Wolfgang Trunk, Frankfurt am Main, zum Verhältnis von Ökonomie und Staat

Die Basis, der Überbau und die Volksrepublik China

Wolfgang Trunk

Streitpunkte können in der politischen Debatte oft nicht ausgeräumt werden. Dagegen kann man Missverständnisse aufklären. Solche Missverständnisse zeigen sich bei der Verwendung der Begriffe „Basis“ und „Überbau“ in der aktuellen China-Diskussion. Diese Begriffe werden separat und wie soziologische Sammelbegriffe verwandt, als allgemeine Umschreibungen von Gegebenheiten der chinesischen Gesellschaft. Zudem wird normativ nahegelegt, Basis und Überbau müssten wie Topf und Deckel zueinander passen.

„Basis“ und „Überbau“ bilden ein Begriffspaar, das von philosophischer Art ist: Die Begriffe geben einen strategischen Hinweis für die Gesellschaftsanalyse, der weltanschaulich begründet ist. Sie besagen, dass man die Politik, das Recht und das Geistesleben nur begreifen kann, wenn man von der Ökonomie ausgeht. Ist also vom „Überbau“ die Rede, dann werden Politik, Recht und Geistesleben in ihrer Bestimmtheit durch die Ökonomie gesehen. Zur Zeit von Karl Marx war das eine neue und ungewöhnliche Erkenntnis. Die Grundstruktur der Gesellschaft wird dabei in dialektisch-materialistischer Weise erfasst: „Basis und Überbau“. Zwar haben die Elemente des Überbaus eine aktive Funktion im Gesamtsystem und es kommt ihnen eine relative Selbstständigkeit zu, aber sie bilden keine autonomen Welten, sondern sind letztlich von einer gemeinsamen Basis bestimmt.

Dass der politische Überbau von der Ökonomie „bestimmt“ ist, bedeutet nicht, dass er nur ein passives Anhängsel der Ökonomie wäre oder dass er von der Ökonomie gesteuert wird. Staat und Recht haben bekanntlich Funktionen, die ihrerseits die Ökonomie steuern. Richtig ist, dass die staatliche Aktivität in Form und Inhalt nur verständlich wird, wenn man sie von der Ökonomie her denkt. Gleichwohl ist der Staat eine aktive Seite; philosophisch gesprochen wirkt damit der Überbau auf die Basis zurück. Es kommt zu einer Wechselwirkung von Ökonomie und Staat, deren Notwendigkeit von der Ökonomie ausgeht – insofern ist die Ökonomie primär und stellt die Basis des Ganzen dar. Das Begriffspaar „Basis und Überbau“ orientiert darauf, die Beschaffenheit dieses Ganzen konkret zu erforschen und dabei die Ökonomie als den erhellenden Faktor zu nutzen.

Als Wechselwirkung entspricht das Verhältnis von Basis und Überbau keiner einseitigen Steuerung, sondern einer gegenseitigen Regelung. Beide Sphären stellen sich aufeinander ein und entwickeln sich miteinander. So ist der Staat von den Bedürfnissen der Ökonomie geprägt und auch seine Strukturen spiegeln diese Bedürfnisse wider. Der Staat geht aber nicht in der Ökonomie auf. Auch im Sozialismus ist er weder ein Abziehbild noch eine bloße Fortsetzung der Ökonomie, sondern er bleibt eine eigene Sphäre. Zwar empfängt der Staat seine Impulse von der Ökonomie, aber er verarbeitet sie selbst, je nachdem, von welchen Interessen er geleitet ist. In der Diskussion wurde gefragt, ob sich der politische Überbau von der Basis der Gesellschaft lösen kann. Das ist wohl möglich, aber dann steht der Zusammenbruch des Systems bevor. Das Ende der DDR gab dafür ein Beispiel – in China ist das offenkundig nicht der Fall.

Selbstverständlich bestimmt die ökonomische Basis im heutigen China den Überbau. Aber für diese Bestimmtheit gibt es kein Schema, zumal es sich beim Sozialismus um keinen Zustand handelt, sondern um einen Prozess. „Den“ sozialistischen Überbau kann es schon deshalb nicht geben, weil es „die“ sozialistische Ökonomie nicht gibt. Die Frage kann also nur sein, inwiefern der Staat – so wie er ist – durch die Ökonomie bestimmt wird. Am Beispiel Chinas hat Beate Landefeld darauf hingewiesen, dass Staat und Partei in spezieller Weise an Bedeutung gewinnen, wenn die Ökonomie teilweise privatwirtschaftlich organisiert ist („Marxistische Blätter“ 6/2020, S. 46). Die „Bestimmtheit“ des politischen Überbaus verläuft hier über die Anforderungen, die sich ihm stellen; sie verlangen in diesem Fall, dass der Staat quasi als ein Gegengewicht fungiert. Bevor er im Kommunismus abstirbt, muss der Staat noch einmal zeigen, was er kann.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Die Basis, der Überbau und die Volksrepublik China", UZ vom 20. Januar 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit