Attentat auf Trump droht Beobachtern zufolge die Instabilität in den USA zu verstärken. Experten sehen auch Frankreich nach der Wahl in einer Phase der Instabilität. Beide sind die zwei Hauptverbündeten der Bundesrepublik

Die Ära der Instabilität

Nach dem Attentat auf Donald Trump warnen Beobachter vor wachsender Instabilität in den USA, der stärksten Macht des Westens und dem transatlantischen Hauptverbündeten der Bundesrepublik. Für die Zukunft könne man noch „mehr politische Gewalt und soziale Instabilität“ nicht ausschließen, prognostiziert der Präsident der Denkfabrik Eurasia Group. US-Medien fürchten, es stünden womöglich „die größten inneren Spaltungen“ in den Vereinigten Staaten „seit dem Bürgerkrieg“ bevor. Eine solche Entwicklung halten Experten schon seit Jahren für wahrscheinlich; so hieß es in der US-Fachzeitschrift „Foreign Affairs“ etwa Anfang 2022, man werde sich auf eine Zunahme von Krisen und von Gewalt einstellen müssen, darunter gewalttätige Straßenkonflikte und politische Morde. Für die Bundesrepublik wiegt das umso schwerer, als zugleich Frankreich, ihr Hauptverbündeter in Europa, nach der Parlamentswahl ebenfalls „in eine Periode … der politischen Instabilität“ überzugehen droht, wie die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) urteilt – mit nachteiligen Folgen für Berlin. Dabei steckt Berlin selbst in einer Phase der Schwäche.

In Richtung Autoritarismus

Vor einem Übergang in eine Ära wachsender Instabilität in den Vereinigten Staaten warnen Beobachter seit langem. So hieß es etwa in einem Beitrag, der Anfang 2022 in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ erschien, die US-Republikaner hätten schon vor Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump begonnen, die Weichen in Richtung Autoritarismus zu stellen. Trumps Präsidentschaft habe den Trend verstärkt und die US-Demokratie „schwer verletzt“. Die Autoren wiesen darauf hin, dass die Vereinigten Staaten sogar in einschlägigen US-Rankings zum Zustand politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten abrutschten, so etwa in dem Ranking, das die Washingtoner Organisation Freedom House regelmäßig publiziert; darin rangieren die USA, obwohl es sich an offiziell propagierten US-Wertvorstellungen orientiert, mit nur noch 83 von 100 möglichen Punkten abgeschlagen hinter etwa Argentinien und der Mongolei, auf gleichem Niveau wie Panama und Rumänien und nur knapp etwa vor Trinidad und Tobago. Die Autoren des „Foreign Affairs“-Beitrags hielten wegen der recht starken Gegenkräfte – eine starke Oppositionspartei, die Demokraten, die auch von einflussreichen Medien unterstützt werden – ein Abrutschen in offenen Autoritarismus für unwahrscheinlich, gingen aber von einem Übergang in eine Ära der Instabilität mit wiederholten Krisen und politischer Gewalt aus.

Deutlich mehr Gewalt

Eine Zunahme politischer Gewalt ist tatsächlich längst zu beobachten – insbesondere auch Gewalt gegenüber Amtsträgern. So untersuchte die U.S. Capitol Police im vergangenen Jahr mehr als 8.000 Fälle von Drohungen gegenüber Abgeordneten im Repräsentantenhaus und im Senat – eine Zunahme um mehr als 50 Prozent gegenüber 2018. Im vergangenen Jahr wurden darüber hinaus mehr als 450 Bundesrichter bedroht – rund 150 Prozent mehr als noch 2019. Bereits 2021 hatten über 80 Prozent aller lokalen Amtsträger beklagt, sie seien bedroht oder zumindest belästigt worden. Im Jahr 2021 war außerdem eine Umfrage, die vom American Enterprise Institute in Auftrag gegeben worden war, zu dem Resultat gekommen, 56 Prozent aller Anhänger der Republikaner seien der Ansicht, der „American way of life“ verschwinde insbesondere wegen der steigenden Migration so schnell, dass man „womöglich Gewalt anwenden“ müsse, „um das zu stoppen“. Zwar seien die USA wohl nicht „auf dem Weg in einen zweiten Bürgerkrieg“, hieß es Anfang 2022 in „Foreign Affairs“; doch sei eine Zunahme von politischen Morden, Bombenanschlägen, gewalttätigen Straßenkonflikten oder gar bewaffneten Aufständen durchaus möglich. Nicht auszuschließen sei zudem, dass Politiker gewaltsame Handlungen tolerierten oder sie sogar anfachten.

„In die eigenen Hände nehmen“

Die Schwelle dazu hat Trump spätestens am 6. Januar 2021 überschritten, und inzwischen liegen längst weitere Fälle vor. So rief zum Beispiel der republikanische Senator Tim Cotton im April öffentlich dazu auf, wenn Demonstranten im Protest gegen den Gaza-Krieg Straßen blockierten, solle man gegen sie „die Dinge in die eigenen Hände nehmen“. Mit dem Anschlag auf Trump verschärft sich die Auseinandersetzung erneut. J. D. Vance, Senator der Republikaner aus Ohio, reagierte auf X, indem er „der Biden-Kampagne“ vorwarf, ihre „Rhetorik“, der zufolge Trump „ein autoritärer Faschist“ und „um jeden Preis zu stoppen“ sei, habe „direkt zu versuchtem Mord“ an Trump geführt. Beobachter warnen vor steigender Instabilität. Das Attentat kündige für die Zukunft womöglich „viel mehr politische Gewalt und soziale Instabilität“ an, urteilte beispielsweise Ian Bremmer, Präsident der Denkfabrik Eurasia Group: Derlei habe man „in vielen Ländern, die von Instabilität bedroht waren“, immer wieder beobachten können. Vor einem „neuen Niveau möglicher Instabilität“ warnte Jack Ablin, Chief Investment Officer beim Vermögensverwalter Cresset Capital. In Medien hieß es, die Erschütterungen, die die Vereinigten Staaten gegenwärtig träfen, seien womöglich „die größten inneren Spaltungen seit dem Bürgerkrieg“.

Parlament ohne Mehrheit

Für Deutschland wiegt die zunehmende Instabilität in den USA, seinem transatlantischen Hauptverbündeten, umso schwerer, als zugleich auch Frankreich, sein Hauptverbündeter in Europa, in eine Phase der Instabilität überzugehen droht. Nach dem Wahlsieg der Nouveau Front populaire (NFP) und der Niederlage des Rassemblement national (RN) von Marine Le Pen in der zweiten Runde der Parlamentswahl ist eine neue Regierung mangels klarer Mehrheit für einen der drei großen Blöcke in der Nationalversammlung immer noch nicht in Sicht. Versuche, eine Koalition aus dem Macron-Bündnis Ensemble, einem Teil der Konservativen (Les Républicains) sowie Teilen der NFP zu bilden – im Blick ist dabei vor allem die Parti Socialiste (PS) –, sind bislang erfolglos geblieben. Überlegungen gingen zuletzt dahin, aus Ensemble und Les Républicains eine Minderheitsregierung zu bilden, die möglicherweise vom RN geduldet werden soll. Das gilt zwar als schwer vermittelbar – schließlich wurde der Wahlkampf, auch der von Ensemble und Les Républicains, explizit gegen den RN geführt –, brächte aber eine Regierung ins Amt, mit der Präsident Emmanuel Macron seine Politik leichter fortsetzen könnte als mit der NFP. Freilich ist auch dies noch keineswegs gewiss, zumal sich bislang auch Abgeordnete dagegen positionieren, die dem Macron-Bündnis Ensemble angehören.

Stotternder Motor

Experten rechnen nicht damit, dass sich unter den gegebenen Bedingungen eine dauerhaft stabile Regierung bilden lassen wird. Frankreich drohe „in eine Periode des Stillstandes und der politischen Instabilität“ überzugehen, heißt es in einer aktuellen Stellungnahme aus der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). „Langfristig davon profitieren“ könne wohl der RN, dessen Vorsitzender Jordan Bardella in Zukunft die EU-Parlamentsfraktion „Patrioten für Europa“ führen werde und das voraussichtlich nutzen wolle, um sich weiter zu profilieren und „die europapolitische Debatte weiter nach rechtsaußen“ zu treiben. Bereits dies wäre nachteilig für die Bundesregierung. Hinzu kommt der SWP zufolge, dass im Falle einer anhaltenden Instabilität der „Regierungslage in Frankreich“ der deutsch-französische Motor der EU „gewaltig ins Stottern“ geriete. „Dann wäre Deutschland gefordert“, heißt es weiter bei der SWP, „zusammen mit anderen Partnern die EU voranzubringen“; es werde freilich „die Hauptlast der politischen und finanziellen Kosten der EU-Integration zu tragen“ haben. Günstig für die Bundesrepublik wäre das nicht.

In der Krise

Dies auch deshalb, weil die Bundesregierung selbst in einer Phase der Instabilität steckt: in sich zerstritten, von einer herben Niederlage in der EU-Wahl geschwächt und, wie die französische Regierung, in wachsendem Maß unter Druck seitens einer erstarkenden Partei der extremen Rechten stehend, der Alternative für Deutschland (AfD). Hinzu kommt eine schwärende Wirtschaftskrise; ein echter Aufschwung ist nicht in Sicht.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.



UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
Unsere Zeit