Zu den Verboten am 8. und 9. Mai

Die Fahne nicht nehmen lassen

Anti-Repressions-Kolumne

Die Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus am 8. und 9. Mai standen in diesem Jahr im Zeichen des Krieges in der Ukraine. Das war absehbar und ist in Teilen berechtigt, denn der stattfindende Krieg ist furchtbar und muss schnellstmöglich enden. Aber die Herrschenden in diesem Land haben ihr eigenes politisches Interesse, und das ist alles andere als friedenspolitisch. Angesichts der geplanten Verankerung der Aufrüstung mit einem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen im Grundgesetz und der Debatte um die Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine verkommt der Slogan „Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg!“ aus ihrem Mund zur Farce.

Dabei ist es gerade in Zeiten der Kriegshysterie wichtig, diesen Slogan zu verteidigen, ihn mit Inhalt zu füllen und seine Umkehrung nicht zuzulassen. Denn das ist es, was von Regierungskreisen gezielt versucht wird. Es kam nicht von ungefähr, dass zu den Gedenkfeiern am 8. und 9. Mai am So­wjetischen Ehrenmal im Treptower Park in Berlin das Zeigen der Flagge der Sowjetunion per Runderlass untersagt wurde. Verboten wurden auch Symbole aus der Zeit des Zarismus und auch das Schwenken ukrainischer Flaggen war offiziell untersagt. Mit dem Verbot der sowjetischen Fahne sollten aber gezielt die Errungenschaften der Großen Oktoberrevolution diskreditiert werden. Sie sollten öffentlich verfälscht werden, indem sie mit der Politik des heutigen Russland nach der Restauration des Kapitalismus gleichgesetzt wurden. Diese Taktik des Klassengegners ist nicht dumm, aber unhistorisch und geschichtsverfälschend. Dumm ist die in den vergangenen Wochen in verschieden Varianten geäußerte Behauptung „Putin ist der neue Hitler“. Aber selbst das plappern noch manche Linksliberale nach, von denen viele eigentlich politisch gebildete Menschen sind. Sicher steckt bei vielen kein Kalkül dahinter, die westliche Propaganda in Kriegszeiten ist stark und allgegenwärtig.

Was für eine Genugtuung muss es für viele Berliner Cops gewesen sein, endlich direkt gegen die Rote Fahne mit Hammer und Sichel vorgehen zu dürfen, ermächtigt mit entsprechendem Runderlass. Verhindern konnten sie das Zeigen der Sowjetfahnen aber nicht. Auch nicht, dass eine Person in Ribnitz-Damgarten an der Ostsee unerkannt auf einen meterhohen Sendemast kletterte, um dort die Flagge der Befreiung zu hissen. Denn dafür steht die Fahne. Zehntausende Rotarmistinnen und Rotarmisten haben ihr Leben geopfert, um den Faschismus an der Macht zu besiegen. Sie haben Berlin befreit. Das ist ihnen ihm Verbund mit westlichen Alliierten gelungen. Doch niemand bei Trost wird der Tatsache widersprechen, dass die Sowjetunion, dass die sowjetischen Völker den größten Anteil daran hatten – und die meisten Opfer beklagten. Diese Tatsache und das Andenken an die vielen Gestorbenen soll entwertet und vergessen gemacht werden.

Dem müssen wir uns politisch und juristisch entgegenstellen. Politisch, indem wir uns das Gedenken nicht sanktionieren oder verbieten lassen. Auch indem wir über die Geschichte der Sowjetunion informieren. Indem wir jeden imperialistischen Krieg ächten. Und indem wir diese politisch motivierten Runderlasse der Klassenjustiz auch vor Gericht entlarven. Die DKP hatte bereits in den Tagen vor den Feierlichkeiten öffentlich erklärt, sich das Tragen der Symbole der Sowjetunion und der Roten Armee nicht verbieten zu lassen und ist juristisch gegen den Runderlass vorgegangen. Sie wird auch gegen die Ablehnung ihres Einspruchs durch das Oberverwaltungsgerichts vorgehen. Viel Erfolg!

Unser Autor ist Bundessprecher der Roten Hilfe e. V.

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"Die Fahne nicht nehmen lassen", UZ vom 20. Mai 2022



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