Niemand hätte erwartet, dass die Welt erneut vor der Gefahr einer atomaren Eskalation stehen würde. Während Russland die NATO davor warnt, das atomare Potenzial Russlands zu vergessen, wird von Vertretern der Ukraine die NATO selbst zu einem Erstschlag aufgefordert. In der kommenden Woche will die NATO ihre Militärübung „Steadfast Noon“ zum Einsatz von Atomwaffen in Europa starten. Die Drohung mit atomaren Waffen ist politisch nicht hinzunehmen. Daher warnt die FIR eindringlich vor einer solchen Eskalation und erinnert an die Kubakrise Ende Oktober 1962, die eine diplomatische Lösung gefunden hat.
Seit dem Sturz der Batista-Diktatur und dem Sieg der kubanischen Revolution unter Fidel Castro begann bereits 1960 die US-amerikanische Embargo-Politik gegen Kuba, eine Politik, die trotz regelmäßiger Verurteilung durch die Vereinten Nationen bis heute weitergeführt wird und mit Handelssanktionen immer wieder Versorgungsprobleme für die Menschen in Kuba bringt. Gleichzeitig bildeten Geheimdienst und Militär in den USA Exilkubaner aus, die versuchen sollten, die Revolutionsregierung auf Kuba zu stürzen. Das Scheitern der Landeaktion der Invasionstruppen im April 1961 ging unter dem Namen „Desaster in der Schweinebucht“ in die Geschichtsbücher ein.
Spätestens jetzt war klar, dass Kuba militärische Verbündete zum Schutz vor einer erneuten Invasion benötigte. Als die Sowjetunion einen solchen Schutz anbot, nahm die kubanische Regierung diese Unterstützung an. Ab Juni 1962 begann die „Operation Anadyr“, die Stationierung von atomaren Mittel- und Langstreckenraketen sowie von 40 000 sowjetischen Soldaten auf Kuba.
Für die UdSSR war die Stationierung von Raketen auf Kuba eine Antwort auf die amerikanische Stationierung von Atomraketen in Italien und insbesondere in der Türkei, die auf Moskau und andere Großstädte gerichtet waren.
Als durch amerikanische Spionageflüge über Kuba im Oktober 1962 erkennbar wurde, dass die Stationierung der sowjetischen Raketen Fortschritte machte, glaubte die US-Regierung, handeln zu müssen. Das US-Militär wollte bombardieren, Präsident Kennedy kündigte stattdessen am 22. Oktober eine Seeblockade an. Die sowjetische Regierung reagierte mit scharfen Worten. Die Blockade wurde als Piratenakt bezeichnet und die USA beschuldigt, die Welt an den Rand eines Atomkrieges zu bringen. Auf einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 25. Oktober wurden die gegenseitigen Vorwürfe bekräftigt, wobei am folgenden Tag Chruschtschow dem US-Präsidenten in einem Schreiben anbot, die Raketen von Kuba abzuziehen, falls die USA eine Invasion von Kuba ausschließe und die amerikanischen Jupiter-Raketen aus der Türkei abziehe. Damit lag eine Verhandlungslösung auf dem Tisch.
Während dieser Blockade gab es ein hohes Eskalationspotenzial, das zu einem Nuklearschlag hätten führen können. Nicht nur Frachtschiffe wurden in internationalen Gewässern zum Abdrehen gezwungen. Am 27. Oktober zwang ein US-Zerstörer mit Wasserbomben das sowjetische U-Boot B-59 zum Auftauchen. Es war dem Kommandanten des U-Boots Wassili A. Archipow zu danken, der sich – wie wir heute wissen – weigerte, die an Bord befindlichen Nuklearwaffen ohne ausdrücklichen Befehl aus Moskau einzusetzen. Auch amerikanische Spionageflüge wurden fortgesetzt, wobei in diesem Tag ein U-2-Spionageflugzeug über Kuba abgeschossen wurde. Kennedy untersagte jedoch einen Gegenangriff ausdrücklich.
Am Abend des 27. Oktober gab es ein Geheimtreffen zwischen Robert F. Kennedy und dem Sowjetbotschafter Anatoli Dobrynin. John F. Kennedy ließ seinen Bruder erklären, dass er dem Vorschlag aus dem sowjetischen Schreiben zustimme. Dobrynin gab diese Nachricht sofort nach Moskau weiter. Spätnachts entschied Nikita Chruschtschow, das Angebot Kennedys anzunehmen und die Raketen aus Kuba abzuziehen.
Die USA erklärten daraufhin offiziell, keine Interventionen mehr gegen Kuba vorzunehmen. Ende November wurde die Seeblockade offiziell aufgehoben, die UdSSR baute ihre Raketenstellungen auf Kuba ab, wenige Monate später holten die USA die Jupiter-Raketen aus der Türkei zurück.
Damit konnte die Kubakrise, die die Welt an den Rand eines Atomkrieges gebracht hatte, auf dem Wege der Diplomatie gelöst werden. Anschließend wurde ein „Rotes Telefon“ zwischen Washington und Moskau für künftige operative Verständigung eingerichtet. Auch begannen erste Gespräche über Rüstungskontrolle und Rüstungsbegrenzung.
Die Erinnerung an diese dramatischen Tage der Weltgeschichte warnt nicht nur vor der Gefahr nuklearer Kriege, sondern bekräftigt die Forderung nach diplomatischen Lösungen internationaler Konflikte, die auch heute im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg unverzichtbar sind.