Rudi W. Berger ist tot: Sein letztes Werk ist die Dokumentation einer erstaunlichen Dramatik

Die Farbe Rot

Von Rüdiger Bernhardt

Rudi W. Berger

Berge blau und die Fahne rot

Schauspiele, Komödien und ein Fragment aus vier Jahrzehnten

Leipzig, Engelsdorfer Verlag 2018

287 S., 18 Euro

Am 18. Mai 2019 ist der Schriftsteller Rudi W. Berger gestorben. Fast bis zuletzt war er öffentlich tätig, bestaunt von vielen als ältester Poetry-Slammer Deutschlands, der sein Publikum zu begeistern wusste. Mit ihm ist ein entschiedener Sozialist von uns gegangen, der keine Gelegenheit ungenutzt ließ, um seine Vorstellungen von Gerechtigkeit und Menschlichkeit mit entschiedenem Nachdruck vorzustellen und zu verteidigen.

Wer Rudi W. Berger kannte, seine Romane, Erzählungen, Hörspiele oder Gedichte gelesen oder ihn gar selbst vortragend erlebte, bestaunte die sprachliche Kraft, die Leidenschaft und das soziale Engagement des Schriftstellers. Mehrfach wurden seine Dichtungen in der UZ vorgestellt: ein anregender Essayband am 27. Dezember 2013, anderes am 13. Juni 2014. Unermüdlich legte er Buch um Buch vor, oft mit der Symbolfarbe Rot ausgezeichnet, die er besonders liebte. Seinem letzten Buch gab er das Rot sogar im Titel mit: „Berge blau und die Fahne rot. Schauspiele, Komödien und ein Fragment aus vier Jahrzehnten“ (2018).

Rudi W. Berger wurde am 3. Januar 1924 in Löhma bei Schleiz geboren. Er war in allen literarischen Gattungen zu Hause. Seine Texte waren immer spannend, manchmal erschütternd, seine Lyrik überraschte mit Erstaunlichem, so schrieb er eine sehr empfindsame, innige Liebeslyrik. Seine Essays provozierten oft. Kompromissbereitschaft war dem Autor fremd; man gab ihm nach 1989 kaum Anlass, sie entwickeln zu können. Seine Sicht auf sein Leben in verschiedenen Staaten war erregend. Den Weg aus der Kulturpolitik in die Literatur ist Berger konsequent gegangen: 1964/65 hatte er am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ in Leipzig studiert. Sein Seminarleiter war der Verfasser des heute legendären Romans „Rummelplatz“ Werner Bräunig. 1974 schrieb Berger sein erstes Bühnenstück „Das Wagnis“. Die Inszenierung wurde ein Erfolg. Nun ist ein Buch mit seiner Dramatik, aber auch mit aufschlussreichen Dokumenten zur gesellschaftlichen Rolle dieser Dramatik, sein letztes Buch geworden: die Dokumentation „Berge blau und die Fahne rot“, so der Titel eines der in dem Band enthaltenen Bühnenstücke. Sind die Bühnenstücke bereits wegen ihrer Unduldsamkeit, teils auch Schroffheit Zeitdokumente von Bedeutung und typisch für Bergers Schreiben, so ist das mitgelieferte Material über Entstehung, öffentliche Diskussionen und Inszenierungen von einmaligem Wert, weil es Einblicke in weithin unbekannte Prozesse verschafft. „Das Wagnis“ hat neben anderen Stücken seinen Platz in dem Band gefunden. Das aktuelle Thema galt der Automatisierung, hier in der Möbelherstellung, dadurch änderte sich die Arbeit grundsätzlich. Das war für die Menschen damals ebenso schwierig wie es heute der Umgang mit der Digitalisierung ist. Ungewöhnlich war, dass dieses Stück von Mitarbeitern des Deutschen Theaters (Berlin) betreut und vom Fernsehen der DDR ausgestattet und zu den 15. Arbeiterfestspielen inszeniert wurde.

Bergers letztes Buch dokumentiert eindrucksvoll kulturpolitische Vorgänge, die immer wieder einseitig behandelt wurden. Es ging bei dem Bitterfelder Weg nicht um die Entwicklung von Autoren, die eine neue Nationalliteratur schaffen sollten, sondern um die Befähigung der Menschen, mit Literatur umzugehen und den Schriftstellern eine ihnen ungewohnte Lebenswirklichkeit als Thema vorzustellen. In den besten Fällen fiel beides zusammen und Literaturinteressierte wurden auch Schriftsteller, Rudi W. Berger war ein solcher Fall. Er skizzierte in der Einleitung zu der Dokumentation die Entwicklung der beiden deutschen Staaten: „Nicht die BRD, durch den Marshallplan herausgefüttert, war seinerzeit das wirkliche deutsche Wirtschaftswunder, sondern die DDR.“ Sein Schauspiel „Das Wagnis“ war eine Illustration dieses Vorgangs, denn das grundsätzliche Thema ist der Übergang von einer alten zu einer modernen Produktionsweise, die aber an Schwierigkeiten zu scheitern drohte. Es ist der zentrale Text des Bandes und auch das wichtigste Zeugnis. Nachdem es ein Ergebnis gemeinschaftlicher Arbeit war, wurde es schließlich wegen „ideologischer Mängel“ aus dem Programm der Arbeiterfestspiele gestrichen. Die Gründe waren nebulös. Die Probleme lagen ähnlich wie bei vergleichbaren Vorgängen um Heiner Müllers „Der Bau“ und Peter Hacks‘ „Die Sorgen und die Macht“: Die Erwartungshaltung der Funktionäre stimmte nicht mit den Interessen der Schriftsteller und des Publikums überein. Während die Besucher der Uraufführung des Stückes sich und ihre Probleme wiederfanden – eine Situation, in der ständig neue Herausforderungen entstehen, die oft schmerzhaft in das Gewohnte eingreifen –, während die Uraufführung „zu einem respektablen Erfolg“ wurde und auch Manfred Krug viel Zustimmendes zu sagen hatte, wurde über die Gründe der Absetzung von den Arbeiterfestspielen nichts mitgeteilt. Streit auf dieser Ebene war nichts Seltenes, insofern sind die Gründe interessant. Rudi W. Berger wich solchen Auseinandersetzungen nicht aus, bis zuletzt nicht. Im Vorwort zu diesem letzten seiner Bücher legte er nochmals seine Sicht auf die Welt vor: Er wollte sich als „Gestalter sehen, … dafür braucht es allerdings jene Tasten Mut und Kraft, die der Schriftsteller schreibend schlägt“. Das wollte er leben und das lebte er. Deshalb erinnern wir uns an ihn mit Hochachtung und Dank; sein umfangreiches Werk sollten wir als Dokument einer solchen Haltung bewahren, hüten, nutzen und nicht vergessen.

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"Die Farbe Rot", UZ vom 7. Juni 2019



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