Aktuelle Bücher gegen Antisemitismus und Fremdenfurcht

Die Angst vor dem Fremden

Von Jürgen Meier

die angst vor dem fremden - Die Angst vor dem Fremden - Literatur, Rezensionen / Annotationen - Kultur

Dmitrij Kapitelman: Das Lächeln meines unsichtbaren Vaters. 288 Seiten, 20,- Euro

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Isabel Allende: „Der japanische Liebhaber“. suhrkamp taschenbuch 4730, 336 Seiten, 10,99 Euro

Die Ukraine, genauer, Kiew war das Zuhause des „unsichtbaren Vaters“ Leonid Kapitelman, bevor er nach Leipzig flüchtete, wo er ein Geschäft mit russischen Spezialitäten eröffnete. Der studierte Mathematiker hasst Kiew. Es war nie seine Heimat, nur ein Zuhause. In Leipzig angekommen wird Leonid nach und nach unsichtbar, wie sein Sohn, identisch ist mit dem Autor des Buches, verzweifelt feststellt. Ist er unsichtbar geworden, fragt der Sohn, „weil das Leben als Jude in der Ukraine und im Ostdeutschland der Neonazis ganz viel von ihm ausgelöscht hat. Ist mein Vater so, wie er ist, weil er ein Jude ist?“

Ein Jude der im Jahr 2015 Angst hat, in Leipzig als Jude erkannt zu werden, wird unsichtbar. Im WK 8, einer in den 1970er und 80er Jahren planmäßig angelegten Großwohnsiedlung im Westen von Leipzig, lebt die Familie Kapitelman. Sohn Dmitrij und seine Freunde werden hier regelmäßig von Nazis brutal verprügelt, was der Autor detailliert, aber leichtflüssig als Humoreske schildert. Seinem ängstlichen Vater erzählt er nie von den Überfällen, da er fürchtet, das Haus sonst nie mehr verlassen zu dürfen.

Dmitrij, der bei allen Schwierigkeiten den Eindruck vermittelt, mit beiden Beinen auf der Erde zu stehen, will wissen, warum sein Vater, der in der Ukraine noch ein fröhlicher Mann gewesen war, unsichtbar geworden ist. Er plant deshalb eine Reise nach Israel, wo Papas Freunde Zuflucht gesucht haben. Vielleicht, so denkt der Sohn, wird er dort wieder sichtbar. „Was soll ich denn in Israel?“ fragt Vater Leonid. „In Israel schießen sie. Das ist mir zu gefährlich!“

Sie reisen dennoch. Geplant sind zwei Monate. Der Sohn beobachtet in Israel, wie sein Vater wieder sichtbar wird. Er fühlt sich wohl in diesem Land, er, der von sich sagt, er sei überhaupt nicht religiös, kann wieder lachen. In Israel ist er einer unter vielen. Sie alle, so glaubt der Vater, halten zusammen. Sie kämpfen gemeinsam gegen einen Feind, die Araber, die das Leben der Juden bedrohen.

Bald schon sieht Leonid hinter jedem Araber einen Terroristen. Dmitrij, dessen Mutter keine Jüdin ist, wird in Israel nicht wirklich akzeptiert. Eigentlich ist er in den Augen der Israelis kein richtiger Jude. Dennoch fühlt er sich in Heimatgefühle verwoben, dass er plant in Israel zu bleiben. Grünau empfindet er aus der Entfernung als grausame Wirklichkeit. Das spürt er erst in Israel. Doch vor seiner Entscheidung will er, zum Entsetzen seines Vaters, die andere Seite erleben und spüren. Er fährt ins Westjordanland, wo er sich mit einer Gruppe palästinensischer Studenten anfreundet, die mit ihrem Professor auf einer kunsthistorischen Exkursion sind. Sie wissen zunächst nicht, dass er sich als Jude definiert, und nehmen ihn herzlich auf. In einem Gespräch sagt Hasan zu ihm: „Ich hasse nicht die Juden. Ich hasse die Zionisten, die mir mein Land genommen haben. Die rauben uns die Lebensgrundlage … Ich weiß, dass wir alle Menschen sind. Dass wir alle gleich sind … Und trotzdem schaffe ich nicht, zu vergeben.“ Dmitrij, der sich in eine der Studentinnen verliebt, beginnt den Zorn der Palästinenser zu begreifen. Selbst als er seine jüdische Herkunft preisgibt, bleibt Hasan ihm freundschaftlich verbunden.

Dmitrij, der sich in eine der palästinensischen Studentinnen verliebt, bleibt zwar länger in Israel als sein Vater, aber auch er kehrt zurück nach Leipzig. Seine Erkenntnis: „Eine Gesellschaft ohne Fremdenfurcht, Neid und Ungerechtigkeit gibt es nicht. Auch nicht in Israel.“

Dem Autor, der 1986 in Kiew geboren wurde und der 2016 mit dem „Klaus-Michael Kühne-Preis“ für das beste Romandebüt ausgezeichnet wurde, ist es mit leichter Feder gelungen, die Antisemitismusvorwürfe, die Kritiker der Staatspolitik Israels heute allerorten treffen können, zu entkräften.

Alma Mendels Eltern sind wohlhabende Juden, die zunächst glauben, Hitler werde Polen nicht überfallen. Sie seien, geschützt durch großes Vermögen, sicher in ihrer Heimat. Ganz sicher scheinen sie sich doch nicht zu sein, dass die Familie vom Antisemitismus der Faschisten verschont bleibt. Deshalb schicken sie ihre gerade zehnjährige Tochter Alma zu jüdischen Verwandten in die USA, wo Alma in der Familie von Isaac Belasco herzlich aufgenommen wird. Dem Sohn Samuel Mendel raten sie nach England zu gehen, wo er in den Reihen der Royal Air Force zum Piloten ausgebildet wird. Die Eltern erleiden wenige Jahre später das gleiche Schicksal wie Millionen Juden. Sie werden 1942 zunächst ins Warschauer Ghetto gesperrt und später im KZ ermordet, was Alma lange Zeit verschwiegen wird.

Alma wächst heran zu einer verwöhnten, aber selbstbewussten Frau. Sie verliebt sich in den Sohn des Gärtners, Ichimei Fukuda, einen japanischen Jungen ihres Alters. Als Japan den USA den Krieg erklärt, widerfährt den Fukudas die Internierung. „Bis August deportierte man über einhundertzwanzigtausend Männer, Frauen und Kinder; Alte wurden aus Hospitälern, Säuglinge aus Waisenhäusern und psychisch Kranke aus Pflegeeinrichtungen verschleppt und in zehn Internierungslager in abgeschiedene Regionen im Landesinnern gesperrt.“ Isaac Belasco, der dem Gärtner ein Freund geworden ist, bemüht sich sehr um die Rettung der Familie Fukuda, die für Jahre eingesperrt bleibt. Alma und Ichimei, die sich beim Abschied tägliche Briefe versprochen hatten, was ihnen ab und an auch gelingt, versprechen sich ewige Treue. Die Briefe von Ichimei, der besser malen als schreiben kann, werden strengstens zensiert. Trotz großer Anstrengung verlieren sich die beiden aus den Augen.

Als sie sich nach langer Zeit wieder treffen, entflammt große Leidenschaft zwischen ihnen, die sich als Kinder lieben lernten. Sie treffen sich heimlich in einer miserablen Absteige, denn ihre Liebe darf nicht öffentlich werden. Obwohl Isaac Berlasco ein großzüger, liebevoller und gutmütiger Vater für Alma geworden war, einen Japaner zu heiraten, das war für die jüdische Familie Belasco undenkbar. Es müsse ein Jude sein, so lautete die unausgesprochene Vorstellung. Alma und Ichimei trennen sich, doch Almas Liebe zu ihm bleibt bis zu ihrem Tod.

Isabel Allende gelingt mit diesem Buch ein Liebesroman, der zu bestätigen scheint, was Dmitrij Kapitelman behauptet: es gibt keine Gesellschaft, die frei ist von Fremdenfurcht. Doch wird diese Behauptung in einem so zart und spannend geschriebenen Roman gelesen und gedacht, so vermag sie schon die Veränderung dieser Unmenschlichkeit einzuleiten. Jedenfalls in den Köpfen der Leser.

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"Die Angst vor dem Fremden", UZ vom 16. Dezember 2016



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