Wann war das noch mal, dieses vollmundige Versprechen: „Denn eins ist sicher: Die Rente“? Das war vor knapp vierzig Jahren, 1986. Die CDU plakatierte damals im Wahlkampf den Spruch ihres damaligen Arbeitsministers Norbert Blüm.
Während ich Erinnerungen nachgehe, höre ich Wortfetzen eines Gesprächs im Getümmel der Innenstadt: „Die Hälfte meiner Rente ist sicher.“ Der Gesprächspartner stimmt lachend zu und fragt: „Wie kann ich von der Hälfte meines Nettolohns leben?“
Die Versprechen der SPD für ein „stabiles Rentenniveau“ – und dass dieses nicht unter 48 Prozent absinken soll – wirken im Vergleich zu Blüm hohl und fahl. Ob nun 48 oder 50 Prozent des letzten Nettolohns – davon leben können nur wenige.
Dass es besser geht, zeigen europäische Nachbarländer. Im Verhältnis zum Durchschnittsverdienst liegt die Rente in Dänemark an der Spitze mit 80 Prozent und in Österreich bei 74 Prozent. Schlechter geht’s allerdings auch, wie ein Blick in die USA oder nach Japan zeigt.
Ich bin als Kind und junger Mensch mit dem Versprechen des Sozialstaates aufgewachsen, dass ich im Alter eine sichere, auskömmliche Rente haben werde. Dieses Versprechen wurde gebrochen.
Seit den 1990er Jahren wird privatisiert, was bis dahin noch nicht privatisiert wurde: Post, Bahn, Wasser, Telefon, Pflege und zunehmend die Bildung und Care-Arbeit. Diese Entwicklung bedroht die bloße Existenz. Hier geht es nicht um die vielbeschworene „Existenzangst“. Die blanke Existenz hängt tatsächlich am seidenen Faden des Sozialamtes und der „Wohlfahrt“.
Niemand soll verhungern oder erfrieren. Darum gibt es das Bürgergeld und für die Alten, deren Rente nicht reicht, die „Grundsicherung im Alter“. Vermeintlich wird damit das „soziokulturelle Existenzminimum“ abgedeckt. Für mich bedeutet das, dass ich mit 70 Jahren, nach der Arbeit eines ganzen Lebens, zusätzlich zur Rente Grundsicherung beantragen muss. Über 30 Jahre habe ich in die Rentenversicherung einbezahlt und zwei Kinder großgezogen. Das Resultat: Ich bekomme keinen Cent mehr, als wenn ich nie eingezahlt hätte.
(Noch-)Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat einen Grundrentenzuschlag für langjährige Versicherte mit Niedrigrente durchgesetzt. Davon profitieren derzeit 1,1 Millionen Menschen – meist Frauen. Dieser Zuschlag beträgt im Durchschnitt gerade mal 86 Euro. Und leider gehen Zigtausende leer aus – so wie ich. Wer statt 33 Jahren nur 32 Versicherungsjahre zusammen hat, zum Beispiel wegen unzureichender Kinderbetreuung oder vorzeitigem Rentenbeginn als Schwerbehinderte, bleibt außen vor.
Zirka ein Viertel aller Rentnerinnen und Rentner in Deutschland erhalten weniger als 1.000 Euro pro Monat. Wer ohne zusätzliche Einkünfte darunter liegt, hat meistens einen Anspruch auf Grundsicherung im Alter. Regierung und Medien spielen die Altersarmut herunter. Es wird suggeriert, viele hätten ja noch andere Geldquellen als die gesetzliche Rente. Dass dem nicht so ist, zeigt die wachsende Zahl von Grundsicherungsempfängern. Lag sie 2015 noch bei 523.000 Menschen, also einer halben Million, so sind es im Jahr 2024 bereits 730.000 – eine Steigerung um 39 Prozent.
Wir werden immer mehr. Wir, die Empfänger der „Grundsicherung im Alter“ und bei Erwerbsminderung. Zusammengenommen soll unsere Zahl bereits bei 1,2 Millionen liegen.
Dabei gibt es große Hürden. Der Papierberg, der mit der Beantragung der „Grundsicherung im Alter“ einhergeht, ist schwer zu bewältigen. Ständig werden Belege nachgefordert. Die Bewilligung erfolgt zudem immer nur für ein Jahr und der Weiterbewilligungsantrag unterscheidet sich kaum vom Erstantrag.
Kein Wunder, dass es nach einer Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung eine erhebliche Dunkelziffer von Menschen gibt, die „versteckt arm“ sind und die ihnen zustehende Hilfe nicht beantragen. Sie schämen sich, wird gemutmaßt. Ich finde: Schämen sollten sich nicht die Armen, sondern diejenigen, die für Armut in einer reichen Gesellschaft verantwortlich sind. Es ist an der Zeit, dass die Scham die Seite wechselt!