„Ohne Judenvernichtung würde man Hitler heute als großen Staatsmann ansehen.“ 5,7 Prozent aller Befragten stimmen diesem Satz voll und ganz bzw. überwiegend zu. 79,8 Prozent lehnen ihn völlig oder überwiegend ab. 14,5 Prozent antworten mit teils, teils. „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform.“ 6,7 Prozent stimmen zu, 75,5 Prozent lehnen ab: Der Rest (17,6 Prozent) votiert für teils, teils. „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden zu groß“: 10,8 Prozent Zustimmung, 68 Prozent Ablehnung. „Die Verbrechen des Nationalsozialismus sind in der Geschichtsschreibung weit übertrieben worden“: 6,4 Prozent Zustimmung, 77,8 Prozent Ablehnung. „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“: Zustimmung 32,1, Ablehnung 33,7 Prozent.
Achtzehn derartiger Fragen wurden im Frühjahr bundesweit 2 420 Menschen (West: 1 917, Ost: 503) in persönlichen Gesprächen gestellt. Wie viele Menschen befürworten eine rechtsautoritäre Diktatur? Wie viel Zustimmung gibt es bei Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Chauvinismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus? Die Ergebnisse sind in einer Studie der Uni Leipzig zusammengefasst, die in Kooperation mit der Heinrich-Böll-, der Otto-Brenner- und der Rosa-Luxemburg-Stiftung entstanden ist und am 15. Juni in Berlin von Dr. Oliver Decker und Prof. Dr. Elmar Brähler vorgestellt wurde. Titel: „Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland.“
Die Wissenschaftler stellen fest: „Es gibt zwar keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen, aber im Vergleich zur Studie vor zwei Jahren befürworten Gruppen, die rechtsextrem eingestellt sind, stärker Gewalt als Mittel der Interessensdurchsetzung.“ Zudem habe bei diesen Gruppen das Vertrauen in gesellschaftspolitische Einrichtungen wie die Polizei oder Parteien deutlich nachgelassen. „Sie fühlen sich vom politischen System nicht repräsentiert“, sagt Decker.
Im Vorwort der Studie heißt es: „Nicht allein die neu aufflammenden Vorurteile gegen einzelne Gruppen machten das Interesse an der neuen Erhebung dringend. Die diesjährige Erhebung fand auch in einer Zeit statt, in der sich neue rechtspopulistische oder rechtsextreme Parteien entwickeln und Erfolge feiern. Daneben erstarkten autoritäre islamfeindliche Bewegungen, und die von uns über die Jahre festgestellten Ressentiments und Vorurteile schlugen 2015 in offenen Hass um. Mehr als 1 000 Attentate wurden im gesamten Bundesgebiet auf Flüchtlingsunterkünfte verübt, mehr als 100 Unterkünfte wurden in Brand gesteckt.“
Eine Radikalisierung zeige sich bei der Einstellung zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen. „Die Ablehnung von Muslimen, Sinti und Roma, Asylsuchenden und Homosexuellen hat noch einmal deutlich zugenommen“, konstatiert Brähler. 49,6 Prozent der Befragten sagten, Sinti und Roma sollten aus den Innenstädten verbannt werden. 2014 waren 47,1 Prozent dieser Meinung. 40,1 Prozent erklärten, es sei ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssten (2011: 25,3 Prozent). Und 50 Prozent gaben an, sich durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land zu fühlen. 2014 waren dies noch 43 Prozent.
Als Erfolg könne man es dagegen ansehen, dass in demokratischen Milieus Gewalt deutlich stärker abgelehnt werde als 2014. „Beides steht in Deutschland nebeneinander: Wir haben Menschen, die sich aktiv um Flüchtlinge bemühen, und es gibt Menschen, die Flüchtlinge aktiv ablehnen.“ Damit habe eine deutliche Polarisierung und Radikalisierung stattgefunden. Und die Umfrage belege, dass viele Rechtsextreme „in der AfD eine neue politische Heimat gefunden haben“, so Brähler. Rund 34 Prozent der Befragten, die rechtsextreme Einstellungen hätten, wählten danach die AfD. Zum Vergleich: 11,5 Prozent dieser Befragten gaben der CDU ihre Stimme, 15,1 Prozent der SPD und 3,8 Prozent den Grünen.
Die Ergebnisse der Untersuchung haben in der vergangenen Woche für Aufsehen und kontroverse Stellungnahmen gesorgt.
Der rechte Sektor fühlt sich erwischt. Jasper von Altenbockum, in der FAZ verantwortlich für die Innenpolitik (FAZ online 17. Juni 2016), möchte unterscheiden. Die Fragen zu Antisemitismus, Nationalsozialismus und Sozialdarwinismus ließen in der Tat eindeutige Schlüsse zu, er bezweifle das aber bei den Fragen zu Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit und Diktatur-Anfälligkeit. Die seien stark interpretationswürdig.
Dem Satz „Was unser Land heute braucht, ist ein hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“ stimmten 16,2 Prozent zu, 45 Prozent lehnten ihn ab. Die FAZ: „Ist also die ganze Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ein chauvinistisches Glanzstück? Ist es also wirklich ein Zeichen von Chauvinismus, wenn man ‚voll und ganz‘, aber ‚überwiegend‘ zustimmt?
Oder: „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ – inwiefern ist es ein Zeichen von Fremdenfeindlichkeit, wenn man der Feststellung in einer Zeit zustimmt, in der viele Bewerber aus genau diesem Grunde abgewiesen wurden, fragt die FAZ und meint es rhetorisch.
In der Tat, die Studie macht deutlich, dass die Politik der Bundesregierung rechtem Terrror wie schon 1992 die Stichworte liefert. Zudem tut sie, was Faschisten fordern. Um mit Esther Bejarano zu sprechen: Wir sind schon mittendrin.