Sie kam überraschend, die jüngste internationale Verhandlungsinitiative zur Beendigung des Ukraine-Kriegs. Gemeinsam mit fünf weiteren afrikanischen Staatschefs werde er so rasch wie möglich nach Moskau und nach Kiew reisen, um dort jeweils auf einen Waffenstillstand zu dringen, teilte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa in der vergangenen Woche mit. Er habe gerade mit Wladimir Putin und mit Wladimir Selenski telefoniert; beide seien prinzipiell bereit, ihn und seine Amtskollegen als Vermittler zu empfangen. Nun werde man Vorarbeiten leisten und Gespräche führen – und vielleicht schon im Juni würden die sechs Präsidenten sich auf den Weg machen, wohl zuerst in die Ukraine, dann nach Russland. Bis zum Russland-Afrika-Gipfel Ende Juli in Sankt Petersburg sollten die Gespräche in beiden Hauptstädten getätigt und weitere Verhandlungen angestoßen sein.
In der internationalen Politik hat es seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs so manches gegeben, womit zuvor kaum jemand gerechnet hätte. Wer hätte zum Beispiel erwartet, dass der Westen mit seinem Wirtschaftskrieg gegen Russland weitgehend isoliert bleiben würde? Wer hätte gedacht, dass sich Staaten wie die Türkei und Saudi-Arabien, vor allem aber Brasilien und China zu Vermittlern zwischen Moskau und Kiew und damit faktisch zwischen Russland und dem Westen aufschwingen würden? Und dass nun sogar noch der afrikanische Kontinent als Initiator von Friedensverhandlungen auftritt? Die höchst überraschenden Positionierungen zeigen: Im globalen Staatensystem hat sich in den vergangenen Jahren manches grundlegend verschoben. Die afrikanische Verhandlungsinitiative ist dafür der jüngste Beleg.
Dabei legt die Interessenlage der meisten afrikanischen Staaten eine Friedensinitiative nahe. Der Ukraine-Krieg und der westliche Wirtschaftskrieg haben Getreide- und Düngereinfuhren nach Afrika reduziert, die Inflation in die Höhe getrieben und das Wachstum gebremst: alles Anlässe, sich für ein schnellstmögliches Kriegsende stark zu machen. Der Versuch des Westens, den Kontinent politisch auf seine Seite zu ziehen, verfängt aus guten Gründen nicht: Wenn die westlichen Mächte ihrerseits auf dem afrikanischen Kontinent Angriffskriege geführt und Regierungen nach Lust und Laune gestürzt haben wie zuletzt etwa in Libyen und in der Republik Côte d’Ivoire im Jahr 2011 – wieso soll man ihnen zur Seite springen, wenn sie plötzlich selbst einen Waffengang ablehnen?
Nun ist, wo ein Wille ist, nicht immer ein Weg. Dass afrikanische Staatschefs nicht nur Friedensverhandlungen wünschen, sondern tatsächlich welche führen können, liegt daran, dass ihr Kontinent vom Westen unabhängiger geworden ist. Nicht mehr Frankreich oder die USA, sondern China ist die dominante Wirtschaftsmacht; Indien hat ökonomisch größeres Gewicht in Afrika als Deutschland; selbst die Türkei sowie die Vereinigten Arabischen Emirate gewinnen wirtschaftlich und damit auch politisch in diversen afrikanischen Staaten bemerkenswert an Einfluss. Die ökonomische und damit die politische Macht des Westens hingegen, der einstigen Kolonialmächte, schrumpft. Die früheren Kolonien nutzen dies, um sich zusehends ihrer noch verbliebenen Fesseln zu entledigen und nun sogar den einstigen Kolonialherren als Vermittler im Ukraine-Krieg entgegenzutreten – mit einem neuen Selbstbewusstsein, das ein Ende der neokolonialen Dominanz des Westens als möglich erscheinen lässt.