„Die Charité darf mit ihrem Kampf nicht alleine bleiben“

Lars Mörking im Gespräch mit Rebecca Tübker (Name v. d. Red. geändert)

UZ: ver.di fordert mehr Personal im Krankenhaus und will eine verbindliche Personalbemessung durchsetzen. Geht es dabei um eine Untergrenze oder um eine Regelung, die gute Arbeitsbedingungen erlaubt?

Rebecca Tübker: Die Forderung ist erst mal die nach einer Mindestpersonalbemessung, also einer Untergrenze.

Konkret ist das momentan ein Schlüssel von 1 : 5 auf Normalstation – also eine Kraft für fünf Patienten – für die Intensivstation 1 : 2, und dann gibt es noch sogenannte „Intermediate Care“-Stationen, da liegen zum Beispiel Menschen nach einem Schlaganfall, die monitorüberwacht werden, und da ist der Schlüssel 1 : 3.

Natürlich ist das wirklich das Mindestmaß dessen, was notwendig ist, um im Krankenhaus wieder zu einem Zustand zu kommen, wo einerseits die Sicherheit der Patienten gewährleistet ist und andererseits aber auch gewährleistet ist, dass die Beschäftigten normal ihrer Arbeit nachgehen können und nicht selbst krank werden. Die Durchhaltedauer einer Krankenschwester liegt momentan bei etwa fünf Jahren, danach wechseln viele den Beruf oder haben Burnout, werden krank und sind dann eben raus. Das ist schon ein deutlicher Hinweis darauf, dass die derzeitige Situation nicht mehr erträglich ist.

Wenn man jetzt Kriterien für gute Arbeit ansetzt, oder gute Pflege – was ja auch gelten sollte – dann ist es sicherlich so, dass auf vielen Intensivstationen ein Schlüssel von 1 : 1 erforderlich ist. Natürlich bräuchte es auch einen besseren Personalschlüssel für die Normalstationen.

UZ: Wie ist denn die Lage derzeit in den Krankenhäusern? Wie weit ist die Realität von einer Mindestbesetzung auf den Stationen entfernt?

Rebecca Tübker: Es gibt Intensivstationen, da liegt der Personalschlüssel bei 1 : 3 oder 1 : 4, das schwankt je nachdem, ob der Dienstplan eingehalten werden kann, weil Krankenstand usw. eine Rolle spielen. Eine Bestandsaufnahme von ver.di hat einen Schlüssel von 1 : 3,3 auf Intensivstationen festgestellt. Das ist dann schon ein unhaltbarer Zustand. Und auf Nomalstationen – je nach Krankenhaus – liegt der Schlüssel zwischen 1 : 7 und 1 : 10. Zum Teil muss man da schon von gefährlicher Pflege reden, weil unter diesen Bedingungen nicht gewährleistet ist, dass man das alles im Griff hat. Und das sind nur Durchschnittswerte, das heißt zum Beispiel, nachts versorgt eine Krankenschwester allein auf vielen Stationen über 30 Patienten.

UZ: Was sind die Gründe dafür, dass in den Krankenhäusern schon der Normalzustand eine Gefährdung für die Patienten bedeuten kann?

Rebecca Tübker: Das hat ganz viel mit der Privatisierung der Krankenhäuser zu tun, zum anderen aber auch mit der Einführung der Fallpauschalen. Es ist ja so, dass die Krankenhäuser für die Patienten eine Fallpauschale bekommen. Bei diesem System ist es finanziell für die Krankenhäuser besser, möglichst viele Patienten zu behandeln, das bedeutet die Fallzahlen zu steigern. Und gleichzeitig gibt es Anreize, die Patienten möglichst frühzeitig zu entlassen, also die so genannten „blutigen Entlassungen“. Kommt ein Patient dann wieder, weil er noch nicht gesund ist, kann das Krankenhaus einen neuen Fall abrechnen.

Die privaten Betreiber können nur Gewinn machen, wenn sie den Druck, die Ausbeutung der Beschäftigten erhöhen – durch Personalabbau und durch die extreme Verdichtung der Arbeit.

Die Beschäftigten sind hier besonders erpressbar, weil sie vor dem Patienten stehen und den Personalmangel natürlich zu kompensieren versuchen, um den Patienten gerecht zu werden. Das ist aber nicht durchhaltbar.

UZ: Die Finanzierung über Fallpauschalen ist auch von den Kolleginnen und Kollegen an der Charité immer wieder thematisiert worden. Müsste das nicht der Kernpunkt in der Auseinandersetzung sein?

Rebecca Tübker: Es ist auf jeden Fall wichtig, das Thema Fallpauschalen in der Auseinandersetzung um die Personalbemessung einzubringen. Gute Arbeitsbedingungen, gute Pflege und die Abschaffung der Fallpauschalen – das gehört zusammen.

UZ: Der Kampf um ein humanes Gesundheitssystem ist eine gesellschaftliche Auseinandersetzung, die von den Beschäftigten auf betrieblicher Ebene ausgetragen wird. Welche Mittel stehen zur Verfügung – wie kann Druck aufgebaut werden? Schließlich steht ja selbst das Mittel Streik nur eingeschränkt zur Verfügung, wenn es im Arbeitskampf nicht zu einer weiteren Gefährdung der Patienten kommen soll.

Rebecca Tübker: Um effektive Streiks im Krankenhaus durchführen zu können, braucht es eine Notdienstvereinbarung. Und eine Notdienstvereinbarung muss so aussehen – wie es bei der Charité der Fall war –, dass dadurch Betten- und Stationsschließungsstreiks möglich werden, also im Streikfall Betten und Stationen geschlossen werden. Da lässt sich der Arbeitgeber erst einmal natürlich nicht darauf ein.

Es gibt Notdienstvereinbarungen mit Arbeitgebern, die – weil sie ja Patientengefährdung vermeiden sollen – eine bessere Besetzung bedeuten als das im Alltag der Fall ist, so dass dann nicht mehr gestreikt werden kann. Da freuen sich dann die Kollegen, dass die Stationen endlich mal wieder ordentlich besetzt sind und der Arbeitgeber sie dazu verpflichtet hat.

Das heißt, Notdienstvereinbarungen müssen unbedingt mit Bettenschließungen einhergehen und das muss dann bereits erstritten werden, das heißt, dass da schon viel Druck nötig ist, um diese Bettenschließungen zu erreichen.

UZ: Was ist deine Einschätzung, kann so eine Auseinandersetzung überhaupt erfolgreich geführt werden?

Rebecca Tübker: Ich glaube, dass es eine Auseinandersetzung ist, die man wirklich gewinnen kann, ja. Die Kolleginnen und Kollegen an der Charité haben es vorgemacht.

Damit die Auseinandersetzung erfolgreich geführt werden kann, sind drei Sachen extrem wichtig: Das eine ist die Notdienstvereinbarung mit Bettenschließungen; das zweite ist, dass – ähnlich wie bei der Charité – komplette Teams auf den Stationen in die Ausein­andersetzung mit einbezogen werden als aktiver Teil des Kampfes. Dies ist vor allem deshalb notwendig, um einen harten und eventuell lang dauernden Konflikt durchzustehen. In Berlin wurde das erreicht, indem ein Tarifberaterinnensystem aufgebaut wurde. Und das dritte, was notwendig ist, um eine solche Auseinandersetzung gewinnen zu können, ist der Aufbau von Bündnissen.

Gesundheit ist eine gesellschaftspolitische Frage, die nicht nur die Kolleginnen und Kollegen angeht, die im Krankenhaus arbeiten. Dafür braucht es ein politisches Bündnis, das von außen diesen betrieblichen Kampf unterstützt. Auch bei den Streiks in den Sozial- und Erziehungsdiensten haben wir gesehen, wie wichtig das ist. Und die Frage der Öffentlichkeitsarbeit ist ja wesentlich, wenn sich im Zusammenhang mit möglichen Streiks die Frage der Patientenversorgung öffentlich stellt. Auch dafür braucht es politische Bündnisse, die begleitend Öffentlichkeitsarbeit machen.

UZ: Wie geht es weiter? Gibt es konkrete Planungen für 2016?

Rebecca Tübker: Die Charité darf mit ihrem Tarifkampf um eine Mindestpersonalbemessung nicht alleine bleiben, wenn er erfolgreich sein soll. Lobbyarbeit reicht in diesem Zusammenhang nicht, es braucht weitere Standorte, wo der Konflikt tariflich geführt wird, damit wir auch eine gesetzliche Mindestpersonalbemessung erreichen.

Neben Berlin wird es auf jeden Fall im Saarland eine tarifliche Auseinandersetzung um die Mindestpersonalbemessung geben. Auch in Hamburg gibt es die Entscheidung, die Frage der Mindestpersonalbemessung zum Thema zu machen und das nach der Lohnrunde einzubringen.

An vielen Standorten (Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Berlin, Baden-Württemberg) gibt es Diskussionen, wie die Auseinandersetzung auch dort geführt werden kann.

Wir müssen es schaffen, möglichst bundesweit Tarifauseinandersetzungen um die Frage der Mindestpersonalbemessung in den Krankenhäusern zu führen, damit wir den Druck aufbauen können, der für eine gesetzliche Regelung notwendig ist.

Rebecca Tübker (Name von der Redaktion geändert)

ist aktiv in der Sammelbetriebsgruppe Öffentlicher Dienst der DKP Hamburg

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"„Die Charité darf mit ihrem Kampf nicht alleine bleiben“", UZ vom 22. Januar 2016



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