Ein Gespräch über die Ausbeutung der Westsahara und den Widerstand dagegen

Die EU verlängert die Besatzung

Leo Zayyad

Anfang November jährte sich die marokkanische Invasion der Westsahara zum 49. Mal. Die sahrauische Bevölkerung und ihre Befreiungsorganisation – die POLISARIO – leisten bis heute Widerstand gegen die marokkanische Besatzung. UZ sprach mit Nadjat Hamdi, Vertreterin der POLISARIO in Deutschland, über die Hintergründe sowie aktuelle Entwicklungen.

UZ: Kannst du uns etwas über dich erzählen?

Nadjat Hamdi: Ich wurde in El Ayoun in der Westsahara geboren, als das Gebiet noch spanische Kolonie war. 1975 floh ich als Kind mit meiner Familie nach Algerien, wobei wir von der marokkanischen Armee verfolgt wurden und ständigen Bombardierungen ausgesetzt waren.

Die sahrauischen Flüchtlingslager im Südwesten Algeriens befinden sich in einer Steinwüste. Es gab dort anfangs keinerlei Infrastruktur. Die POLISARIO schloss deshalb Abkommen mit Algerien, Libyen und Kuba, um sah­rauischen Kindern wie mir den Schulbesuch im Ausland zu ermöglichen. Ich verbrachte zehn Jahre in einem algerischen Internat und zog später zum Studieren nach Bremen.

UZ: Wie bist du zur Politik gekommen?

Nadjat Hamdi: Wie viele andere sah­rauische Jugendliche war ich politisch engagiert und trat noch vor meinem Studium der Sahrauischen Jugendunion (UJSARIO) bei. Ab 1997 arbeitete ich einige Jahre als Stellvertretende Vertreterin der POLISARIO in Bonn und später als Vertreterin in Österreich. Seit 2001 bin ich im diplomatischen Dienst tätig und habe in Österreich, Deutschland und Griechenland gearbeitet. Derzeit bin ich wieder in Deutschland.

Meine Aufgabe besteht darin, die Inte­ressen des sahrauischen Volkes und der POLISARIO gegenüber dem deutschen Staat, insbesondere aber gegenüber der Zivilgesellschaft zu vertreten sowie durch Öffentlichkeitsarbeit Kontakte herzustellen.

UZ: Seit 1975 besetzt Marokko völkerrechtswidrig den Großteil der Westsahara. Nach einer Phase direkter militärischer Auseinandersetzungen folgte 1991 ein Waffenstillstand zwischen der POLISARIO und Marokko. Wie ging es danach weiter?

Nadjat Hamdi: Zusammen mit dem Waffenstillstand wurde damals ein UN-Friedensplan beschlossen, der ein Unabhängigkeitsreferendum vorsah. Marokko blockierte jedoch das Referendum und schlug im Jahr 2000 stattdessen eine begrenzte Autonomie der Westsahara unter marokkanischer Kontrolle vor. Internationale Akteure wie Frankreich und die USA übten keinen Druck aus oder unterstützten Marokko sogar, sodass der Friedensplan ins Stocken geriet.

Nach 30 Jahren ohne Fortschritt und dem von Abhängigkeit geprägten Leben in den Flüchtlingslagern wuchs die Frustration unter den jungen Sah­rauis. Angesichts des ausbleibenden Referendums forderten viele die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes. In ihrer Wut organisierten sie stattdessen im November 2020 eine friedliche Protestaktion. Um auf die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft und die anhaltende Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, blockierten mehrere hundert Menschen eine zentrale Verbindungsstraße nach Mauretanien bei Guerguerat, welche von Marokko für den Transport von Gütern aus den besetzten Gebieten genutzt wird. Am 13. November 2020 griffen marokkanische Soldaten das sahrauische Protestcamp bei Guerguerat an, woraufhin die POLISARIO den Waffenstillstand aufkündigte. Entlang der 2.720 Kilometer langen marokkanischen Mauer, welche die Westsahara durchtrennt, wird seitdem wieder gekämpft.

UZ: Die Ressourcen der Westsahara werden von Marokko in Kooperation mit ausländischen Unternehmen ausgebeutet. Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang deutsche Konzerne?

Nadjat Hamdi: Wir besitzen die größten Phosphatvorkommen der Welt, riesige Fischbestände, und in letzter Zeit gewinnen auch erneuerbare Energien an Bedeutung. In all diesen Bereichen sind vor allem europäische, darunter auch deutsche Firmen aktiv. Zum Beispiel Siemens, HeidelbergCement und ThyssenKrupp. Auf Western Sahara Resource Watch (wrsw.org) finden sich auch noch weitere Unternehmen, die vor Ort tätig sind.

490701 Portraet Nadjat Hamdi - Die EU verlängert die Besatzung - Befreiungsorganisation POLISARIO, Invasion, Marokko, Nadjat Hamdi, Westsahara, Widerstand - Internationales
Nadjat Hamdi

Siemens und seine Tochtergesellschaft Gamesa behaupten, durch die Gewinnung erneuerbarer Energien zum Klimaschutz beizutragen. Das ist Greenwashing. Marokko stellt die illegale Ausbeutung der Westsahara als umweltfreundlich dar, während vergessen wird, dass wir Sahrauis nie zugestimmt haben, dass jemand unser Land und seine Ressourcen ausbeutet. Konzerne wie HeidelbergCement tragen ebenfalls zur Normalisierung der Besatzung bei, indem sie Wohnanlagen für marokkanische Siedler bauen. Das verändert die Demografie, zementiert buchstäblich die Besatzung und verlängert das Leid des sahrauischen Volkes.

Solange Marokko von der Ausbeutung der Westsahara profitiert und dabei Unterstützung erfährt, wird es nicht bereit sein, sich zurückzuziehen. Die Unterstützung durch die EU und ihre Mitgliedstaaten verlängert die Besatzung. Das Problem ist also nicht nur die illegale Ausbeutung der Ressourcen, sondern auch die Möglichkeit, die Besatzung dadurch weiter aufrechtzuerhalten.

UZ: Der Europäische Gerichtshof entschied Anfang Oktober, dass Fischerei- und Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko nicht auf die besetzte Westsahara ausgedehnt werden dürfen. Wie schätzt du den Erfolg des Urteils ein?

Nadjat Hamdi: Im Urteil wird das Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis betont und klargestellt, dass nur wir über unsere Ressourcen entscheiden dürfen und Verträge ohne unsere Zustimmung unzulässig sind.

Früher sprach die EU von einer Befragung der Bevölkerung in der Westsahara, um Zeit zu gewinnen, doch der Europäische Gerichtshof stellt nun fest, dass dies nicht ausreicht, sondern die ausdrückliche Zustimmung des sah­rauischen Volkes erforderlich ist. Das Gericht unterscheidet zwischen „Bevölkerung“ und „Volk“. Während die Bevölkerung in der Westsahara mehrheitlich aus marokkanischen Siedlern besteht, geht es beim Gerichtsurteil um das sahrauische Volk, das als politische Einheit mit souveränen Rechten über das Land und seine Ressourcen anerkannt wird.

Außerdem hat das Gericht die POLISARIO als legitime Vertretung des sahrauischen Volkes anerkannt. Die POLISARIO kann künftig gegen Unternehmen oder Staaten klagen, die gegen den Gerichtsbeschluss verstoßen. Wir hoffen, dass die Staaten der EU und ihre Konzerne das Urteil respektieren. Sollte dies jedoch nicht der Fall sein, haben wir die Möglichkeit, erneut zu klagen und möglicherweise sogar Reparationen einzufordern.

UZ: Wie können wir hier in Deutschland den Befreiungskampf des sahrauischen Volkes am besten unterstützten?

Nadjat Hamdi: Das Wichtigste ist Öffentlichkeitsarbeit. Indem wir zum Beispiel auf Produkte wie Sardinen hinweisen, die aus der besetzten Westsahara stammen und in deutschen Märkten erhältlich sind, können wir mit Leuten ins Gespräch kommen.

Durch Information und Aufklärung können die Menschen sensibilisiert werden, sodass sie Druck auf die Politik ausüben können. Oft reicht es schon, wenn Politiker wissen, dass die Bevölkerung aufmerksam verfolgt, welche Entscheidungen getroffen werden. Andernfalls werden weiterhin illegale Abkommen im Namen der Bürger und mit deren Steuergeldern finanziert, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfährt.

Es ist keine Lösung, wenn wir in Deutschland mit grüner Energie versorgt sind, während Menschen in Afrika keinen Strom haben. Wahre Gerechtigkeit herrscht nur, wenn die Probleme vor Ort gelöst werden und Menschen in ihren Ländern in Frieden und Wohlstand leben können. Entscheidend dabei ist, dass wir das nur gemeinsam und global angehen können.

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"Die EU verlängert die Besatzung", UZ vom 6. Dezember 2024



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