Der „Kulturbund“ wurde im Juli 1945 als Organisation für „kulturell Tätige und Interessierte“ gegründet, er hatte im Laufe der Jahre über 260 000 Mitglieder. In der Volkskammer war er mit 21 Abgeordneten vertreten. Gedacht war er als eine auf ganz Deutschland gerichtete Organisation, die sich die „demokratische Erneuerung Deutschlands“ zum Ziel setzte. Der Widerstand in Westdeutschland führte dazu, dass er ab 1974 „Kulturbund der DDR“ hieß, seine grundsätzliche Ausrichtung blieb aber Programm und Ausrichtung. Nach der Konterrevolution gründete er sich neu als e. V. und ist heute aktiv in über 150 Vereinigungen in der Bundesrepublik.
Wir drucken hier in Auszügen den Beitrag von Ludwig Elm, den er für die Ausgabe (Heft 4/2019) der „Marxistischen Blätter“ (4/20129) geschrieben hat. Wir danken dem Verlag für die Abdruckgenehmigung.
Am Beispiel des Kulturbundes im Kreis Jena will ich erläutern, welche Aufgaben und Themen in dieser Organisation im Vordergrund standen. Das reiche Spektrum von Gesellschaften, Fachgruppen und Interessengemeinschaften innerhalb der Kreisorganisation widerspiegelte die Strukturen, die Vielseitigkeit und Relevanz unserer kulturpolitischen Organisation, auch auf ihren höheren Ebenen: Die Gesellschaften für Heimatgeschichte, Denkmalpflege, Natur und Umwelt sowie Fotografie, der Klub der Intelligenz „Ricarda Huch“ und die Hochschulgruppe an der Uni Jena sowie die farbige Palette der zahlreichen Fachgruppen, Interessen- und Arbeitsgemeinschaften. Die im Frühjahr 1983 gegründete Gruppe der Gesellschaft für Fotografie sah sich in der Tradition des „Fotographischen Vereins zu Jena“ von 1859, auch die im Weltraumflug erfolgreich eingesetzte Multispektralkamera des VEB Carl Zeiss Jena war Thema der Gruppe.
Karl-Heinz Schulmeister veröffentlichte 1977 seine Studien zum Kulturbund in den Jahren 1945 bis 1949. „Die ersten Jahre der Nachkriegszeit zählen trotz der Not und des Elends bei vielen Kultur- und Geistesschaffenden zu den erregendsten Zeiten ihres Lebens. Diese Tatsache ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass im Jahr 1945 für große Teile der deutschen Intelligenz der Prozess des Anderswerdens, der Hinwendung zu den Kräften des Fortschritts und des realen Humanismus begann“. 1980 erschien ein Sammelband mit Erinnerungen der Gründergeneration, die anlässlich des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus auf Einladung des Kulturbundes 1975 zu einem Treffen zusammengekommen waren. Kulturpolitiker, Schriftsteller und Künstler sowie sowjetische Kulturoffiziere der Zeit von 1945 bis 1949 schilderten damalige Probleme und Bemühungen um einen Neubeginn sowie persönliche Episoden und Erlebnisse. In der langen Liste der Beiträge finden sich unter anderen Alexander L. Dymschiz, Wilhelm Girnus, Bernt von Kügelgen, Grigori J. Patent, Hans Pischner, Max und Ruth Seydewitz, Sergej I. Tulpanow und Heinz Willmann …
Am 7. Juli 1946 war die erste Nummer des „Sonntag“, eine Wochenzeitung für Kulturpolitik, Kunst und Unterhaltung erschienen, erhältlich für 30 Pfennig. Sie blieb die Zeitung des KB und ging im Ergebnis der Umbrüche von 1989/90 in den seither wöchentlich erscheinenden „Freitag“ ein. Seit 1972 schrieb ich im „Sonntag“ unregelmäßig Kommentare, Glossen und Artikel, deren Anlässe und Themen sich vorzugsweise aus der zeithistorischen Auseinandersetzung mit Politik und Ideologie in der Bundesrepublik ergaben.
Den seit den zwanziger Jahren unbeugsamen und lebenslang aktiven Kommunisten und Kulturpolitiker Hans Fladung, seit der Gestapohaft in Berlin 1933 sowie nach weiteren Gefängnis- und KZ-Einkerkerungen schwerstbehindert, hatte ich als Gast von Kulturbund-Kongressen in der DDR kennen und schätzen gelernt. Aus dem Zuchthaus entlassen, konnte er 1938 über die Schweiz nach Großbritannien emigrieren. Er war auch dort unermüdlich als Autor, politisch und in Solidaritätsaktionen aktiv … Seit der Rückkehr nach Deutschland im Oktober 1946 wirkte Fladung in leitenden Funktionen des westdeutschen Kulturbundes und als Verleger. 1963/64 kam er wieder vor Gericht, nachdem der Oberstaatsanwalt in Düsseldorf gegen ihn im Rahmen der Verbote und Verfolgungen auch des Kulturbundes Anklage erhoben hatte. Eine Protestwelle namhafter Persönlichkeiten aus der Bundesrepublik, der DDR und dem Ausland – insbesondere Großbritannien – trug zu Aussetzung und dem Abbruch dieser Verfolgung bei. Josef Schleifstein gab 1986 die Erinnerungen Fladungs heraus, den er einleitend mit einer fundierten biografischen Skizze würdigte.
In der DDR bestimmten die gesamtgesellschaftlichen Erschütterungen und Kontroversen des Jahres 1989 auch die Arbeit des Kulturbundes. Die Tagung des Präsidialrats am 28. November 1989 macht dies deutlich: Karl-Heinz Schulmeister referierte zur Lage und trug erste Gedanken zur Erneuerung des KB vor. Viele Hinweise aus dem KB seien nicht beachtet, andererseits Erstarren und Entfremden hingenommen worden. Der KB sei durch Tausende unermüdliche Mitglieder lebendig geblieben, denen zu danken ist. Es gelte, durch kluges Handeln Bewährtes zu bewahren. Zahlreiche Vorschläge lägen bereits vor, darunter für einen baldigen außerordentlichen Bundeskongress, ein neues Programm und eine grundsätzlich überarbeitete Satzung. Entscheidend sei, sich an den Interessen der Bürger zu orientieren, damit diese mit eigenen Leistungen teilnehmen wollen und können. Die weitere Existenzberechtigung ergäbe sich aus den antifaschistischen kulturpolitischen Traditionen seit den zwanziger Jahren sowie Positionen und Leistungen nach 1945. Der Kulturbund müsse sich als unabhängige, überparteiliche Organisation im Geiste eines echten Demokratismus und Humanismus behaupten. Schwerpunkte seien der Friedensgedanke, die antifaschistisch-demokratische Grundhaltung und die Pflege des humanistischen Erbes. In einer außerordentlich regen, selbstkritischen und zugleich konstruktiven Debatte kamen viele Themen und Probleme zur Sprache. Es wurden radikale Neuansätze für Hauptgebiete gefordert und Vorschläge wie Anregungen unterbreitet, darunter zu Fortbestand und Eigenständigkeit des KB, zur Geschichtsarbeit und um eine neue Qualität der Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen. Im März 1990 endete der spezifische Status als Kulturbund der DDR. Aus weiterhin aktiven Gruppen und Gemeinschaften entstanden regionale – besonders auf Länderebene – wirkende Zusammenschlüsse als Kulturbund e. V., die in der Folgezeit Erfahrungen, Interessen und Kompetenzen in das politische und geistig-kulturelle Leben der Bundesrepublik einbrachten, beste Traditionen der DDR bewahrten und sich unter den veränderten Bedingungen neuen Partnern und Vorhaben widmeten.Aus dem Spektrum des gesellschaftspolitischen und kulturellen Lebens in der DDR bleibt der Kulturbund, von anmaßendem Zentralismus und unablässigen doktrinären Vorgaben weitgehend frei, eine mit nachwirkenden Impulsen fortlebende Erfahrung sowie farbige und denkwürdige Erinnerung.