Ende Februar beschloss die Gießener Stadtverordnetenversammlung, keine öffentlichen Räume mehr an die „Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen“ (ARAG) vermieten zu wollen. Weil sich die ARAG gegen das Morden Israels in Gaza gestellt hatte, wurde der Gruppe „Antisemitismus“ vorgeworfen. Beim Beschluss in der Stadtverordnetenversammlung gab es nur eine Gegenstimme. Sie stammte von der Stadtverordneten und DKP-Kandidatin für die EU-Wahl Martina Lennartz.
UZ: „Ob Hanau oder Gaza, Rassismus hat System – Kapitalismus ist das Problem“, soll auf einem Schild der ARAG bei der Hanau-Gedenkdemo in Gießen gestanden haben. Darf man Israels Krieg gegen Gaza in Gießen nicht kritisieren?
Martina Lennartz: Es gab in der Stadt eine gesteuerte Kampagne gegen linke Gruppen wie die Kommunistische Organisation (KO) und die ARAG. Der KO wurden Räume in der Kongresshalle verweigert. Der Vorwurf lautete, sie hätten sich in den sozialen Medien antisemitisch geäußert. Dabei hatte die KO nur die völkerrechtswidrige Kriegsführung des Staates Israel kritisiert. Kurdische Genossen haben der KO dann Räume zur Verfügung gestellt. Es gibt in Gießen eine gewachsene Struktur von gegenseitiger Solidarität. Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Kampagne waren die Angriffe gegen die ARAG im Zusammenhang mit der Hanau-Gedenkdemo. Das Muster ist immer dasselbe: berechtigte Kritik am Staat Israel wird als antisemitisch diffamiert. Der nächste Schritt war der Versuch der CDU im Stadtparlament, sogenannte „Extremisten“ von der Vergabe städtischer Räume auszuschließen. Der Antrag dazu war wohl reine Show. Offensichtlich hatte sich die Koalition (SPD, Grüne, „Die Linke“) mit der CDU schon im Vorfeld darauf geeinigt, einem Änderungsantrag der Koalition zuzustimmen. Dieser forderte die Stadt auf, zu prüfen, ob es Möglichkeiten gibt, bestimmte Gruppen von der Vermietung städtischer Räume auszuschließen. Das sollte bis zu einem bestimmten Datum erfolgen. Dadurch unterschied sich dieser Antrag von anderen Anträgen dieser Art. Prüfungsanträge ohne konkretes Erledigungsdatum sind Beerdigungen zweiter Klasse, hier aber meinte man es ernst. Fast alle Parteien haben diesem Antrag zugestimmt. Gigg, Volt und Die Partei haben sich enthalten. Nur die DKP hat gegen diesen Antrag gestimmt.
UZ: Du hast in deiner Rede in der Stadtverordnetenversammlung deutlich gemacht, dass Kritik an der rechten israelischen Regierung kein Antisemitismus ist. Welche Reaktionen hast du erhalten?
Martina Lennartz: Lautes Reinrufen während der Sitzung, Kopfschütteln, und dennoch wurde mir interessiert zugehört. Es gab danach keine Gegenrede, sondern es wurde direkt abgestimmt. In der Stadt und bei unseren Infoständen bekommen wir allerdings auch Lob für unsere klare Haltung.
UZ: Wie ist es mit dem Thema nach der Sitzung weitergegangen?
Martina Lennartz: In Gießen betreibt eine Genossenschaft die Räume „anschlussverwendung“ und „raumstation3539“, die auch von der ARAG genutzt werden. Die Genossenschaft hat sich politisch gut verhalten. Sie hat deutlich gemacht, dass bei Räumen („raumstation3539“), die von der Stadt finanziert werden, natürlich ein Mitspracherecht der Stadt besteht. Für Räume („anschlussverwendung“), die sich in der ausschließlichen Verantwortung der Genossenschaft befinden, gilt das nicht. Die Genossenschaft hat sich geweigert, die ARAG ohne Beweise von der Vermietung auszuschließen. Auch die rechtliche Prüfung ist nicht ganz zur Zufriedenheit der CDU ausgegangen. Oberbürgermeister Becher hat erklärt, es gebe derzeit keine rechtliche Möglichkeit, einzelne Gruppen von der Vermietung auszuschließen. Problematisch an dieser Erklärung ist der Hinweis, dass es diese Möglichkeit „aktuell“ nicht gibt. Es ist aber zu befürchten, dass mit dem „Demokratiefördergesetz“ von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) weitere Einschränkungen demokratischer Rechte kommen werden. Becher hat zudem betont, dass immer Einzelfallprüfungen notwendig sind und dass man den verbreiteten Inhalt nicht unwidersprochen stehen lassen dürfe.
UZ: Die Genossenschaft hinter der „raumstation“ hat betont, dass der Entzug von Räumen ein schwerer Eingriff wäre, und von der CDU Belege für ihre Behauptungen eingefordert. Wurden die erbracht?
Martina Lennartz: Nein. Die CDU hatte behauptet, dass die ARAG das Existenzrecht Israels bestreite. Dafür konnte sie aber überhaupt keine Belege liefern. Von der CDU hatte niemand mit der ARAG gesprochen und auch in der Stadtverordnetenversammlung konnte die Partei ihren Antrag nicht durch Beweise untermauern. Die ARAG hingegen hat deutlich gemacht, dass sie Antisemitismus bekämpft, Fahrten zur Gedenkstätte Buchenwald organisiert und sich auch beim Gedenken am 9. November beteiligt. Sie lässt sich jedoch nicht verbieten, die israelische Führung zu kritisieren. Wir unterstützen das. Berechtigte Kritik an der Regierung in Israel und der praktizierten Siedlungspolitik hat mit Antisemitismus nichts zu tun. Es ist ganz einfach: die CDU lügt und kann deshalb auch gar keine Beweise liefern.
UZ: Ist der Durchmarsch der „Staatsräson“ in Gießen damit erst einmal gestoppt?
Martina Lennartz: Vorläufig ist eine gewisse Entspannung eingetreten. Aber das bedeutet nicht, dass es dabei bleibt. Das Problem ist natürlich, dass hinter den weiteren Einschränkungen der Meinungsfreiheit eine bundesweite Kampagne steht. Sie wird vor allem durch die SPD und die Grünen betrieben. Da beide Parteien vielen Menschen als „links“ gelten, werden linke Ideen dadurch auch noch diskreditiert. Davon profitieren am Ende die Rechten. Die Diskussion in diesem Land wird immer weiter nach rechts verschoben.
UZ: Neben deinen Aufgaben als Kommunalpolitikerin kandidierst du auf der Liste der DKP für die EU-Wahl. Was sind deine Schwerpunkte?
Martina Lennartz: Mein politischer Schwerpunkt ist der Kampf um Frieden. Frieden ist nicht alles – aber ohne Frieden ist alles nichts. Natürlich kämpfe ich auch um die Rechte der Frauen und Kinder. Wir versuchen, in Gießen Solidarität vorzuleben und Mitstreiterinnen und Mitstreiter für den gemeinsamen Kampf zu gewinnen. Ich bin im Frauenbündnis, arbeite im Friedensnetzwerk und in meiner Gewerkschaft (GEW). Ich finde Bildung unglaublich wichtig, vor allem bei der aktuellen Gleichschaltung der Medien. Deshalb arbeite ich aktiv mit bei der Herausgabe und Verbreitung der UZ und unserer Monatszeitung „Gießener Echo“.
Die Fragen stellte Vincent Cziesla