Am 7. November 1917 läutete der Schuss des Panzerkreuzers Aurora die Große Sozialistische Oktoberrevolution ein, die die Grundlage für den Frieden in Europa legte und das bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts darstellt. Mit diesem Gedanken leitete Siegfried Kretzschmar vom Marxistischen Forum Sachsen am vergangenen Wochenende vor ca. 60 Besuchern die Konferenz „Machteroberung 1917 und Machtfrage heute“ ein, zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution, veranstaltet von Genossen der Linkspartei, des Rotfuchs Fördervereins, der DKP und SDAJ Leipzig sowie anderer Organisationen. Die Flamme dieser Revolution sei zwar erloschen, aber ihre wissenschaftliche Analyse immer noch notwendig.
Warum das so ist, zeigte der Journalist Arnold Schölzel, der der Formel vom „Ende der Geschichte“, entgegnete: Statt Ausbreitung von Kapitalismus mit sozialem Antlitz und Demokratie wurden staatsterroristische Gewalt durch die USA und ihren Verbündeten sowie extreme ökonomische und politische Diktate der stärksten kapitalistischen Länder in den letzten 26 Jahren bestimmend. So bleibe die Frage heute die gleiche, vor die auch die Oktoberrevolution gestellt wurde: Sozialismus oder Barbarei. Zu den Ideen, die von ihr in die Welt getragen wurden, gehöre „die einer unmittelbar von den Volksmassen getragenen Staatsmacht“, und zwar sowohl bei der Eroberung der politischen Macht durch die Sowjets und beim Aufbau des Sozialismus. Ihre Verteidigung und erneuter Aufbau bleibt das, „womit die heutige sozialistische Bewegung beginnen kann.“ Der Kampf drehe sich um Frieden und Demokratisierung. „Auf bestimmte Formen kann er nicht festgelegt werden.“
Nach Steve Hollasky von der SAV – Sozialistische Alternative, hat die Oktoberrevolution bewiesen, dass „es geht“, und: „So schnell kann es gehen.“ Sie zeigte sich als Weg, den Krieg zu überwinden, die politische Macht der Arbeiter und Bauern zu errichten und elementare Rechte zu verwirklichen. Die Spontanität der Massen und ihre Bereitschaft zum Klassenkampf waren dafür entscheidend, führten aber nur zum Erfolg, weil es die Bolschewiki verstanden, „die Entwicklung des Bewusstseins voranzutreiben“ und „für sich und die Revolution nutzbar“ zu machen. In Anlehnung und Abgrenzung zur Kritik an der Stalinzeit formulierte Ekkehard Lieberam vom Marxistischen Forum Sachsen: „Die Sowjetmacht brauchte eigene handlungsfähige sozialistische Staatsorgane. Neben dem Kommunestaat trat der Eigentümerstaat […]. Sozialistische Demokratie als Kontrolle des sozialistischen Staates und der Partei von unten wurde zu einer zentralen Frage.“ Die Oktoberrevolution sei als „frühe sozialistische oder frühsozialistische Revolution“ zu bewerten, ohne Wunschdenken und ungesicherten Prognosen zu erliegen. Das bedeute aber nicht, „dass das alles Frühsozialismus gewesen ist“. Die materiellen Existenzbedingungen für eine sozialistische Gesellschaft waren gegeben, aber gesicherte Erkenntnisse seien, „dass der sozialistische Staat für lange Zeit notwendig ist“ und dass „über die Unzulänglichkeiten und ungelösten Probleme auf diesem Gebiet nachgedacht werden muss“.
Für einen Neuanfang des Übergangs zum Sozialismus plädierte der Historiker Volker Külow. Ein alltagstaugliches Revolutionskonzept besitze heute keine linke Partei und, „wie ein zeitgemäßes revolutionäres Subjekt aussehen kann“, sei weitgehend offen. Die Oktoberrevolution wirkte als „Leitrevolution“ für das 20. Jahrhundert wie 1789 für das vorherige, um aus dem imperialistischen Weltsystem und -krieg auszubrechen. Sie sei aber auch ein frühsozialistischer Versuch mit tiefen Widersprüchen. Der Begriff „Stalinismus“ diene als Schlagwort gegen den Sozialismus, aber nicht jede Kritik an ihm ende im Antikommunismus. Die Demokratie sei daher die entscheidende Frage für den Sozialismus des 21. Jahrhunderts.
Als eine Phase der ursprünglichen Akkumulation, wie sie sich in den westlichen kapitalistischen Staaten mit hoher Brutalität in 350 Jahren abspielte, charakterisierte Georg Fülberth die Geschichte Russlands 1861 bis 1941. Infolge des Scheiterns der Revolution in den entwickelten kapitalistischen Staaten vollzog die Oktoberrevolution bis 1991 den Übergang Russlands vom Feudalismus zum Kapitalismus. Der Frühsozialismus könne beschrieben werden als „eine auf öffentlichem Eigentum beruhende Gesellschaftsform, die noch keine eigene ausreichende technische und ökonomische Basis hatte und diese auch nicht haben konnte.“ Ein zukünftiger Sozialismus wird sich auf die Erfahrung der Oktoberrevolution stützen können, aber „vielleicht nicht Analog zu einem Experiment, sondern zur Modellierung und Simulation.“
Das wohltuende Neben- und Miteinander kontroverser Sichtweisen bestimmte auch die weitere Diskussion. Teilnehmer stellten darin das Problem der Bürokratie der sowjetischen Staaten ebenso heraus, wie Genossen der MLPD auf die Staatstheorie des Marxismus-Leninismus und die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats verwiesen. Mehrfach wurde betont, dass eine pauschale Verurteilung des Sozialismus ebenso vermieden werden muss wie eine Mythologisierung der Geschichte, die historische Fakten verschweigt und innerparteiliche Opposition verunglimpft. Die Beiträge der Konferenz, die in freundlicher Atmosphäre verlief, werden demnächst veröffentlicht.