Widerstand gegen die Salonfähigkeit neuer Rechter in Karlsruhe

Die Fäulnis des Imperialismus und die Philosophie

Von KAJ/UZ

Noch ist die Alternative für Deutschland (AfD) ein versprengter Haufen reaktionärer Kräfte, der vor allem durch die Angst vor dem sozialen Abstieg und die Wut über die etablierten bürgerlichen Parteien zusammengehalten wird. Aus Angst und Wut folgt Hass auf alles, was vermeintlich Schuld ist an der eigenen Misere: Linke, Gewerkschaften, Flüchtlinge etc.

Was der AfD bis dato fehlt, ist eine Klärung ihrer ideologischen Grundlagen. Eine weltanschauliche Heimat, die der versprengten Masse eine organisierte Form gibt. Und hier kommen Personen wie Marc Jongen ins Spiel. Dieser ist nicht nur als stellvertretender Sprecher und Programmkoordinator der AfD Baden-Württemberg und als Mitglied der AfD-Bundesprogrammkommission ideologischer Vormann seiner Partei, sondern zugleich auch Mitglied des Senats der Hochschule für Gestaltung (HfG) Karlsruhe, Leiter des HfG-“International Office“ und Herausgeber der Schriftenreihe „HfG Forschung“. Marc Jongen ist, in den Worten der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) vom 10. Januar der „Parteiphilosoph“ der AfD.

In akademisch hochgestochenen Worten – und staatlich besoldet – liefert Jongen genau das, was der AfD noch fehlt. Seine Philosophie gibt der Fäulnis des Imperialismus, der Krise des Kapitalismus einen bewussten Ausdruck. Wo Fortschritt unmöglich ist, ist Reaktion der einzige Weg. In diesem Sinne kritisiert Jongen die Vernunftorientierung der deutschen Politik und bemängelt, dass es an Zorn und Wut fehle. Die niedrigsten menschlichen Instinkte werden philosophisch aufgeladen und positiv hervorgehoben. Die reaktionäre Botschaft wird mit dem altgriechischen Fremdwort „Thymos“ verschleiert, was soviel bedeutet wie „Gemütslage“. Um die abendländische Kultur zu retten, seien thymotische Entladungen in Gestalt von Massenbewegungen nötig. „Stolz und Wut sind in der AfD wichtige Emotionen“, sagt Jongen in der FAS vom 10. Januar. Ziel seiner wissenschaftlichen Tätigkeit im Rahmen der HfG sei eine „neodarwinistische Kulturtheorie“ zur Verhinderung der Dekonstruktion von Familie, Volk und Kirche. Zu den geistigen Bezugspunkten gehören u. a. die Nazi-Philosophen Carl Schmitt und Martin Heidegger.

Akademischer Ziehvater von Marc Jongen ist Peter Sloterdijk, bis Ende 2015 Rektor der HfG Karlsruhe. Dieser distanziert sich zwar von dem „AfD-Ideen-Müll“, liefert aber seit Jahren die ideologische Begleitmusik zur Rechtsentwicklung in unserer Gesellschaft. Gegen den AfD-Mann im Senat der Karlsruher Hochschule regt sich seit Ende 2015 Widerstand. Zehn besorgte WissenschaftlerInnen der Buchreihe „HfG Forschung“ haben in einem öffentlichen Brief am 4. Dezember Maßnahmen „Gegen die Salonfähigkeit neuer Rechter in der HfG“ verlangt. Jongen sei als Herausgeber unhaltbar und abzulösen. Auch Prof. Beat Wyss, Hochschullehrer an der HfG Karlsruhe, fordert die Absetzung von Marc Jongen. Jongen lasse sich als „akademisches Feigenblatt“ missbrauchen, meint Beat Wyss in der ZEITonline vom 28. Dezember. Er mache mit dem Namen der HfG „politische Werbung“ für eine „rechtsnationale Splitterpartei mit Verbindungen in die Neonazi-Szene“. Die VVN-BdA Kreisvereinigung hat sich am 7. Januar ebenfalls mit einer Pressemitteilung in die Debatte eingemischt. Darin heißt es: „Als Organisation der nach der Befreiung vor 70 Jahren gegründeten Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes melden wir uns zu Wort, weil wir bundesweit über den Fall aufklären wollen und um unsere Solidarität mit den Kritikern zu bekunden.“

Jongen weist die Vorwürfe indes zurück. Nie habe er sein politisches Engagement mit der Tätigkeit an der HfG vermischt. In den Badische Neueste Nachrichten (BNN) vom 9. Dezember fühlt er sich gar an die „Unterdrückungsmechanismen“ erinnert, „wie man sie von totalitären Regimen kennt“. Doch um Wissenschafts- und Meinungsfreiheit geht es hier nicht – es geht um Klassenkampf! Denn es ist kein Zufall, dass reaktionäre Köpfe wie Peter Sloterdijk und Marc Jongen akademische Karriere machen und in den Hochschulleitungen sitzen, während progressive Denker wie Marxisten-Leninisten seit Jahrzehnten systematisch aus dem Wissenschaftssystem der BRD diskriminiert werden (Adenauer-Erlass, Berufsverbote, Abwicklung des DDR-Wissenschaftssystems etc.). Die herrschende Wissenschaft ist immer die Wissenschaft der Herrschenden!

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"Die Fäulnis des Imperialismus und die Philosophie", UZ vom 29. Januar 2016



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