Defender-Manöver wegen Coronapandemie abgesagt, Friedensbewegung ist wachsam

Die Atempause nutzen

Nach der Absage von „Defender Europe 2020“ will die Friedensbewegung die Atempause nutzen, um effektiver und intensiver Widerstand bei kommenden Manövern zu leisten. Die Provokationen gegen Russland seitens der NATO werden nicht enden, sagt Reiner Braun vom Koordinierungskreis gegen „Defender Europe 2020“ im Interview.

UZ: „Defender Europe 2020“ ist wegen der Coronapandemie eingefroren worden. Ein Grund zum Aufatmen?

Reiner Braun: Ja und nein. Besser, es findet nicht statt, als dass es umfassend stattgefunden hätte. Vieles bleibt uns an Umweltzerstörungen und auch an Unfällen erspart. Aber bis solche Manöver endgültig bei uns nicht mehr stattfinden, so lange gibt es keinen richtigen Grund zum Aufatmen. Von daher ist es für uns Zeit zum Atemholen und zur Vorbereitung der Protestaktionen für das nächste Jahr. Es gibt ja auch noch viele weitere Gründe, gegen die permanente Militarisierung zu protestieren

UZ: Wird „Defender Europa 2020“ nachgeholt oder ist das jetzt endgültig vom Tisch?

Reiner Braun: Ich gehe davon aus, dass im Herbst noch einige Stabsmanöver stattfinden werden. Des Weiteren wird die Schnelle Eingreiftruppe in den baltischen Staaten und in Polen trainieren. Aber ich glaube, dass Defender in der ursprünglich geplanten Dimension mit 37.000 Soldaten, 13.000 Panzern und anderen Fahrzeugen für dieses Jahr vorbei ist. Aber es werden neue Manöver kommen.

UZ: Wie sieht es mit dem Gegenstück „Defender Pacific 2020“ am anderen Ende der Welt aus?

Reiner Braun: Auch die Manöver in Südkorea sind deutlich eingeschränkt worden. Aber auch da gilt, und das weiß ich von unseren südkoreanischen Freundinnen und Freunden, dass sie nicht feiern, sondern sich darauf vorbereiten, nächstes Jahr mit viel mehr Aktivitäten auf die gefährlich kriegsverschärfenden Manöver zu reagieren. Sie und wir wissen, dass der Schwerpunkt von Defender 2021 der pazifische Raum sein wird.

Wir werden die Protestaktionen 2021 auch bei uns weiterführen, ja intensivieren, das haben wir am Wochenende auf der Online-Aktionskonferenz beschlossen. Was mir vorschwebt ist, im nächsten Jahr nicht nur zu stärkerer internationaler Vernetzung mit unseren Nachbarn in (Ost-)Europa zu kommen, sondern auch zu mehr gemeinsamen Aktivitäten zwischen Europa und dem asiatischen Kontinent, wo 2021 die Hauptmanöver sein werden.

UZ: Vor der Absage wurde schon einiges an Material aus den USA rübergeschickt. Was passiert damit jetzt?

Reiner Braun: Teile des Materials, was besonders die Panzer angeht, und natürlich das „menschliche Material“ werden zurückgeschickt. Aber andere Teile des Materials bleiben in Europa. Teils in Militärdepots, aber es gibt auch einen Wiederaufbau der Munitions- und Materiallager, zum Beispiel in Dülmen, Bergen, wo Material für einem sogenannten „Krisen- oder Kriegsfall“ gelagert werden soll. Es geht der NATO um die Schaffung einer vollständigen Reservekette mit allen für Kriege notwendigen Materialien.

UZ: Wie sind die Reaktionen in Russland auf die Absage gewesen?

Reiner Braun: Für Russland ist das gesamte Manöver eine Provokation. Es sollte zu einem Zeitpunkt stattfinden, an dem Russland den Sieg über den Faschismus und die Befreiung Europas feiert. Im selben Zeitraum sollte mit Panzern, die teilweise noch die gleichen Namen tragen wie die, die 1941 in die Sowjetunion eingefallen sind, der Kriegsfall geprobt werden. Ich glaube, viele Millionen Menschen in Russland fühlen sich berechtigterweise erneut vom „Westen“ bedroht, wie schon mehrfach in der Geschichte. Das wird sicherlich auch in den Siegesfeiern am 9. Mai artikuliert werden. Wir haben jedenfalls nicht vergessen, wer die Hauptlast der Befreiung getragen und erlitten hat.

Es ist durchaus verständlich, wenn viele russische Bürgerinnen und Bürger, aber auch aus den anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, sagen: Wir müssen dem, was da vom Westen kommt, etwas entgegensetzen, politisch und wohl auch militärisch. Wir wissen, dass dieses Manöver nur die Folge oder vielleicht besser „Krönung“ der NATO-Osterweiterung ist. Dieses Militärbündnis ist seit 1990 immer weiter nach Osten „marschiert“ – gegen den Geist der Charta von Paris.

UZ: Was erwartet die Friedensbewegung nach der Coronakrise?

Reiner Braun: Wir bereiten uns ab jetzt für 2021 vor. Wir halten die Strukturen aufrecht, die sich mit Defender – vor allem im Osten der Republik – entwickelt haben. Wir planen für den Herbst eine Aktionskonferenz, bei der wir Entscheidungen für das nächste Jahr treffen wollen. Für uns ist es eine Corona-erzwungene Aktions-Atempause, die aber hoffentlich dazu dient, uns effektiver und besser vorzubereiten und die neu gewonnenen Strukturen der Friedensbewegung – besonders im Osten – und die größere Aktionsbereitschaft für insgesamt größere Aktionen 2021 zu nutzen.

Das Gespräch führte Christoph Hentschel


Das Interview erschien zuvor exklusiv auf unsere-zeit.de.

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"Die Atempause nutzen", UZ vom 3. April 2020



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