraum gelungen, über 100 öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Das ist uns in diesem Umfang in keiner vorigen Kampagne gelungen. Das waren zum Beispiel Fotoaktionen, wo Leute auf ein Schild geschrieben haben, warum sie gegen Krieg sind und sich dann fotografieren ließen und wir haben Unterschriften gesammelt. Das ist sehr gut angekommen und war auch leicht zum Mitmachen und ein guter Diskussionsaufhänger. Die Leute können einen ersten, kleinen Schritt gehen, um selbst aktiv zu werden und sich gegen die Kriegseinsätze der Bundeswehr zu positionieren.

Wir haben außerdem versucht, Kriegstreiber zu outen. Wir haben es nicht nur versucht, sondern in über 40 Fällen auch gemacht, Unternehmen, die von Krieg und Rüstung profitieren, öffentlich angeprangert und skandalisiert. Klar gemacht, hier sind die Verursacher von Krieg. Hier sind die Verursacher von Flucht. Klar gemacht, das Ganze ist eine Klassenfrage. Das war gut und richtig.

Wir haben aber auch festgestellt, dass wir sehr viele gute Ideen haben, was man alles machen kann – haben einen bunten Blumenstrauß an Orientierungen und Möglichkeiten entwickelt.Wir fingen an, uns zu verzetteln. Das ist etwas, was wir jetzt mit dem Kongress verändern wollen. In der Kampagne hat sich gezeigt, dass es uns schwer fällt mit unseren antimilitaristischen und friedenspolitischen Themen in Schulen und Betrieben anzukommen. Wir wollen verstärkt antimilitaristische oder antifaschistische Themen mit sozialen Fragen verbinden, indem wir den Unterschied aufzeigen, was die Klasse braucht, was sie bekommt und wo das Geld dann hingeht.

UZ: Was habt ihr für die nächsten zwei Jahre geplant?

Jan Meier: Bis jetzt war das so, dass wir auf Bundeskongressen eine Reihe an politischen Vorhaben, von denen sicherlich jedes einzelne richtig, sinnvoll und notwendig wäre, beschlossen haben. Wenn sich eine beliebige Gruppe der SDAJ diese Beschlüsse dann vornimmt, stellen wir fest: Das können wir gar nicht schaffen. In diesem Moment wird es beliebig. Man pickt sich was raus und damit ist niemandem geholfen, weder der Gruppe, die keine ordentliche Orientierung vom Bundeskongress erhalten hat, noch den Leitungsstrukturen, die helfen sollen, die Beschlüsse umzusetzen. Die Leitanträge sind entsprechend umgestellt, dass wir sehr viel weniger detaillierte Arbeitsvorhaben und Aktivitäten, sondern gemeinsam Ziele und Orientierungen beschließen.

Gleichzeitig setzen wir einen Schwerpunkt auf die Anleitungsarbeit. Wir wollen uns darauf fokusieren, die Grundeinheiten darin anzuleiten, vor Ort eine Politik zu entwickeln, die diesen Zielen entspricht und gleichzeitig der konkreten Situation angemessen ist.

Das ist eine Herausforderung. Wir verlangen damit von uns selbst, von allen Leitungsgremien, aber auch von allen Gruppen, sehr viel genauer zu gucken, was denn die Anknüpfungspunkte vor Ort bleiben und welche Mittel wir dafür aufwenden müssen.

Lena Kreymann: Die Idee ist, trotzdem eine gemeinsame Klammer zu haben. Das ist die Kostenfrage. Wir wollen gegenüberstellen, was eigentlich real an Bedarf da ist und wofür Geld in dieser Gesellschaft verwendet wird. Diese gemeinsame Klammer wollen wir an allen Orten nutzen und schauen, dass man das konkret auf die Situation vor Ort runterbricht. Man sucht sich beispielsweise das Unternehmen raus, das in der eigenen Stadt eine größere Rolle spielt, und guckt, von wem wird denen etwas in den Rachen geworfen. Dem stellen wir unseren Bedarf im Bildungs- und Ausbildungsbereich entgegen. Konkret heißt das: Die geplante Verdoppelung des Rüstungsetats ist ungefähr die Summe, die wir für die Sanierung der Schulen bräuchten. Alleine mit dem Gewinn von Siemens könnte man die fehlenden 162 000 Stellen in den Krankenhäusern fast vollständig finanzieren. Das wirft auch die Frage auf: Warum wird das denn nicht gemacht? Warum werden so viele Milliarden in die Kriege der BRD gesteckt? Warum verfügen wenige Großaktionäre über die Milliarden, die Millionen Arbeiter erarbeitet haben?

Daher auch der Titel unserer Kampagne „Geld gibt es genug – Zeit es uns zu holen“, der diese Klammer griffig fassen soll.

UZ: Auch für euch ist 2018 ein Jahr der Jubiläen – die SDAJ wird 50.

Jan Meier: Wir haben einiges vor und wollen uns selber ein Geburtstagsgeschenk machen. Wir geben als SDAJ eine Einführung in den Marxismus als Buch heraus, das sich an Jugendliche richten wird, die sich für Marx und den Marxismus interessieren.

Wir wollen natürlich gemeinsam mit der DKP auf dem UZ-Pressefest im September dann unseren Geburtstag feiern. Aber auch schon auf unseren Pfingstcamps im Mai wird es natürlich eine große Rolle spielen. Die SDAJ ist ja am 5. Mai gegründet worden – nicht zufällig am Geburtstag von Karl Marx.

UZ: In der SDAJ haben sich die Diskussionen über den Charakter der SDAJ so weit zugespitzt, dass es einen kollektiven Austritt von mehreren Genossen gab. Dreh- und Angelpunkt war die Diskussion um eine neue Satzung. Worum ging es da?

Lena Kreymann: Eine neue Satzung zu verabschieden war ohnehin der Plan. Das ist der Beschluss des letzten Kongresses, und wie dort beschlossen, lag der erste Entwurf im Dezember 2016 und der Bundesvorstandsbeschluss im Februar 2017 über ein Jahr vor dem jetzigen Bundeskongress vor. Das Ziel war, die Möglichkeit zu geben, das ausführlich zu diskutieren. Das ist auch passiert. Es gab auch einen Gegenantrag gegen diesen Entwurf. Es gab diverse Instrumente wie Leitungsrundbriefe, ein Gruppenleitungstreffen und Bundesvorstandssitzungen, wo die Diskussion geführt wurde. Von den Ausgetretenen wird der Vorwurf erhoben, die Diskussion sei nicht möglich gewesen. Das ist angesichts dieser umfangreichen Debatte schlicht und einfach falsch.

Wir denken, dass die Einschätzung derjenigen, die jetzt gegangen sind, die war, dass sie sich mit ihren Positionen nicht durchsetzen konnten. Wir haben erfahren, dass diese Austrittswelle vorbereitet war. Es gab im Sommer 2017 ein Geheimtreffen und dort wurde auf alle enorm viel Druck ausgeübt, darüber nichts zu sagen. Es ist richtig, hier von einer Fraktionsbildung zu sprechen. Nach dem Treffen ging es dann auch vor allem nur noch darum, möglichst viele mit aus der SDAJ herauszunehmen.

Der Kernvorwurf war, dass SDAJ und DKP eine reformistische Strategie verfolgen würden. Das halten wir für Unsinn. Der Vorwurf wird konstruiert an Hand von sehr aus dem Kontext gerissenen Zitaten aus Zukunftspapier und Parteiprogramm. Das konkretisiert sich dann an mehreren Punkten. Zum Beispiel wirft die ausgetretene Fraktion uns vor, die Zusammenarbeit insbesondere mit sozialdemokratischen Organisationen würde Illusionen schüren. Da zeigt sich eine sehr schematische Herangehensweise an Bündnispolitik. Wir betonen immer, dass in der Bündnispolitik wie auch bei Reformkämpfen Illusionen eine Gefahr darstellen. Das heißt aber nicht, dass man diese Kämpfe aufgeben darf, sondern dass man Klassenbewusstsein schaffen muss, um dem etwas entgegenzusetzen. Ohne den Kampf für demokratische und soziale Reformen und die Orientierung auf Übergänge, die das Herankommen an die sozialistische Revolution ermöglichen – ohne diese zu ersetzen – werden wir dieses Klassenbewusstsein, und das beinhaltet auch das Bewusstsein darüber, dass die Sozialdemokratie viel verspricht, real aber immer wieder den Kampf verrät, nicht schaffen können. Das ist kein Reformismus, sondern, um es mit Rosa Luxemburg zu sagen, revolutionäre Realpolitik, bei der die politische Kleinarbeit des Alltages das ausführende Werkzeug der Revolution wird.

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"Die gemeinsame Klammer", UZ vom 9. Februar 2018



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