Die Krankenkasse DAK hat im August bereits Alarm geschlagen, weil gerade in Berlin im Ländervergleich überdurchschnittliche Krankenraten unter den Beschäftigten der Kitas bestehen. Dabei sind es insbesondere psychische Belastungen, die die Erzieherinnen und Erzieher immer wieder arbeitsunfähig werden lassen. Grund hierfür seien vor allem die prekären Arbeitsbedingungen in den Kitas. Deshalb hatten ver.di und die Gewerkschaft Erziehung & Wissenschaft (GEW) zu einem unbefristeten Streik aufgerufen, der jedoch am vergangenen Freitag vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verboten wurde. Aus Sicht des Gerichts wäre ein unbefristeter Streik ein Verstoß gegen die geltende sogenannte Friedenspflicht. Das Gericht folgt mit dem Urteil zum Teil dem Arbeitsgericht Berlin, das zuvor erstinstanzlich einem Eilantrag des Berliner Senats recht gab. Zwar sieht das Landesarbeitsgericht die Friedenspflicht als gegeben an. Das Argument der Vorinstanz, dass der Streik deshalb unrechtmäßig sei, weil die Tarifgemeinschaft deutscher Länder dem Land Berlin verboten habe, über Entlastung zu verhandeln, wies das Arbeitsgericht jedoch zurück. Die regierende CDU zeigt sich zufrieden, die beteiligten Gewerkschaften und Beschäftigten sind enttäuscht, sagt der ver.di-Sprecher Kalle Kunkel im UZ-Gespräch.
UZ: Der geplante unbefristete Streik bleibt verboten. Was bedeutet das für die rund 6.000 Berliner Kita-Beschäftigten?
Kalle Kunkel: Das bedeutet, dass wir jetzt nicht streiken können zu diesem Thema. Tatsächlich ist das jetzt die zweite Instanz gewesen und dahinter gibt es im regulären Eilverfahren nicht nochmal eine weitere Berufungsinstanz. Das Streikverbot heißt aber nicht, dass das Problem oder die Krise in den Kitas damit verschwunden ist, die ist weiter akut. Und deswegen ist der Senat weiterhin aufgefordert, mit uns in Verhandlungen einzusteigen, um zu einer guten Lösung zu kommen. Denn das ist es, worum es geht: Wir brauchen eine anständige Erziehung und Betreuung für die Kinder! Wir werden uns dieses Urteil jetzt ganz genau angucken und gegebenenfalls in das sogenannte Hauptsacheverfahren einsteigen. Das ist aber ein längerer Weg, der uns zumindest jetzt, nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, nicht ermöglicht, zeitnah in den Streik gehen zu können.
UZ: Sie haben in Ihrem Streikaufruf geschrieben, dass der Notstand mittlerweile Alltag ist: Wie ist die Situation der Beschäftigten in den städtischen Kitas und warum kann es aus Ihrer Sicht auch nicht so weitergehen?
Kalle Kunkel: Wir haben einen eklatanten Personalmangel. Die Kitas haben eine immer größere gesellschaftliche Bedeutung, gerade in einer Stadt wie Berlin. Hier sind die Anforderungen enorm hoch, beispielsweise im Bereich Integration oder was die Förderung von Kindern angeht. Die derzeitige Anzahl des Personals pro Kind entspricht nicht dem, was notwendig wäre, diesen Anforderungen gerecht zu werden. Das führt dazu, dass die Beschäftigten krank werden, aber auch dazu, dass auf die Betreuung weniger Verlass ist, weil Gruppen kurzfristig geschlossen oder Öffnungszeiten verkürzt werden müssen. Und wir stecken dabei gleichzeitig in einer Spirale nach unten. Weil die Situation ist, wie sie ist, können wir nicht genügend Kolleginnen und Kollegen gewinnen, die diesen Beruf überhaupt noch machen wollen. Umgekehrt gehen viele Erzieherinnen und Erzieher in Teilzeit oder scheiden sogar ganz aus dem Beruf aus, weil die Arbeitsbedingungen krank machen. Wenn wir diese Spirale nach unten nicht stoppen, dann werden die Kitas nicht die verlässlichen Partner für Eltern sein können, die sie sein müssen, damit Eltern ihren Berufen nachgehen können. Das ist auch eine Geschlechtergerechtigkeitsfrage. Diejenigen, die das meistens auffangen, sind dann die Frauen.
UZ: Was sind die konkreten Forderungen der Gewerkschaften?
Kalle Kunkel: Wir fordern einen Tarifvertrag für pädagogische Qualität und Entlastung. Es gibt gut gefestigte wissenschaftliche Erkenntnisse, was gute Betreuungs- und Erziehungsschlüssel sind. Die werden in den Berliner Kitas immer unterschritten! Wir wollen, dass im Tarifvertrag festgeschrieben wird, für wie viele Kinder eine pädagogische Fachkraft zuständig ist – verbindlich und damit einklagbar. Denn so, wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen, das macht die Beschäftigten krank und ist gerade auch deshalb keine kindgerechte Betreuung.
UZ: In einer Urabstimmung haben 91,7 Prozent der Beschäftigten für die Einleitung des Erzwingungsstreiks gestimmt. Wie wird es jetzt für Sie und die Beschäftigten weitergehen?
Kalle Kunkel: Die Stimmung ist natürlich sehr angespannt, weil die Kolleginnen und Kollegen wissen, wie schwierig die Personalsituation ist. Wir hatten eine hohe Mobilisierung in den Warnstreiks im Sommer mit bis zu 3.000 Kolleginnen und Kollegen auf der Straße. Zahlreiche Kitas mussten deshalb geschlossen werden. Da wurde gut sichtbar, wie wichtig die gesellschaftliche Infrastruktur „Kita“ ist. Deshalb haben wir eine große Motivation unter den Kolleginnen und Kollegen, für ihre Sache zu kämpfen. Das Urteil setzt dem jetzt Grenzen, zumindest was die Streikmöglichkeiten angeht. Wir werden weiter beraten, was andere Möglichkeiten sind, um weiterhin im Sinne dieses Ziels aktiv zu sein. Der Berliner Senat hat sich bisher außer blumigen Worten vor konsequenten Taten gedrückt. Das gilt im Übrigen auch für die Bundesregierung, die sich bisher weigert, bundesweite Qualitätsstandards festzulegen.