UZ: Sie haben mit verschiedenen Bürgerrechtsorganisationen einen Aufruf an Mitglieder und Bundestagsabgeordnete der SPD initiiert, sich bei ihrem Parteikonvent am 20. Juni gegen die sogenannte Vorratsdatenspeicherung zu positionieren. Warum lehnen Sie die Vorratsdatenspeicherung ab?
Jasper Prigge: Mit der Vorratsdatenspeicherung sollen Telekommunikationsanbieter dazu verpflichtet werden, Kommunikationsverbindungsdaten ihrer Kunden zehn Wochen und Standortdaten von Mobiltelefonen drei Wochen zu speichern. Niemand kann sich dieser flächendeckenden Überwachung entziehen. Das ist hochproblematisch, denn mit solchen Daten lässt sich eine Menge anstellen. Es wäre möglich, detaillierte Profile einzelner Personen oder Personengruppen zu erstellen. An welchen Orten halten Sie sich häufig auf, mit wem haben Sie mit einiger Wahrscheinlichkeit ein intimes Verhältnis und welchen Weg nehmen Sie für gewöhnlich nach der Arbeit. Man kann sehr viele Erkenntnisse aus Vorratsdaten gewinnen, genau deshalb haben die Überwachungsbefürworter viel dafür getan, dass die Vorratsdatenspeicherung wieder eingeführt wird. Dabei gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass mithilfe der Vorratsdatenspeicherung mehr Straftaten aufgeklärt werden könnten. Auch das immer wieder vorgebrachte Argument, man müsse sich vor Terrorismus schützen, greift nicht. Denn solange Sie nicht systematisch alle Vorratsdaten auf Auffälligkeiten auswerten, werden Ihnen die Daten nicht helfen, weil sie zumindest einen Anfangsverdacht gegenüber einer konkreten Person brauchen, deren Vorratsdaten Sie sich genauer anschauen. Anschläge wie in Paris oder auf Utøya können so nicht verhindert werden. Nicht zuletzt bedeutet die Speicherung riesige Datenmengen, die bei privaten Unternehmen liegen. Das allein ist schon ein Risiko, denn diese Daten können beispielsweise von Geheimdiensten wie der NSA oder anderen Kriminellen abgefischt und missbraucht werden. Die Angriffe auf das IT-System des Bundestages zeigen ja ganz aktuell, dass kein System hundertprozentig sicher ist. Der beste Datenschutz ist, wenn Daten gar nicht erst gespeichert werden.
UZ: Sehen Sie den Schutz von Berufsgruppen wie Rechtsanwälten, Ärzten und Journalisten als gewährleistet an, die ja vor Gericht ein Zeugnisverweigerungsrecht inne haben?
Jasper Prigge: Nach dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzesentwurf sollen die Strafverfolgungsbehörden Daten von Berufsgeheimnisträgern grundsätzlich nicht abrufen können. Gespeichert werden die Daten trotzdem, eine Ausnahme gibt es also nur beim Abruf durch die Strafverfolgungsbehörden. Das Problem ist, dass in der Praxis vielfach nicht bekannt sein wird, wer Berufsgeheimnisträger ist und ob die Daten zu seiner beruflichen Tätigkeit gehören. Im Nachhinein dürfen dem Berufsgeheimnis unterliegende Daten zwar nicht vor Gericht verwertet werden, sie können aber Anlass für weitere Ermittlungen bieten. Ergebnisse aus diesen weiteren Ermittlungen können in der Regel von den Gerichten herangezogen werden. Das Vertrauen in Anwälte, Ärzte und andere Berufsgruppen ist Grundvoraussetzung für deren Arbeit. An dieses Vertrauen wird mit der Vorratsdatenspeicherung einmal mehr die Axt angelegt.
UZ: Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat sich in der Vergangenheit gegen die Vorratsdatenspeicherung positioniert. Warum ist er umgekippt?
Jasper Prigge: Maas wollte sich offenbar keinen offenen Konflikt mit seinem Parteivorsitzenden leisten. Sigmar Gabriel ist ein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung und ist sich nicht zu schade, Unwahrheiten zu verbreiten, um für sie zu werben. So behauptete er beispielsweise, die Breivik-Anschläge in Norwegen hätten gezeigt, wie wichtig die Vorratsdatenspeicherung für die Sicherheitsbehörden sei. Allerdings gab es dort eine solche Regelung gar nicht. Die SPD ist insgesamt keine Partei, die sich gegen den ausufernden Sicherheitsstaat einsetzt. Sie war immer gut dabei, neue Überwachungsgesetze zu beschließen, quer gestellt hat sie sich praktisch nie.
UZ: Mit wenigen Ausnahmen kommt es in der Bevölkerung kaum zu Protesten gegen die kontinuierlich zunehmende staatliche Datensammelwut. Warum spielt der Schutz von Daten bei vielen Menschen trotzdem nur eine untergeordnete Rolle?
Jasper Prigge: Man muss sagen, dass sich hier im Vergleich zu anderen Ländern schon deutlich mehr Menschen Gedanken über Datenschutz machen, trotzdem sind es zu wenige. Das hat auch damit zu tun, dass vielen das Verständnis für die technischen Möglichkeiten fehlt und sie deshalb Warnungen von Datenschützern als übertrieben abtun. Der Überwachungsstaat kommt außerdem in stetigen kleinen Schritten und nicht durch ein großes Gesetz. Mit einer Vielzahl an Sicherheitsgesetzen wurden die Befugnisse der Sicherheitsorgane seit 2001 immer weiter ausgebaut. Die Befürworter haben es leicht, für ihre Sicherheitsgesetze zu werben. In der Bevölkerung ist die gefühlte Bedrohungslage hoch, obwohl die Zahl der Straftaten in fast allen Bereichen seit Jahrzehnten zurückgeht. Wer kann schon etwas gegen mehr Sicherheit haben? Wenn nichts passiert war die Entscheidung, Polizei und Geheimdienste mit mehr Befugnissen auszustatten, richtig. Wenn etwas passiert lag es daran, dass die Ausweitung nicht weit genug ging. Die Sicherheitsgesetze kennen also nur den Weg der Verschärfung, einmal eingeführt wird eine Maßnahme nicht mehr zurückgenommen.
UZ: In Zeiten der Überwachung der Bürgerinnen und Bürger durch Geheimdienste, Behörden, aber auch Wirtschaftsunternehmen wie Google, Facebook und anderen, dürfte sich derlei Leichtfertigkeit jedoch rächen?
Jasper Prigge: Wer Facebook und andere Dienste nutzt, wird das ungute Gefühl kennen, das einen manchmal in einem ehrlichen Moment überkommt. Ich gebe einem US-Konzern unheimlich viele private Informationen über mich, damit er durch die Auswertung seinen Profit erwirtschaften kann. Auf dieses Gefühl sollten wir öfter hören. Der Stellenwert, den neue Technologien in unserem Leben einnimmt, wird sich in Zukunft weiter erhöhen. Das ist erst einmal nicht negativ, denn hierin liegt ein großes Potential, auch für die Demokratie. Wenn wir es aber Staaten und großen Konzernen überlassen zu bestimmen, wie Technologie genutzt wird, werden wir irgendwann aufwachen und realisieren, dass die Chance zu politischer Veränderung vertan ist. Wir müssen jetzt die Kontrolle zurückgewinnen, Alternativen nutzen und stärken.
UZ: Welche Möglichkeiten sehen Sie, eine breite gesellschaftliche Debatte um den Datenschutz anzustoßen?
Jasper Prigge: Eine Debatte darum gibt es bereits, die gesellschaftliche Linke ist aber auffallend zurückhaltend. Das ist ein Problem, sie müsste sich viel stärker einbringen. Das bedeutet, in den Bündnissen mitzuwirken, die derzeit die Proteste gegen Überwachung organisieren. Die Gefahr einer systematischen Überwachung der Gesellschaft ist nicht mehr nur abstrakt, sondern ganz konkret. Wir müssen Überwachung in allen Bereichen thematisieren, etwa wenn es darum geht, dass Jobcenter die Kontodaten von Hartz-IV-Beziehern abrufen. Nicht zuletzt muss sich die Linke aber auch damit befassen, wie sie selbst Daten nutzt und kommuniziert.