Zwei „schwarze Montage“ hintereinander und dazwischen ein „schwarzer Donnerstag“ – die Aktienmärkte seien „im Rausch der Tiefe“, diagnostiziert das „Handelsblatt“ am Dienstag. In der Krise greifen die Kollegen Qualitätsmedienredakteure gern in den Metaphernkasten für Irrationalität. Auf den mit „Wirtschaft“ überschriebenen Seiten der großen Zeitungen herrscht wieder das Phänomen, das die Weltbetrachtung des nachrevolutionären Bürgertums seit mehr als 200 Jahren bestimmt und die Grundlage imperialistischer Ideologie bildet: Die Welt ist unerkennbar, deswegen unveränderbar. Das Resultat ist stets: Das angeblich einzige, das in einer angeblich einmaligen Situation hilft, sind angeblich nie dagewesene Maßnahmen. Wer von der Coronapandemie redet, kann vom Kapitalismus schweigen.
Emmanuel Macron redet so unbefangen von „Krieg“ gegen einen „unsichtbaren Feind“. Die Schweizer nennen es unverblümt „Notstand“. Die deutsche Bundeskanzlerin, deren Redenschreiber wissen, was beide Vokabeln in der Bundesrepublik an Protest auslösen können, kommt mit der zivil klingenden Ersatzvariante, der Singularität: „Das ist etwas, das einmalig ist und das wir in 70 Jahren Bundesrepublik noch nie tun mussten – aber jetzt tun müssen.“ Markus Söder hat den „Katastrophenfall“ zur Hand.
Einmalig, zitiert das „Handelsblatt“ verschiedene Manager der Finanzindustrie, sei die Pandemie. Genau deshalb könnten die massiven Hilfen der Notenbanken und die Konjunkturprogramme der Politik „die Märkte“ nicht stützen. Anders gesagt: Dem Finanzkapital reichen die bislang angebotenen Milliarden aus der Staatskasse nicht. Das „Handelsblatt“ weiter: „Die aktuelle Krise ist einzigartig, die Auswirkungen lassen sich nicht vorhersagen.“
Also zitieren die Redakteure den Chefökonomen der Allianz-Tochter Pimco, einer sogenannten Vermögensverwaltung, Joachim Fels, der dann doch wieder weiß, was kommt: „,Eine globale Rezession infolge eines Mix aus Unterbrechungen bei der Angebotslieferkette und einem Stillstand der Nachfrage nach nahezu allen Dienstleistungen scheint unausweichlich zu sein.’ Deshalb besteht die wichtigste Aufgabe für die Politik und die Notenbanken darin, sicherzustellen, dass sich die Rezession nicht zu einer globalen Depression ausweitet.“
Abgesehen vom Wunsch nach Staatsrettung: Zum Unvorhersehbaren dichten sich die Dolmetscher des Kapitalwillens das Unausweichliche hinzu. Die imperialistisch gewordenen Bürger sind Fatalisten der Unerkennbarkeit.
Bis das unausweichlich Schlechte aber eintritt, wird gehandelt, wird entschieden. Im Einzelnen teilrational. Entscheidend ist, das Ganze der Gesellschaft für irrational, für unfassbar zu erklären und das im Alltagsbewusstsein möglichst vieler zu verankern. Sonst könnte jemand nach Kapitalismus fragen oder nach der Rezession der deutschen Industrie, die seit Mitte 2019 anhält. In der Weimarer Republik manifestierte sich diese Betrachtungsweise, die als „Dezisionismus“ im Westen auch nach dem Faschismus akademische Karriere machte, bei einem Philosophen wie Martin Heidegger oder dem Kronjuristen der Nazis, Carl Schmitt, zur Parole: „Nur ein Führer führt aus dem Salat.“
Das wird so nicht formuliert, aber die Tendenz ist da: Unter der Überschrift „Abschied von der schwarzen Null“ teilte die FAZ am Dienstag mit, die Haushaltseckwerte der Bundesregierung für 2021, die am Mittwoch ins Kabinett kommen sollten, seien zwar durch die Pandemie „längst völlig überholt“, aber man wolle mit ihnen „ein Stück Normalität zum Ausdruck bringen“. Die sieht „eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um zwei Milliarden Euro auf 45,6 Milliarden Euro vor“. Mit einer Rezession, so die FAZ, würde das „Ziel“, 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür auszugeben, „sogar näherrücken – weil das BIP dann sinkt“. Was zu erreichen war. Manches im Kapitalismus ist sehr vorhersagbar.