Das doppelte Elend der Frau besteht weiter

Die Ehe gehört abgeschafft

Der Frauentag naht. Und wie jedes Jahr ist die Gleichberechtigung der Geschlechter wieder ein riesiges Stück vorangekommen. Die Konzerne haben sich verpflichtet, ein paar mehr weibliche Mitglieder in ihre Vorstandsetagen zu hieven. An manchen Stellen werden Frauen im gleichen Job so gut wie Männer bezahlt. Fortschrittliche Parteien bevorzugen Frauen auf der RednerInnenliste und bei der Besetzung von Führungspositionen. Die Kanzlerin ist schon seit 2005 im Amt und hat die Menschen daran gewöhnt, dass Frauen an der Spitze stehen können. Formulare und Behördenschreiben werden geschlechtsneutral oder doppelt formuliert. Talkshow-ModeratorInnen formulieren knackig atemholend mit Binnen–I. Kurz, die Frauen stehen kurz vor dem Ziel: Diskriminierung in Bild, Ton, Wort und Paragraphen wird wunderbar weit eliminiert. Das faktische doppelte Elend der Frauen im System der Ehe aber bleibt.

Lucas Zeise
Lucas Zeise

Seit 2017 können sich in Deutschland auch unsere homosexuellen Mitmenschen unter den Schutz des Instituts der Ehe begeben. Die alte klapprige Institution tritt hier in der Gestalt der Retterin vor besonders bösartiger Diskriminierung auf. Wie absurd das ist, kann man gut daran erkennen, dass noch am Vorweihnachtstag des Jahres 2017 unser heutiger Gesundheitsminister Jens Spahn, damals schon ein begnadeter Karrierist auf dem Weg nach oben, seinen gleichgeschlechtlichen Partner geheiratet hat.

Für die Mehrzahl der Frauen (bürgerliche und proletarische) war die Ehe vor allem ein System der Unterdrückung. Erst als die Verfügungsgewalt des Mannes beseitigt und paritätische Scheidungsgesetze verabschiedet waren, hörte die Ehe auf, ein Gefängnis zu sein, in dem der mitgefangene Wärter alle Schlüssel hat. Sie ist heute wie früher populär. Sie bringt mangels Alternative ökonomische und rechtliche Vorteile. Wer sich entschieden hat, zusammenleben zu wollen, wechselt deshalb gern (ökonomisch gezwungen) in den Ehestand. Nur sich scheiden zu lassen muss man sich leisten können. Der Rechtsvorgang der Scheidung ist dabei nicht das Problem. Aber zwei Haushalte statt einem und dieselbe Zahl Kinder zu unterhalten, ist nicht zu stemmen. Ökonomisch ist es unvermeidlich für beide Seiten, sich schnell wieder mit einem (Ehe)partner zusammenzutun.

Die vom Staat protegierte Zweipersonenehe bleibt so als Lebensmodell erhalten. Obwohl die kleinbürgerliche oder proletarische Kleinfamilie von Soziologengenerationen für tot erklärt worden ist, lebt sie unverdrossen und immer wiederholt weiter. Die Reproduktion der Gesellschaft, die Kinderaufzucht, basiert auf diesen unermüdlichen Zweierteams. Sie rekrutieren sich mangels Alternative immer wieder selbst zu dieser Pflicht (Grundgesetz), Lust und Arbeit. Der Staat hält die Zuschüsse und Hilfen für die Kinder auf mäßigem Niveau und investiert nur das Nötigste ins Bildungssystem. Dass in diesen systematisch überforderten Zweierteams von Lohnarbeitern die Frauen regelmäßig und systematisch die Überlast tragen, ist bekannt. Der Mutterschaftsurlaub auch für die Männer ändert daran wenig. Schon bei der sogenannten Partnerschaftswahl (dem Heiratsmarkt) müssen junge Frauen, wollen sie Kinder, das Ende ihrer Gebärfähigkeit kalkulieren, was ihre Wahlfähigkeit bei Partner- und Berufswahl einschränkt.

Die Ehe hat die Überlast der Frauen nicht produziert. Aber sie gehört zum System, das den ökonomischen und sozialen Zwang produziert, der den Frauen die Reproduktionsarbeit der Gesellschaft einseitig aufbürdet. Die Ehe gehört immer noch und immer wieder abgeschafft. Das reicht natürlich nicht. Es wird auch nötig sein, dass unter Initiative von Frauen beide Geschlechter in größeren Haushalten die Reproduktion, die Kindererziehung und das gemeinschaftliche Wohnen organisieren.

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"Die Ehe gehört abgeschafft", UZ vom 26. Februar 2021



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