Martin McDonaghs „The Banshees of Inisherin“

Die alten Stereotypen über Irland

Internationale Filmpreise sind nicht unbedingt gute Filmführer und das gilt für „The Banshees of Inisherin“ genauso wie für andere Filme.

Die Geschichte spielt 1923 auf einer Insel im Westen Irlands – gedreht wurde auf der Insel Achill und auf Inis Mór, der größten der drei Aran-Inseln in der Bucht von Galway. Nicht-irischsprachige Leser sollten wissen, dass „Inisherin“ (Inis Éireann) „Insel Irland“ bedeutet. Die zeitliche Verortung während des Bürgerkriegs wird früh deutlich – im Laufe des Films gehen gelegentlich Bomben auf dem Festland hoch und der Polizist vor Ort ist erfreut, dass er auf dem Festland an einigen Hinrichtungen teilnehmen darf – er weiß zwar nicht, für welche Seite, und es ist ihm auch egal. Tatsächlich scheint sich niemand auf der Insel auch nur im Geringsten für den Krieg zu interessieren – erstaunlicherweise ist er kein Gesprächsthema, niemand wird davon berührt, niemand ist darin verwickelt, es gibt keine Diskussionen über die Vertragsbedingungen, die letztlich einen so entscheidenden Einfluss auf die irische Geschichte nach der Unabhängigkeit hatten. Und das alles auf der irischen Insel, beziehungsweise Inisherin.

Man fragt sich warum? Wollte Martin McDonagh keine Seite vor den Kopf stoßen? Hätte sich eine Parteilichkeit auf die Bruttoeinnahmen an den Kinokassen ausgewirkt? Hätte der Film vielleicht sogar in Irland selbst eine Kontroverse ausgelöst? Wir werden es nie erfahren, denn der Film vermeidet jede mögliche Parteinahme durch die Handlung. Wer wissen möchte, wie die Leute dachten, muss Liam O‘Flaherty lesen, nicht Martin McDonagh sehen. Der aus Inis Mór stammende Liam O‘Flaherty schrieb nicht nur über den Bürgerkrieg auf dem Festland (die Kurzgeschichte „Der Heckenschütze“ und den Roman „The Martyr“), sondern auch über dessen Auswirkungen auf die Menschen auf den Aran-Inseln in Bezug auf ihre Klasse. O‘Flaherty kämpfte sogar selbst im Bürgerkrieg – auf der Seite der Kräfte, die eine Republik wollten. Amüsanterweise befindet sich das Cottage, in dem im Film Pádraic Súilleabháin (Colin Farrell) mit seiner Schwester Siobhán lebt, in Gort na gCapall, O‘Flahertys Heimatort auf Inis Mór.

McDonaghs Widerwille, sich mit diesem irischen Thema auseinanderzusetzen, spiegelt sich auch in der Musik wider. McDonaghs Anweisung an Carter Burwell für die Filmmusik lautete, keine irische Musik einzusetzen, da McDonagh „diese ‚Deedle-dee‘-Musik hasse“. Stattdessen wird die Atmosphäre durch eine Mischung aus Brahms’ „Liedern“, einem bulgarischen Stück zu Beginn des Films und indonesischer Gamelan-Musik musikalisch unterstrichen, was verwirrend und befremdlich deplatziert wirkt. Da Colm Doherty (Brendan Gleeson), eine der beiden Hauptfiguren, Fiedler ist und dies eine zentrale Rolle in der Handlung spielt, gibt es als Teil der Handlung allerdings auch etwas irische Musik. Das aber ist nicht die Musik, die die emotionale Atmosphäre des Films unterstützt. Offenbar war man der Meinung, dass Musikstücke aus verschiedenen Kulturen den Reiz für ein internationales Publikum erhöhen würden. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Je spezifischer eine Geschichte ist, desto größer ist ihr universeller Reiz. Eine Geschichte, die versucht, es allen recht zu machen, klingt einfach hohl, und obwohl die deutschen Lieder von Brahms ergreifend schön sind, passen sie nicht zu der Atmosphäre auf Inisherin. Eine a capella sean nós (irischer alter Stil) Solostimme wäre einfach passender gewesen. Hinzu kommt das Fehlen jeglicher Art von irischer Sprache oder irischsprachigen Gesangs. Auch dies passt überhaupt nicht zu der Zeit und dem Ort, die auf der Leinwand gezeigt werden.

Worum geht es in dem Film? Um einen Streit zwischen zwei Insulanern, weil einer von ihnen Panik vor dem Älterwerden hat und den anderen deshalb ausgrenzt. Der ältere Mann hat von heute auf morgen beschlossen, etwas von sich selbst zu verewigen – in traditioneller irischer Musik. Damit diese Prämisse funktioniert, stellt McDonagh den jüngeren Mann als etwas infantil dar. Burwell sieht in ihm eine Disney-Figur (!) und gibt ihm ein passendes musikalisches Thema. Doherty ist von Pádraic Súilleabháin plötzlich gelangweilt. (Hat es eine Bedeutung, dass der „Tölpel“ einen irischen Namen hat, während Doherty die englische Schreibweise verwendet?) Selbst Pádraics Schwester Siobhán Súilleabháin – die stärkste Figur neben den beiden Protagonisten – findet das Inselleben öde.

Nur wenige Menschen in diesem Film arbeiten. Das Höchste ist, ein paar Rinder den Inselpfad entlang zu treiben. Nirgends sieht man Leute der Feldarbeit oder anderen ländlichen Arbeiten nachgehen. Die Menschen kommen einfach irgendwie ohne sie aus – sie gehen mitten am Tag in den Pub und haben doch das Geld dafür und offensichtlich genug, um zu essen, sich zu kleiden und ihre Häuser einzurichten. O’Flahertys Kurzgeschichten über das Inselleben sind dagegen von der Arbeit der Menschen bestimmt. Das fällt ihm leicht und ist selbstverständlich, da er in dieser Gemeinschaft aufgewachsen ist – was auf McDonagh nicht zutrifft. Wenn bei O’Flaherty das Thema „Verzweiflung“ auftaucht, wie in dem expressionistischen Roman „Die dunkle Seele“ oder in seinem Theaterstück „Darkness“, so hat dies seine Wurzeln in den jüngsten Ereignissen, nämlich in der Erfahrung des Ersten Weltkriegs – einem weiteren, damals noch jungen Ereignis, mit dem die Inselbewohner auf McDonaghs Insel nichts zu tun haben.

Und so nährt der Film am Ende alte Stereotypen über Irland. Die Unkenntnis des Arbeitsalltags der Menschen wirkt sich negativ auf den Film aus und ist der Grund, warum McDonagh behaupten kann, dass ihr Leben (ganz zu schweigen von ihrer Musik) trist ist.

Der Film spielt zu einer bedeutsamen Zeit in der irischen Geschichte und hätte Menschen in ähnlichen Situationen damals und heute viel zu sagen gehabt. Stattdessen ignoriert McDonagh diese Geschichte und das Arbeitsleben und bedient stattdessen moderne Befindlichkeiten in Bezug auf das Altern – und macht das nicht einmal glaubwürdig.

The Banshees of Inisherin
Regie: Martin McDonagh
Unter anderem mit: Colin Farell, Brendan Gleeson, Kerry Cordon und Barry Keoghan

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"Die alten Stereotypen über Irland", UZ vom 27. Januar 2023



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