„Die EU hat nichts mit Europa zu tun“
Das internationale Groß- und Finanzkapital bemüht sich darum, die politische, wirtschaftliche und institutionelle Entwicklung der EU in Richtung eines supranationalen europäischen Staates voranzutreiben. Das stößt jedoch zunehmend auf objektiv und subjektiv zu begründende Widersprüche. In den letzten Jahren sind sowohl Unterschiede in den wirtschaftlichen Hauptstoßrichtungen als auch bei der Verfolgung geostrategischer Interessen immer mehr zutage getreten. Das zeigt sich besonders deutlich bei den unterschiedlichen Ansätzen zur Bewältigung der Eurokrise, vor allem bei der Behandlung der sogenannten Schuldenstaaten.
Die Tatsache, dass das deutsche Kapital – trotz aller schwelenden Probleme – als Krisengewinnler aus der Finanzkrise hervorgeht und dass die Interessenvertreter des deutschen Kapitals sogar öffentlich damit prahlen, führt zunehmend zu Unzufriedenheit auf Seiten der Kapitalvertreter Frankreichs und Italiens, aber auch anderer Euro-Staaten. Es wird schon längst nicht mehr widerspruchslos hingenommen, dass die Vertreter der BRD aufgrund der wirtschaftlichen Vormachtstellung den anderen Mitgliedsländern der Eurozone ihre Finanzpolitik diktieren. (…)
Die Unterschiede in den partikularen Interessen kommen am deutlichsten in der Behandlung des Themas der Massenflucht und der Migration aus Kriegs- und Krisengebieten zum Ausdruck. Bei diesem Thema hat sich die EU als unfähig erwiesen, die Probleme auch nur ansatzweise zu lösen. Wenn Politiker der EU öffentlich von der „Bekämpfung der Ursachen der Flucht“ reden, meinen sie damit in erster Linie die ungelösten Probleme der offenen Grenzen und die Tätigkeit von Schleusergruppen, die jedoch in Wirklichkeit entsprechend der kapitalistischen Logik lediglich ihren Profit aus den massenweise fliehenden Menschen ziehen wollen.
Die eigentlichen Ursachen der Massenflucht, nämlich einerseits die neokolonialistische Wirtschaftspolitik der westlichen Industriestaaten, also vornehmlich der EU und der USA, und andererseits die von den USA, der NATO und der EU geförderten Kriege im Nahen Osten, in Afrika und in Asien, kann die EU nicht beseitigen, denn sie entspringen dem Wesen dieser kapitalistischen Institution.
Die dem Wesen nach grundsätzlich falsche politische Orientierung führte dazu, dass das Schengenabkommen über den ungehinderten Grenzverkehr – das von den Oberen der EU stets als eine der größten Errungenschaften im Interesse der Menschen gefeiert wurde – immer mehr durchlöchert und von mehreren Staaten ganz oder teilweise außer Kraft gesetzt wurde und wird. Im Zuge der zunehmenden nationalen Entscheidungen über Grenzkontrollen, die Schließung von Grenzen oder sogar die Errichtung von meterhohen Zäunen mit NATO-Stacheldraht mehren sich bei vielen Bürgern der EU auch die Zweifel am Sinn des Euro als sogenannter Gemeinschaftswährung.
In Ländern wie Polen oder Tschechien finden die Regierenden bereits immer neue Vorwände, um den Beitritt ihres Landes zum Euro hinauszuzögern. In diesem Zusammenhang halten wir es auch für wichtig, den Unterschied zwischen „Europa“ und „Europäische Union“ immer wieder deutlich zu machen. Entgegen den Behauptungen der Politiker der EU hat die Europäische Union nichts mit Europa zu tun, denn es gibt eine Reihe Staaten auf dem europäischen Kontinent, denen entweder der Beitritt zur EU verwehrt wird oder die an einem Beitritt zur EU nicht interessiert sind.
Die ständige Benutzung des Begriffs „Europa“ für die Europäische Union ist eine politische Anmaßung, die nur mit dem Alleinvertretungsanspruch der BRD gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik vergleichbar ist. Die Tatsache, dass auch Vertreter der Mitgliedsparteien der „Europäischen Linken“ diesen Begriff bedenkenlos verwenden, beweist deren Unvermögen, die wahren politischen Zusammenhänge zu begreifen und Lösungen für die anstehenden Probleme anzubieten.
Die KPL geht in ihrer Analyse davon aus, dass die zunehmenden Schwierigkeiten in Zeiten der Krise zur Folge haben werden, dass sich die wachsenden Widersprüche zwischen den nationalen Bourgeoisien und Konzerngruppen weiter verschärfen und so zuspitzen werden, dass die EU auseinanderbrechen kann.
Nationalstaat ist keine Lösung
Es gibt eine europäische Bourgeoisie, die ihre Interessen vertritt über den Europäischen Runden Tisch und Business Europe. Natürlich gibt es Interessenkonflikte innerhalb der Bourgeoisie auf europäischer Ebene. Diese Widersprüche können auch eine nationale Basis haben. Da sind z.B. die konkurrierenden Projekte im nordafrikanischen Energiesektor oder die Widersprüche über die Zukunft der Kernenergie zwischen Deutschland und Frankreich. In anderen Bereichen haben diese Widersprüche keine nationale Basis. So wie man innerhalb der nationalen Staaten eine führende Bourgeoisie findet, gibt es diese auch auf europäischem Niveau.
In der heutigen Entwicklungsphase hat die deutsche Bourgeoisie hier die Hauptrolle. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine europäische Bourgeoisie gibt, genauso wenig wie Widersprüche innerhalb der belgischen Bourgeoisie bedeuten, dass es keine belgische Bourgeoisie gäbe.
(…) Das Ziel aller war jedoch deutlich: Die Produktion rationalisieren und ohne Kostenaufwand 300 Millionen Kunden bedienen. Weiterhin wollte man eine politische Instanz, die imstande ist, die europäischen Multis zu unterstützen, vor allem auf der Ebene von Entwicklung und bei der Bestimmung technischer Normen. Ein großer Binnenmarkt mit niedrigen Löhnen, niedrigen Sozialabgaben und flexiblen Arbeitskräften waren Zielstellungen, die sie vereinigten, und waren vor allem nötig, um im weltweiten Konkurrenzkampf zu bestehen.
Allerdings bietet die nostalgische Rückkehr zu den nationalen Staaten auch keine Lösung. Es sind die heutigen Nationalstaaten, die, getrieben durch die großen Monopole, Schritt für Schritt ihre Souveränität abgeben, um einen starken europäischen Apparat aufzubauen. Das bedeutet auch, dass sich der fundamentale Charakter des europäischen Apparates nicht von dem der nationalen Staaten unterscheidet. Wenn ein solcher Unterschied bestünde, könnte eine Rückkehr zu den Nationalstaaten in Erwägung gezogen werden. (…)
Um die Interessen ihrer Arbeitgeber gegen ihre Konkurrenten zu verteidigen, werden die Regierungen aller Nationalstaaten die gleichen Maßnahmen ergreifen wie die, die durch die EU ergriffen werden zum Schutz der europäischen Bourgeoisie. Weder der belgische Staat noch der europäische Staat in Aufbau sind reformierbar hin zu einem sozialen, demokratischen friedliebenden Staat, ohne den Kapitalismus zu überwinden.
Eine europäische Bewegung aufzubauen erfordert positive Forderungen die sich an die gesamte EU richten. Es ist darum notwendig auf kontinentaler Ebene nachzudenken, wie es die Parteien des Kapitals schon lange tun. Die Krise und die Sparmaßnahmen der EU lassen in ganz Europa soziale Bewegungen entstehen für eine andere Politik, für eine bessere Zukunft. Aber diese Bewegungen stehen noch viel zu oft allein mit ihrem Widerstand und mit unterschiedlichen Slogans, während ihre Gegner mit einer Stimme sprechen.
Wir wollen unseren Beitrag leisten um eine große Anzahl Parteien und Organisationen in Europa zu bewegen, gemeinsame soziale und demokratische Kampagnen zu führen. Wir brauchen soziale Bewegungen, die die Machtverhältnisse aufbauen und auf europäischem Niveau Durchbrüche zustande bringen. In diesem Streit müssen wir lernen uns zu behaupten. Wir dürfen nicht zulassen, dass Aktionen auf diesem Gebiet ausschließlich in den Händen derjenigen bleiben, die glauben, dass die EU reformierbar ist zu einem sozialen und progressiven Gebilde.
Darum kämpfen wir für radikale Reformen, sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene. Die Abkehr vom Slogan eines „sozialen Europas“ oder einer „sozialen Europäische Union“, wie es von den Sozialdemokraten vertreten wird, bedeutet nicht, dass wir gegenüber dem europäischen Staatsapparat keine sozialen Reformen verteidigen können. Solche Forderungen zu formulieren heißt nicht, dass wir diesen antisozialen und antidemokratischen europäischen Staat anerkennen. Und trotzdem kämpfen wir für eine andere Politik in unserem Land. Wir kämpfen, um die Situation der arbeitenden Menschen in unserem Land zu verbessern und um ihnen zu verdeutlichen dass wir ein völlig anderes Europa brauchen, ein Europa ohne Ausbeutung.
Ein imperialistisches Projekt
Es ging und geht darum, die innereuropäische Konkurrenz der europäischen Konzerne mit Hilfe von europäischer Gesetzgebung und Schlichtung zu regulieren. Außerhalb Europas nahmen und nehmen die verschiedenen Mitgliedstaaten teil an Interventionskriegen sowie der Unterdrückung von Befreiungsbewegungen in „ihren“ Kolonien. Auch Regierungen daraus entstandener selbstständiger Staaten, die die „essentiellen Interessen“ der Mitgliedstaaten gefährden, sind Ziel militärischer Maßnahmen von Mitgliedstaaten der EU. Die militärische Präsenz und Aktivitäten der EU im Nahen und Mittleren Osten und in Nordafrika unterstreichen dies! Diese Entwicklungen werden allerdings noch größtenteils dominiert durch die Kontrolle und Beeinflussung durch die USA, die als Supermacht fortwährend die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen. Hierdurch wachsen auch auf allen Gebieten die Gegensätze zwischen den „Verbündeten“ USA und EU.
Dass nach dem zweiten Weltkrieg in Europa zeitweilig ein relativer Frieden herrschte, kam vor allem dadurch, dass zwei globale Machtblöcke existierten, die einander im Gleichgewicht hielten. Frieden wurde lange Zeit gesichert durch die Kraft der Sowjetunion, der anderen sozialistischen Länder und die „neutralen“ und/oder „entkolonisierten“ Staaten, die sich unter diesen Verhältnissen entwickeln konnten. Mit dem Verschwinden der sozialistischen Staaten und dem Abbröckeln der Peripherie von „unabhängigen Staaten“ ist Krieg ein alltägliches Phänomen geworden. Die Einverleibung „neutraler“ oder entkolonisierter Staaten in die eigene Einflusssphäre ist dabei ein wichtiges Ziel der (europäischen) imperialistischen Länder. (…) Obwohl die herrschenden Medien suggerieren, dass diese Kriege aus ethnischen und religiösen Konflikten entstehen, ist evident, dass sich dahinter imperialistische Interessen verbergen. (…)
Global finden auch Entwicklungen statt, die die Position Europas und der europäischen Unternehmen auf den Prüfstand stellen. Von einem stabilen Integrationsprozess kann nicht die Rede sein. Faktisch gibt es keinen europäischen Staat, sondern ein Durcheinander gegensätzlicher Interessen und Präsenz einer großen Anzahl Nationalstaaten, wie in der Reaktion auf die Asylströme wieder deutlich sichtbar wird. Sicherlich wird der Druck des organisierten – und bis zu einer gewissen Grenze hoch integrierten – transatlantischen Kapitals immer größer, aber die Gegensätze und der Widerstand in den verschiedenen Ländern nehmen zu, nicht nur in den südlichen Ländern. Eine stärkere, besser organisierte Arbeiterklasse kann sehr wohl Erfolge im Kampf verzeichnen. Das wird allerdings vor allem stattfinden müssen in den verschiedenen Staaten und gerade dort, wo das Kapital am schwächsten ist. Natürlich wird der Klassenkampf in den verschiedenen Ländern verbunden werden müssen, aber doch vor allem dann, wenn auf nationalem Niveau eine Machtbasis aufgebaut worden ist. Die Macht liegt nicht in den Parlamenten. Diese sind Schmierstationen für den reibungslosen Ablauf der kapitalistischen Herrschaft. Die Macht muss gefunden und geformt werden in den Vierteln, Betrieben und Gewerkschaften, echte Arbeitermacht also.
Ein vorsichtiges Zusammentreten und die weiterführende Einheit im Handeln, so wie es stattfindet in der Vier-Parteien-Beratung, ist eine, obwohl begrenzte, notwendige Form länderübergreifender Aktion, sowie Entwicklung und Diskussion über einen gemeinsamen Plan für den weiteren Machtaufbau. Wo möglich muss der Kampf in den verschiedenen Sektoren miteinander verbunden werden, um die gemeinsame Kraft zu stärken und einen politischen, sektorenübergreifenden Kampf entwickeln zu können. Außerdem muss der sozialökonomische Kampf mit dem Antifaschismus und dem Kampf für Frieden und Sicherheit verbunden werden.
EU dient nicht der Völkerverständigung
Die EU ist ein in Konstruktion befindlicher supranationaler Staat, in dem die Interessen des Monopolkapitals die wesentliche Triebkraft sind. Er entstand aus seinen Vorgängern Montan-Union, Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und Europäische Gemeinschaft (EG) der 50er, 60er und 70er Jahre. Die Entstehung der EU aus diesen Vorläufern ist direkt und dialektisch mit dem Kalten Krieg verbunden; deshalb ist die Werbung für die EU als ein angebliches Projekt „der Zusammenführung der Völker, der Überwindung der Kriegsgefahr, der offenen Grenzen“ irreführend. Der Friedensnobelpreis an die EU, die zwar nicht als solche, aber deren führende Mitgliedstaaten außerhalb der Grenzen der Union Krieg geführt haben oder führen, ist ebenso absurd wie die Propagierung der Freiheitsidee eines Schengenraums, der sich den Menschen mehr und mehr als ein freier Warenverkehrsraum darstellt, aber für Menschen aus Nicht-EU-Staaten und zunehmend auch für die EU-Bürger/innen selbst schwierig nutzbar wird.
Auch ohne Krieg innerhalb der EU-Grenzen hat sich noch nicht einmal das Versprechen einer besseren Völkerverständigung eingelöst: heute ist die EU vor allem von einer Krise unterschiedlicher Herangehensweisen an die Flüchtlingsfrage geprägt. Ergebnis ist heute die Infragestellung des Schengenraums und das noch immer ungebremste Anwachsen nationalistischer und faschistischer Bewegungen.
Um den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union zu vermeiden, darf Großbritannien – entgegen der geltenden Bestimmungen der Freizügigkeit, eines angeblichen Grundpfeilers der EU – Sozialleistungen an Einwanderer aus EU-Staaten auf vier Jahre einfrieren. Weniger beachtet wurde die Tatsache, dass das auf alle EU-Staaten ausgeweitet wird. Es setzt sich also, wie in der Regel, der schlechtest mögliche Standard für alle durch; mit dem Argument einem Land keinen Sonderstatus zuzugestehen. (…)
Der EU-Zusammenhalt ist fraglich, aber derzeit weit weniger durch die Kraft der Linken als durch die inneren Widersprüche der Union selbst. (…)
Zu den Widersprüchen innerhalb der Europäischen Union gehört auch die unterschiedliche Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise. Deutschland hat sich mit seiner Exportwalze und mit angesichts der Produktivkraftentwicklung recht niedrigen Löhnen nicht nur Wettbewerbsvorteile verschafft, sondern nutzt auch technologische Vorteile, um sich weiter abzusetzen. Insofern bleibt immer noch ein erheblicher Teil der kapitalistischen Entwicklung im Rahmen der Nationalstaaten, wenngleich die Verflechtung der Industrieunternehmen in einem fortlaufenden Prozess gleichzeitig schleichend vorangeht.
Eine ähnliche Widersprüchlichkeit lässt sich im militärischen Bereich erkennen: einerseits wird eine EU-Armee als Ziel angegeben, andererseits rüstet jedes einzelne Land autonom.
Die DKP kämpft sowohl im kapitalistischen Deutschland für Reformen als auch in der kapitalistischen EU. Das heißt aber nicht, dass die DKP Deutschlands Kapitalismus für reformierbar hält. Wir halten an unseren Aussagen über den Doppelcharakter von Reformen fest: sie können systemerhaltende Wirkung haben, aber gleichzeitig auch die natürliche Begrenztheit eines Kampfes anschaulich machen, der sich nicht um Veränderungen der Besitzverhältnisse drehen will oder kann. Also wollen wir Verbesserungen innerhalb des Systems schaffen, aber vor allem auf die Hauptwidersprüche hinweisen, gegen die sich der Kampf der Arbeiterklasse wesentlich richten muss, wenn er am Ende erfolgreich sein will.
Es wäre falsch anzunehmen, die Kampfebene habe sich heute „nach Brüssel“ verlagert. Diese Aussage kommt meist von Kräften, die den Klassenkampf überhaupt einstellen wollen oder nie führen wollten, u. a. weil sie die Existenz von Klassen entweder für gering erachten oder ganz leugnen. Der Hauptkampf findet im eigenen Land statt – da, wo die kapitalistische Ausbeutung direkt erlebbar ist und damit für die Menschen nachvollziehbare Kämpfe ausgefochten werden können.
Dennoch haben sich in der Tat viele Entscheidungen zur EU hin verlagert, und deshalb gibt es auch eine EU-Ebene des Widerstands. Auch dieser dient die Zusammenarbeit unserer vier Parteien. Aber wie für einen besseren Kapitalismus kämpfen wir dabei nicht für eine bessere EU.