Die Medien und Politiker des „Werte-Westens“, stets im Kampf für „Freedom & Democracy“ und „Feminismus & LGTBQXYZ“, bejubeln einstimmig den Sieg von Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) in Syrien. HTS ist einer der zahlreichen fundamentalistischen Al-Kaida-, Al-Nusra- und IS-Ableger, die durch öffentliche, gern auch im Internet verbreitete Hinrichtungen, gern auch durch Halsabschneiden, zweifelhafte Berühmtheit erlangt haben.
Die seit den 1980er Jahren verfolgte Regime-Change-Politik der CIA in Syrien, Ägypten und Libyen war nun endlich auch in Syrien erfolgreich. HTS und Baschir al-Assad brauchten dazu ein gewisses „Rebranding“, eine Image-Auffrischung. HTS und ihr Anführer, Mohammed al-Dscholani, erscheinen nun ebenso plötzlich zivilisiert und geläutert, wie andererseits Baschir al-Assad zum finsteren Kerkermeister mutierte. Al-Dscholani gleicht nun auf verblüffende Weise Selenski, ebenso ein Kunstprodukt des gut designten, olivgrünen Kämpfers für die Werte (und den Profit) des ehemals allerchristlichen, heute identitätspolitisch geläuterten Abendlandes.
Auch die Zerstörung einer der letzten laizistischen Regierungen in der Region wird die ohnehin komplizierten Probleme des von Briten und Franzosen am Reißbrett entworfenen Syrien nicht lösen. Der Sturz Baschir al-Assads durch das von den USA, Israel und der Türkei finanzierte, trainierte und ausgerüstete fundamentalistische Mittelalter hat ein derart kompliziertes Knäuel zahlloser, rivalisierender Einzelinteressen geschaffen, das als Ergebnis allenfalls ein neues Libyen oder Afghanistan plausibel erscheint. Wie üblich ist das westliche „Engagement“ von der Schaffung von wirklicher Demokratie und Prosperität meilenweit entfernt. Chaos, Terror, Krieg und Tod sind weitaus eher das Schicksal der betroffenen Regionen und seiner Menschen. Nicht nur die Zerstörung des letzten Baath-Regimes, sondern die Zerstörung des Landes Syrien ist im vollen Gange.
Willige Handlager gestern und heute
Der imperiale Rückgriff auf willige Hilfskräfte zu diesem Zweck ist nicht neu. Schon die römischen Imperatoren nutzten die Interessenkonflikte der von ihnen unterdrückten Völker, ebenso die spanischen Konquistadoren, die britischen Kolonialoffiziere, und natürlich auch die deutschen Faschisten. Die deutschen Lebensraum-Ideologen studierten intensiv jede noch so kleine Ethnie und Religionsgemeinschaft im Osten. Ihr Rivale und gleichzeitig ihr Vorbild: Das britische Empire und der angelsächsische Siedlerkolonialismus, der es immerhin geschafft hatte, Australien und den nordamerikanischen Halbkontinent durch Krieg, Genozid und Sklaverei zu erobern. Das deutsche Lebensraumkonzept sah etwas Ähnliches vor. Die Frage lautet immer: Wer lässt sich unter welchen Bedingungen als Hilfskraft einer in der Regel äußeren imperialen Macht für deren genozidale Machtprojektion instrumentalisieren? Für die deutschen Faschisten waren das die „Quislinge“ und „Petains“ in den eroberten Staaten, sowie die „Beute-Deutschen“ im Baltikum und die „Banderas“ der Ukraine.
Das Nutzen von Hilfskräften kann im historischen Prozess recht unterschiedliche Formen annehmen. Bis 1917 verfügten die imperialistischen Mächte Europas und Nordamerikas über die uneingeschränkte militärische und politische Vormachtstellung. Konflikte wie der Erste Weltkrieg waren in der Hauptsache innerimperialistische Konflikte, die vor allem mit eigenen Kräften geführt werden mussten, allerdings schon damals, vor allem auf Seiten der Entente, mit zahlreichen Auxiliarkräften ausgefochten wurden.
Wende mit der Oktoberrevolution
Das änderte sich mit der Oktoberrevolution. Nun hatte die russische Arbeiterklasse die Kommandohöhen eines großen Staates erobert, und hatte diese Position trotz des Weißen Terrors und der Intervention von 14 kapitalistischen Staaten behaupten können. Seitdem ging es der von den angelsächsischen Staaten angeführten monopolbourgeoisen Reaktion (heute „Werte-Westen“) vor allem darum, die Sowjetunion zu zerstören. Dazu waren selbst terroristische Großorganisationen wie das faschistische Deutschland und das militaristische Japan willkommen.
Allerdings – für eine kurze Phase, Anfang 1942 bis Anfang 1945, als die Gefahr bestand, dass die militärischen Erfolge der Achsenmächte zu einer Bedrohung der angelsächsischen Vormachtposition führen könnte, schwenkten sie um zu einer Allianz mit der Sowjetunion. Nach der Unterschrift in Karlshorst wurde diese natürlich umgehend wieder verlassen. Obwohl es den Westalliierten vor allem um ihre globale Vormachtstellung ging und die Sowjetunion einen unvergleichlich höheren Anteil an den Lasten des Krieges zu tragen hatte, können sie mit einem gewissen Recht behaupten, in diesen drei Jahren nicht auf der falschen Seite des Konflikts gestanden zu haben.
Roosevelts Hundesöhne
Die strategische Schwächung der alten europäischen Kolonialmächte im Zweiten Weltkrieg setzte eine Welle antikolonialer, nationalstaatlicher und sozialistischer Bewegungen frei. Die Kolonialmächte reagierten mit brutalem Terror und blutrünstigen Diktatoren, von denen Franklin Roosevelt sagte: „Er mag ein Hurensohn sein, aber er ist unser Hurensohn.“ Trotz allem erreichte die Befreiung vom Kolonialjoch mit dem Sieg der vietnamesischen People’s Liberation Army (PLA) ihren Höhepunkt. Der „Werte-Westen“ sah sich nicht nur mit den sozialistischen Staaten in Eurasien konfrontiert, sondern auch mit einer wachsenden Zahl nichtpaktgebundener Staaten in den Regionen, die man heute den „Globalen Süden“ nennt. Nun kämpfte man gegen laizistische Regierungen mit einem Fortschrittsprogramm. Zu nennen sind die Regierung Mossadegh in Iran, die Regierung Árbenz in Guatemala, gegen Abdel Nasser in Ägypten, gegen Ho Chi Minh in Vietnam oder die April-Revolution in Afghanistan. Je deutlicher der reaktionäre Charakter dieser von der CIA gesteuerten Bürgerkriege und Regime-Change-Operationen wurde, umso reaktionärer wurden die Hilfskräfte, die sich für diese Unternehmungen zur Verfügung stellten.
Die Zeit der Stellvertreterkriege
Gleichzeitig hatte der Vietnam-Krieg gezeigt, dass die US-Bevölkerung nicht bereit war, eine so hohe Zahl von Todesopfern für die imperiale Machtprojektion ihrer „Eliten“ zu tolerieren. Die Zeit der Stellvertreterkriege brach an. Die alte Aufstandsbekämpfung wandelte sich zur Organisation des reaktionären, terroristischen „Aufstands“ gegen die jungen, ökonomisch und politisch noch wenig stabilen nationalstaatlichen Regierungen wie in Afghanistan, Nicaragua und Angola, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Unterstützung der Mudschahedin, genauer des mit Milliardensummen, westlichen Trainern und High-Tech-Equipment hochgerüsteten islamistischen Terrors in Afghanistan, war so etwas wie das Öffnen der Büchse der Pandora. Heute hat der islamistische Terror längst internationales Format erreicht, erstreckt sich von Westafrika bis Indonesien und ist dabei, wie seinerzeit in Irak und nun auch in Syrien, ganze Staaten zu übernehmen – und zu zerstören.
Terror, das zweite Gesicht der USA
Ebenso wie die extremistischen Zionisten in Israel haben die verschiedenen Fraktionen des islamischen Terrorismus eigene Agenden, die sich deutlich von denen Washingtons oder Westeuropas unterscheiden. Interessanterweise haben IS, Al Kaida und Co. im jüdischen Israel bislang nicht einmal eine Fensterscheibe zugunsten ihrer Glaubensbrüder zu Bruch gehen lassen. Eine Zurückhaltung, die sie im Umgang mit ihren Paten und Sponsoren im „Werte-Westen“ nicht an den Tag legen. Der Terror ist längst auch in die Zentren des „Werte-Westens“ vorgerückt. Faschistischer Terror in der Ukraine, Zionistischer Terror in weiten Bereichen Südwestasiens, islamistischer Terror von Nordamerika über Afrika, Eurasien bis Ozeanien, das ist zum festen Bestandteil, zum Modus operandi des US-Imperiums und seiner Vasallen geworden. Er entspringt dem zutiefst terroristischen Wesen des anglo-amerikanischen Machtkomplexes. Dieser ist entstanden durch eine permanente Folge von Krieg, Unterdrückung, Ausplünderung und Massenmord. Seit ihrer Gründung 1776 gab es keine 20 Jahre, in denen die USA keinen Krieg führten.
Heute hat Washington die Welt mit einem Netz von mehr als 800 Militärstützpunkten überzogen, um allen und jedem seinen Willen aufzwingen zu können. Terror war schon immer das zweite Gesicht des Imperiums. Heute, in der Phase seines Niedergangs, ist er allerdings zu seinem ersten geworden. Das US-Imperium hat der Welt nichts anderes mehr zu bieten als Chaos, Krieg und Terror. Die Zeiten, als es mit der Illusion einer freien, offenen Gesellschaft und mit wirtschaftlicher Prosperität und sozialstaatlichem Wohlergehen zu punkten versuchte, sind lange vorbei.