Nach einem Wahlkampfmarathon, der das ganze Jahr 2016 in Anspruch nahm, wählte Österreich am 4. Dezember den ehemaligen Bundessprecher der Grünen, den Wirtschaftsprofessor Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten. Vor Auszählung der Briefwahlstimmen war die Mehrheit für Van der Bellen bereits bei über 53 Prozent. Damit ist das Ziel der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer in die Wiener Hofburg einzuziehen, gescheitert.
Van der Bellen hatte die Stichwahl (die immer dann abzuhalten ist, wenn im ersten Wahlgang kein Kandidat über 50 Prozent kommt) bereits im Juni knapp gewonnen. Diese wurde allerdings nach Anfechtung durch die FPÖ vom Verfassungsgerichtshof aufgrund formaler Mängel aufgehoben.
Bei manchem gibt es Jubel und Erleichterung über dieses Ergebnis. Das ist insofern verständlich, als es bedeutet, dass es einem deutschnationalen Burschenschafter nicht gelungen ist, Präsident der Republik Österreich zu werden. Aber eben nur knapp. Bedenkt man, wie breit der Unterstützerkreis für Van der Bellen war, wird deutlich, wie knapp. Es sprachen sich wichtige Vertreter des Kapitals wie der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch, der Chef des größten Baukonzerns Strabag, Hans-Peter Haselsteiner, der mächtige Unternehmer und ehemalige SPÖ-Vizekanzler Hannes Androsch, die Parteichefs von SPÖ, Grünen, Volkspartei, Neos und der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer für die Wahl des Professors aus. Auch viele Künstler, Gewerkschafter und Linke gehörten zu seinen Unterstützern.
Es gab aber daneben eine stille Koalition derer, die für eine „Orbanisierung“ Österreichs eintreten und in Hofer den richtigen Wegbereiter in diese Richtung sahen. Da fanden sich eben nicht nur „Freiheitliche“, sondern auch die Hardliner aus SPÖ und ÖVP wie der Verteidigungs- und der Innenminister, der SPÖ-Landeshauptmann des Burgenlandes, der sich in einer Koalition mit der FPÖ befindet, oder auch der Klubobmann der ÖVP im Parlament.
Nach der desaströsen Wahlniederlage der beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP im ersten Wahlgang vom Mai, der beiden ein Ergebnis von knapp über 11 Prozent bescherte, bestand das Bemerkenswerteste darin, dass erstmals eine Präsidentenstichwahl ohne den Vertreter einer Regierungspartei stattfand. Die FPÖ, deren erklärtes Ziel es ist, nach der nächsten Parlamentswahl den Kanzler zu stellen, machte ihren Kandidaten zum Möchtegern-Kämpfer gegen „das Establishment“, und er ließ wiederholt durchblicken, dass er die Vollmachten des Präsidenten, etwa die Entlassung der Regierung, gerne ausgereizt hätte. Van der Bellen hingegen positionierte sich als Fortsetzer des Kurses seines Vorgängers Heinz Fischer, der das Amt des Bundespräsidenten 12 Jahre lang unauffällig und ohne Skandale führte.
Van der Bellen wird ein Präsident für alle sein: Für die Banken und Konzerne, für die Wirtschaftskammer, die Industriellenvereinigung, für die Gewerkschaftsspitzen. Er wird die „sozialpartnerschaftliche“ Achse nach Kräften unterstützen und sich für möglichst kritiklose EU-Unterordnung aussprechen.
Van der Bellen hat mit seinem Wahlsieg verhindert, dass ein Deutschnationaler Präsident wird. Er wird dafür stehen, dass die demokratischen Freiheiten nicht weiter zertrümmert werden, in die politischen Tageskämpfe wird er wohl kaum eingreifen.
Viele Werktätige geben bei Wahlen, so vermehrt auch bei dieser Wahl, ihre Stimme den Vertretern der FPÖ, in der Illusion, hier handele es sich um Vertreter des „kleinen Mannes“. Sie machen dies sehr häufig aufgrund ihres Frustes über die ständige Verschlechterung ihrer Lebenslage bei gleichzeitiger Zunahme des Reichtums in den Händen Weniger. Ihnen die wahren Gründe für dieses Missverhältnis aufzuzeigen, ist die gegenwärtig wichtigste Aufgabe der organisierten Arbeiterbewegung, und ihnen gleichzeitig zu verdeutlichen, dass nur sie durch Solidarität und Kampfbereitschaft etwas daran ändern können.