Es stellt sich die Frage, was der ganze G7-Zirkus eigentlich noch soll. Gestartet als lockere Kaminrunde der selbsternannten „westlichen“ Weltenlenker, ist dieser Mega-Event zu einem Rummelplatz taktischen Geschachers geworden, bei dem vor allem eines klar ist, dass man sich uneins ist, während die Bevölkerung, anders als in Hongkong unter medialem Beifall, von einer Polizei-Armee in Schach gehalten wird. War schon das letzte Treffen in La Malbaie, Quebec, eine PR-Katastrophe – der US-Präsident reiste vorzeitig ab und zog die Zustimmung zum Schluss-Kommuniqué zurück – so hatte man nun erst gar keine Abschlusserklärung mehr vorbereitet. Eine magere Seite haben sie schließlich zusammengeschustert. Deutlicher kann man Zerstrittenheit kaum dokumentieren. Der Bedeutungsverlust ist unübersehbar.
Auch innenpolitisch sieht es eher düster aus. Die G7 ist eine Truppe „lahmer Enten“ (lame ducks). Giuseppe Conte ist gerade zurückgetreten, Angela Merkel ist mental längst in Rente, May-Ersatzmann Boris Johnson ist auf dem Brexit-Himmelfahrtskommando, Emmanuel Macron ist mit anhaltenden massiven Protesten und miserablen Umfragewerten konfrontiert, Donald Trump und Justin Trudeau müssen um ihre Wiederwahl fürchten. Nur Shinzo Abe steht innenpolitisch relativ stabil da.
Um zumindest etwas Einigkeit zu demonstrieren, war Macron auf die Idee verfallen, gemeinsam auf Jair Bolsonaro einzuschlagen. Das trifft zwar nicht den Falschen, Bolsonaro ist ein kaum verkappter Faschist und Sprachrohr der Agro-Industrie, die nun verstärkt den Regenwald rodet, aber das Manöver ist an Bigotterie nicht zu überbieten. Die wirklichen Drahtzieher des Agro-Business sitzen ja nicht in Brasilien, sondern in den G7-Staaten selbst. Und nicht zu vergessen die klammheimliche Freude des Westens, als in Brasilien mit den Linken Lula da Silva und Dilma Rousseff Schluss gemacht wurde. Zumindest hatte man in Biarritz das Thema Klimawandel besetzt, ohne selbst etwas tun zu müssen.
Eine noch größere Show-Einlage legte der französische Gastgeber mit dem überraschenden Einfliegen des iranischen Außenministers hin. Die Europäer liegen mit den USA bei den Iran-Sanktionen über Kreuz. Ihnen entgehen im Iran Geschäfte in Milliardenhöhe. Andererseits fehlt ihnen der Mut zu einer wirklichen Eigenständigkeit, die Sanktionen offen zu ignorieren und die monetären Vehikel zu schaffen, die eine Lösung vom Dollar und souveränes Handeln ermöglichen würden. Die Einladung an Mohammed Dschavad Sarif ändert da nichts. Das sind eher Sandkastenspiele. Trumps Drohung, französische Weine mit Zöllen zu belegen, „wie sie es noch nie gesehen haben“, hat dagegen beinahe Substanz.
Um einmal über ernsthafte Dinge zu reden. Der MAGA-Präsident (Make America Great Again) versucht weiterhin, den Machtkampf gegen die VR China zu gewinnen. Kurz vor Biarritz hatte Donald Trump die US-Zölle auf chinesische Einfuhren noch einmal kräftig erhöht. Bei Waren im Wert von 300 Mrd. Dollar von 10 auf 15 Prozent und bei einer anderen Warengruppe im Volumen von 250 Mrd. Dollar von 25 auf 30 Prozent. Damit sind fast alle chinesischen Importe, ein Handelsvolumen von 550 Mrd. Dollar, mit zum Teil erheblichen Zöllen belegt. Da nicht zu erwarten ist, dass die Volksrepublik zu Kreuze kriecht, dürfte der Machtkampf mindestens bis zur US-Präsidentschaftswahl anhalten beziehungsweise eskalieren. Und das ist nicht die einzige Baustelle der US-Regierung. Da die USA gegenüber fast jedem Land ein Handelsbilanzdefizit haben, gibt es unter dem MAGA-Ansatz fast überall Handelskonflikte. Nach dem Motto „Viel Feind, viel Ehr’“ legt sich das US-Imperium derzeit mit allen und jedem an. Von Zöllen und Zäunen für Mexiko über Nordstream 2 und den Tankern im Persischen Golf bis zu F-16-Kampfflugzeugen für Taiwan und die Farbenrevolte in Hongkong wird nichts ausgelassen.
Die boomende Ökonomie der Volksrepublik war der Motor der Weltwirtschaft seit Krisenbeginn 2007. Ein Abwürgen dieses Motors durch den Handelskampf hätte gravierende Folgen, insbesondere auch auf die deutsche Exportwirtschaft. Ohnehin ist China nun verstärkt bemüht, ausländische Abhängigkeiten zu reduzieren. Wenn schon Krise, dann aber mit Zöllen, Einfuhrbeschränkungen und Wirtschaftssanktionen, scheint dagegen die Devise des Imperiums zu sein.
Selbstredend war hierzu aus Biarritz wenig bis nichts zu hören. Die atomare Großmacht Russland und das asiatische Powerhouse China waren erst gar nicht vertreten. Interessanterweise wurde Wladimir Putin von den russophoben europäischen Mächten blockiert, nicht von Donald Trump. Es wäre für ihn und Xi Jinping allerdings nur Zeitverschwendung gewesen.
Dagegen machten etwa 15 000 G7-Gegner bei einer Gegendemonstration klar, dass das von einer Bürgerkriegsarmee von 13 000 französischen und 3 000 spanischen Einsatzkräften hermetisch abgeschirmte Elitetreffen mit den Interessen der arbeitenden Menschen nichts gemein hat. G7, das ist die andere Seite der Barrikade.