„Die Flüchtlinge dieser Tage sind die Folge unserer Politik“

Markus Bernhardt im Gespräch mit Felix Oekentorp

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Felix Oekentorp ist Landessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Verinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) und einer der Sprecher des Ostermarsch Ruhr. Außerdem engagiert er sich in der Antifa Wattenscheid

UZ: Am kommenden Wochenende finden in vielen bundesdeutschen Städten die traditionellen Ostermärsche statt. Der Ostermarsch Ruhr gehört zu den größten seiner Art. Was werden in diesem Jahr die politischen Schwerpunktthemen im Ruhrgebiet sein?

Felix Oekentorp: Die Herausforderungen an die Friedensbewegung sind sehr vielfältig. Daher werden sich die Themen in den verschiedenen Städten sicherlich auch nur punktuell unterscheiden. Wir gehen Ostern natürlich auch in diesem Jahr gegen Krieg und Militarisierung auf die Straße. Wir wenden uns gegen Bundeswehreinsätze im Ausland und stellen uns gegen die imperialistische Kriegspolitik der USA, Deutschlands und der NATO. Wir werben für ein Ende des Krieges in Syrien und fordern als Sofortmaßnahme von der Bundesregierung die Zurücknahme aller Genehmigungen für Rüstungsexporte in den Nahen und Mittleren Osten und von der EU ein striktes allgemeines Waffenembargo.

UZ: Welche Rolle wird die Flüchtlingspolitik spielen?

Felix Oekentorp: Die Situation der Flüchtlinge wird eine große Rolle spielen. Sie ist nicht getrennt von der herrschenden Kriegspolitik zu betrachten. Das wollen wir vor dem Hintergrund der jüngsten AfD-Wahlsiege bei den Landtagswahlen auch verstärkt öffentlich thematisieren.

UZ: Inwiefern?

Felix Oekentorp: Die meisten Flüchtlinge, die aktuell in die EU flüchten und dabei ihr Leben aufs Spiel setzen, flüchten vor Krieg, Terror und Verfolgung. Sie kommen in übergroßer Mehrheit aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem ehemaligen Jugoslawien. Also aus den Ländern, in denen die selbsternannte westliche Wertegemeinschaft Kriege geführt oder sie zumindest angeheizt hat. Die Flüchtlinge dieser Tage sind die Folge unserer Politik. Das kann man gar nicht oft genug benennen. Wer ernsthaft der Meinung ist, Militäreinsätze, Waffenlieferungen und Bomben könnten irgendwo auf der Welt Frieden schaffen, leidet bestenfalls unter Schizophrenie. Wir werden uns also unserer Verantwortung stellen und den Flüchtlingen helfen müssen.

UZ: Das dürfte jedoch in der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft kein Konsens sein …

Felix Oekentorp: Was hier Konsens sein könnte, oder auch eben nicht, ist für mich nur begrenzt von Interesse. Wer meint, er müsste Anschläge auf Menschen verüben, die um Hilfe bitten und nichts mehr besitzen als die Dinge, die sie am Leib tragen, offenbart sein wahres Gesicht. Es ist erschreckend, dass rassistische Gewalt immer offensichtlicher in der sogenannten Mitte dieser Gesellschaft angekommen ist. Ich würde von den AfD- und „Pegida“-Unterstützern gern einmal wissen, warum sie eigentlich der Meinung sind, mehr Geld vom Staat zu bekommen, wenn die Flüchtlinge alle abgeschoben würden. Dazu gibt es keinen Grund. Auch wenn kein einziger Flüchtling in Deutschland untergebracht würde, würden diese Menschen keinen einzigen Cent mehr in der Geldbörse haben.

UZ: Sehen Sie Möglichkeiten, die Welle der Hetze und des Hasses zu bekämpfen?

Felix Oekentorp: Erstmal muss festgehalten werden, dass man Hilfesuchenden hilft. Das gebietet der Anstand, dafür muss man kein Linker sein. Darüber hinaus brauchen wir nun staatliche Investitionen für Integration, aber auch für Bildung, Gesundheitssystem und soziale Transferleistungen. Die Abgehängten und sozial Deklassierten müssen endlich mitbekommen, dass sie mit den Flüchtlingen in einem Boot sitzen. Oder sind es etwa die Flüchtlinge, die darum gebeten haben, dass in ihren Ländern Krieg herrscht? Oder die verantwortlich wären für den Sozialabbau, der in den letzten Jahren von den unterschiedlichen Bundesregierungen betrieben wurde?

UZ: Was wird neben der Flüchtlingspolitik noch Thema des Ostermarsches im Ruhrgebiet sein?

Felix Oekentorp: Wir fordern von der Bundesregierung, gemäß dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom März 2010 endlich den Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland zu veranlassen. Die Bundesregierung muss unverzüglich den Verzicht Deutschlands an der „nuklearen Teilhabe“ im Rahmen ihrer NATO-Mitgliedschaft erklären. Zudem muss gerade in NRW die Weiterverbreitung von Nuklearwaffentechnik verhindert und die Urananreicherungsanlage in Gronau sofort stillgelegt werden. Krieg beginnt in Nordrhein-Westfalen in der NATO-Kommandozentrale in Kalkar, in Rüstungsbetrieben wie Rheinmetall in Düsseldorf, in der Urananreicherungsanlage in Gronau oder in Schulen und Universitäten, in denen die Bundeswehr Nachwuchs wirbt. Damit muss schnellstmöglich Schluss ein.

UZ: Die Friedensbewegung hat in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung verloren. Wer trägt die Verantwortung für die abnehmende Unterstützung?

Felix Oekentorp: Es ist richtig, wir sind als Friedensbewegung nicht mehr so stark wir in den 1980er Jahren. Die Zeiten sind schnelllebiger geworden, gesellschaftliches Engagement gehört nicht mehr für alle Bürgerinnen und Bürger zum guten Ton. Und ja, auch wir haben sicherlich Fehler gemacht und wirken vielerorts altbacken. Besser machen kann man jedoch immer alles. Von daher möchte ich die Fehler auch nicht bei den Aktiven der Friedensbewegung suchen. Jedenfalls nicht nur in unseren Reihen. Die Ostermarschbewegung und auch die Friedensbewegung stand und steht allen offen, die sich einbringen wollen. Jedenfalls denen, die sich unserem inhaltlichen Grundkonsens anschließen können, der da „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ lautet. Wir freuen uns tatsächlich über neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter, die sich mit frischen Ideen einbringen wollen. Daher ist es uns ja auch so wichtig, künftig breiter aufgestellt zu sein.

UZ: Was bedeutet das konkret?

Felix Oekentorp: Wir haben beim Ostermarsch Ruhr immer versucht, auch andere soziale Bewegungen zum Mitmachen einzuladen. Initiativen gegen Armut waren bei uns in der Vergangenheit regelmäßig zu Gast. Aktuell sind wir mit verschiedenen Flüchtlingsinitiativen im Gespräch. Auch das Thema Antifaschismus hat bei uns einen hohen Stellenwert. In diesem Jahr werden wir bei unserem Zwischenstopp in Wattenscheid an den im letzten Jahr leider verstorbenen Antifa-Aktivisten Hannes Bienert erinnern, der über Jahrzehnte hinweg an vorderster Stelle gegen Rassismus, Nazis und Krieg gekämpft hat. In Dortmund werden wir wie in jedem Jahr in Dortmund-Dorstfeld Stellung gegen die Neonazis beziehen, die sich dort eingenistet haben und Migranten und Linke terrorisieren. Die Herausforderungen an uns sind also höchst vielfältig und wir versuchen ihnen gerecht zu werden. Und das, bei aller Kritik, auch nicht ganz frei von Erfolg.

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"„Die Flüchtlinge dieser Tage sind die Folge unserer Politik“", UZ vom 25. März 2016



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