Dass Theresa May ihre absolute Mehrheit im britischen Parlament verlor, kam bei den Menschen im Vereinigten Königreich als Schock an, zumal die Schmierenkomödie um eine vorgezogene Neuwahl mit dem erklärten Ziel inszeniert wurde, diese zu vergrößern, um somit der Premierministerin mehr Spielraum für die reibungslose Abwicklung des EU-Austritts zu verschaffen. Ganz nebenbei wollten die Konservativen der Labour-Partei, der die Demoskopie bei Wahlen ein vernichtendes Ergebnis voraussagten, den Todesstoß versetzen.
Jeremy Corbyn und seine – gegen massiven Widerstand aus den eigenen Reihen weit nach links gerückte – Riege zeigten sich zum wiederholten Mal als vollkommen „unberechenbar“, erzielten seit mehr als zwei Jahrzehnten das beste Wahlergebnis für Labour. In den Arbeiterbezirken ist Labour jetzt so stark wie in den 50er Jahren. Das Gesamtergebnis bringt die mitgliederstärkste Partei Europas bis auf 3 Prozentpunkte an die Tories heran.
Nach wenigen Stunden des Wundenleckens und einem kurzen Anfall von Selbstkritik („Ich habe euch das eingebrockt“) tat Theresa May unverzüglich das, was bürgerliche Politiker am besten können: Sie entwickelte einen Plan zum Festhalten an der Macht. In der Rekordzeit von weniger als einem Tag erledigte sie den gesetzlich wie auch vom strengen Protokoll geforderten Antrittsbesuch bei der Königin mit Vorlage eines Konzepts zum Regieren. Dann tauchte sie sofort in der Öffentlichkeit auf und katapultierte sich wiederum mit schockierenden Nachrichten in die Schlagzeilen: „Nur die konservative Partei ist legitimiert, eine Regierung zu bilden. Dabei werden wir insbesondere weiter mit unseren Freunden (10 Abgeordnete, H. G.-B.) in der „Democratic Unionist Party“ zusammenarbeiten.“
Wer sind die neuen alten Freunde?
Die DUP (Democratic Unionist Party) wurde 1971 von Ian Richard Kyle Paisley in Belfast gegründet. Der 2009 geadelte und von da ab bis zu seinem Tod im Jahre 2014 als „Baron Bannside“ signierende Prediger und Priester ging als der einzige Europäer, der eine Kirche und eine politische Partei gründete, in die bürgerliche Geschichtsschreibung ein.
Hinter Paisley stand der aggressivste, fundamentalistisch anti-irische Teil der Reichen Nordirlands. Das Ergebnis der Spaltung der Presbyterianischen Kirche und der alten „Unionistischen Partei“ kann sich sehen lassen: Die „Free Presbyterian Church“(„Freie Presbyterianer“) ist heute die reichste Glaubensgemeinschaft im Norden der Insel und die DUP die Partei mit den meisten Wählerstimmen.
Ihre 29 Prozent bei der Parlamentswahl in der Region Nordirland machen aber auf das Königreich umgerechnet gerade mal 0,6 Prozent aus. Dass dieser Splitter jetzt per Tolerierung der Minderheitsregierung May das Zünglein an der Waage der britischen Politik sein soll, wird bis in weite Teile der konservativen Partei hinein als absurd empfunden, mehr noch: Hier liegt die Grundlage für Theresa Mays nächstes Debakel.
Es ist nicht nur die offensichtliche Ignoranz gegenüber der Mehrheit der Wähler, die Unmut erzeugt, selbst konservativ denkende Menschen können mit dem reaktionären Fundamentalismus der DUP nicht leben. Die von Arlene Foster geführte Partei lehnt jegliche Form gleichgeschlechtlicher Ehe bzw. Lebensgemeinschaft ab, hintertreibt seit Jahren erfolgreich das in Britannien gesetzlich festgelegte Recht der Frauen auf Abtreibung per Sonderregelung in Nordirland, gehört mehrheitlich neben der Trump-Bande zu den weltweit wenigen „Verneinern“ einer Klimaveränderung, ist bis ins Mark gewerkschaftsfeindlich, unterstützt den „Orange Order“ (Oranierorden), den reaktionärsten Verband der pro-britischen Bevölkerung Nordirlands, bei den alljährlich Gewalt hervorrufenden sektiererischen Märschen.
Hinzu kommt, dass die derzeitige Parteichefin bis zum Hals in Skandale verstrickt ist – von sexistischen Ausfällen gegen andere Politikerinnen bis zur massiven Veruntreuung von Steuergeldern. In der Folge ist das nordirische Regionsparlament trotz Neuwahlen seit mehr als einem Jahr unfähig, Beschlüsse zu fassen. Dass diese „Freundschaft“ eine Wahlperiode überleben wird, glaubt außer der Ex-Staatssekretärin für Nordirland, Theresa May, kaum jemand auf den britischen Inseln.